: Auto-Focus oder: Augen im Kopf
■ Große Betriebserkundung mit der Kamera: 15 HauptschülerInnen fotografieren Mercedes Benz
Stellen Sie sich eine Mercedes- Limousine vor, knallrot, T-Serie, und sie steht längs auf einem schlanken schwarzen Träger. Aber das ist in Wirklichkeit ein Scheibenwischer, aber nur vor einem kleinen Scheinwerferglas, denn der PKW ist spielzeugwinzig: Irritation, Witz und die begehrte Glätte mancher Werbebilder haben SchülerInnen einer 10. Hauptschulklasse fotografiert. Auch. Eigentliches Thema: „Betriebsbesichtigung bei Mercedes- Benz“. Einige Ergebnisse sind seit gestern im Presse-Club Im Schnoor ausgestellt.
Der Arbeits-Lehrer Hans-Jürgen Berger vom Schulzentrum Sebaldsbrück hat eine so einfache wie bestechende Philosophie: „Bildersprache ist international“, sagt er, und das ist schließlich wichtig, wenn 8 deutsche und 7 ausländische SchülerInnen in eine Klasse gehen. Und er weiß aus Erfahrung: Fotografie wirkt wie ein Zaubermittel. Und zwar auf mehrere Fächer gleichzeitig. Ja, es geht eben nicht mehr so zu wie damals, als der Oberschulrat Mews selbst zur Schule ging, wie er sich gestern bei der Ausstellungs-Eröffnung gern erinnerte: „Damals kriegte man was an die Tafel angemalt, oder man durfte sich mal einen Unterrichts-Film ansehen.“
Heute gibt es Betriebsbesichtigungen. Die gehören zum Lehrplan und sind viel zu oft reine Latsch-Veranstaltungen. Lehrer Berger, der seinen SchülerInnen hochentwickelte Kameras in die Hände drückte, erreichte irgendwie, daß die 15- und 16jährigen sogar und vor allem außerhalb der Unterrichtszeit mit Feuereifer dabei waren.
„Wie ein fotografisches Notizbuch“, so Berger, funktionierten die feinen Spiegelreflex-Kameras in den Händen der SchülerInnen, versehen mit Autofocus. Berger: „Man muß nur draufdrücken und Augen im Kopf haben!“ Durch das Objektiv guckten die SchülerInnen im Sebaldsbrücker Mercedes-Betrieb haargenau hin, achteten auf Farben, auf die Logik und Reihenfolge der Produktion, auf die Menschen in den riesigen Hallen.
„Wir haben drauflosgeknipst und geguckt, was interessant war“, erzählte gestern Ina Gandt, inzwischen 17 und Handelsschülerin, von dem 91er Projekt. Und: „Wir haben auch drauf geachtet, daß ein paar Arbeiter drauf sind, wo sie gerade arbeiten und nicht in die Luft gucken.“ Einmal hat es trotzdem geklappt: in der Montagehalle sind zwei im Schnack erwischt, der eine gar mit Trinkbecher. „Ja, jedem Arbeiter stehen 24 Minuten persönlicher Freizeit zu, außer den Pausen, laut Tarif- Vertrag“, rückte der Mercedes- Sprecher eilig zurecht.
Die Fotos, allesamt in Farbe und von Lehrer Berger großformatig in den letzten Sommerferien entwickelt, dokumentieren Fabrikarbeit, wie man sie sich zumeist nicht vorstellt: clean. Mit hochempfindlichen 1000-Asa- Filmen und großer Tiefenschärfe fährt das Auge ganze Produktionstraßen entlang. Arbeiter radeln durch riesige Hallen. Montageplätze völlig ohne Menschen. Ein Arbeiter verschwindet fast hinter einem Gewirr farbiger Hydraulik-Schläuche. Und immer wieder, wie aus der Mappe des Arbeits-Sicherheits-Experten: Ohrschützer, Schutzbrillen, Handschuhe. „Also dreckig oder staubig oder schmierig war es echt überhaupt nicht“, betätigte Mit-Fotografin Britta Kahrs.
Nicht, daß die Behörde besonders viele große oder kleine Steine aus dem Weg geräumt hätte. Die Kameras, auch die Filme und Labormaterialien hat Berger von Foto-Firmen durch persönliche Kontakte organisiert. Mangels Freistellung opferte er Ferien und Freizeit und hatte in Mercedes einen renommierten Partner: „Wir möchten die Bilder — das sind ja Profi-Bilder — auch bei uns im Werk ausstellen“, sagte gestern Dr. Schreck, Bremer Mercedes-Filialchef, „als Dank an die jungen Leute, die irgendwann das Brot und unsere Pension verdienen müssen.“
Einer wie Berger paßt schlecht in Systeme und Verwaltungsköpfe, die in Einheiten wie Stundentafeln und Regelunterricht denken. Aus Bergers „Ausländer“-Projekt wird wohl nichts, obwohl er von Beirat und Zentralstelle schon 2.00 Mark Zuschüsse beisammen hatte. Er wollte gern ausländische SchülerInnen zu Hause, bei Festen und Kultureinrichtungen fotografieren, Verständigung und Interesse herstellen. Weil es über Fotos so überraschend gut klappt. Susanne Paas
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