: Autofahrer umerziehen
■ Statt dumpfer Gaspedaltreterei ist die Umorientierung der Fahrweise angesagt / Fahrlehrer sollen neue Generation von Autofahrern heranziehen
Hohe Drehzahlen und dichtes Aufschließen auf den Vordermann sind 'out‘. Eine Umorientierung in der „Verkehrskultur“ mit dem Ziel der Energieeinsparung und des Lärmschutzes im Autoverkehr strebt ein gemeinsames Projekt von TU und der Fahrlehrer-Verband an. Zur Verankerung umweltbewußten Verhaltens soll schon in der Fahrschule „eine ganz andere Fahrzeugbedienung“ gelernt werden, sagte TU-Projektleiter Adolf-Eugen Bongard. Mit der geänderten Ausbildung von FahrlehrerInnen werde der Versuch unternommen, „eine neue Generation von Autofahrern heranzuziehen“, begrüßte der Vorsitzende des Fahrlehrer-Verbandes, Peter Glowalla, die Kooperation mit der TU.
Die veränderte Fahrweise wird von den Beteiligten „vorausschauendes Gleiten“ genannt. Darunter wird verstanden, „flüssig in höhere Gänge zu schalten“, um hohe Drehzahlen zu vermeiden und auf rote Ampeln oder Staus ausgekuppelt zuzurollen. Ein „Pufferabstand“ zum Vordermann ermögliche das Ausgleichen von Unregelmäßigkeiten im Verkehrsfluß. Die Benzineinsparung betrage etwa zehn Prozent. So rolle aus einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern heraus ein PKW noch über einen halben Kilometer weit.
Mit dem Projekt werde erstmals in der BRD ein von Wissenschaftlern entwickelter Lehrplan zur Ausbildung von FahrlehrerInnen eingesetzt. Bis Ostern 1990 sollen 300 der 700 Berliner FahrlehrerInnen in dreitägigen Kursen mit der neuen Sichtweise vertraut gemacht werden. Über sie könnte etwa die Hälfte der rund 20.000 FahrschülerInnen, die jährlich den Führerschein machen, erreicht werden. Später sollen die Erfahrungen in bundeseinheitlichen Prüfungsrichtlinien eingearbeitet werden. Bis dahin sei die neue Fahrweise nicht Gegenstand der Prüfung. Das Projekt wird vom Umweltbundesamt und der Volkswagen-AG mit insgesamt etwa einer Million Mark unterstützt.
Die Beteiligten sind sich nach den Worten Glowallas klar darüber, daß zur Zeit noch das „zügige Fahren“ in hohen Drehzahlen, das dichte Aufschließen an das vorausfahrende Fahrzeug und das Herunterschalten vor roten Ampeln bei „90 Prozent der Autofahrer“ üblich sei. Autowerbung und traditionell eingestellte Autotester, die auf hohe PS-Zahlen und Höchstgeschwindigkeit Wert legten, arbeiteten den neuen Intentionen entgegen. Bongard meinte, das übliche „Lückenspringen“ in die Sicherheitsabstände hinein werde die neue Fahrweise noch auf Jahre hinaus stören. „Wir brauchen ganz dringend mehr Gelassenheit“, sagte der Pädagoge, Leiter der Arbeitsstelle für verkehrspädagogische Forschung und Lehre an der TU. „Wir haben einen barbarischen Stil im Umgang mit dem Auto entwickelt.“
Andererseits seien besonders junge Leute „vital an Umweltproblemen interessiert“. Es komme darauf an, ihre Opposition gegen aggressives Fahrverhalten zu stabilisieren und ihnen Argumente für ökologisches Fahren an die Hand zu geben. Den meisten sei beispielsweise nicht bewußt, daß mit dem Katalysator die Lärm-, Sicherheits- und Kohlenmonoxydprobleme nicht gelöst seien. Viele seien dankbar für einen „ruhigen Stil“ und Tempo100, weil sie nicht mehr von überhöhter Geschwindigkeit und dichtes Auffahren „mitgerissen“ werden, sagte Bongard.
dpa
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