Auswirkungen von S-Bahn-Chaos: Kundenschwund dank S-Bahn-Chaos
Die Ausfälle bei der S-Bahn haben laut einer Studie das Unternehmen zehntausende Kunden gekostet und dem Land die Umweltbilanz verhagelt. Kunden wollen mehr Entschädigung. S-Bahn: Untersuchung stimmt nicht.
Die Krise bei der S-Bahn kommt die Berliner teuer zu stehen: Wegen der Zugausfälle und des vermehrten Autoverkehrs ist das Land bei den Kohlendioxid-Einsparungen um ein halbes Jahr zurückgeworfen worden. Fast jeder zehnte S-Bahn-Nutzer sei auf das Auto umgestiegen, in der Folge seien 51 Millionen Auto-Kilometer mehr zurückgelegt worden, heißt es in einer am Donnerstag vorgestellten Studie des unabhängigen Forschungsinstituts Iges.
Wegen defekter Räder und Bremszylinder fielen im Sommer zeitweise auf 10 von 15 Linien Züge aus. Die Verfügbarkeit der S-Bahn-Züge lag bisweilen nur bei 25 Prozent - notwendig für einen funktionierenden Verkehr sind in der Regel 87 Prozent. Derzeit liegt die Verfügbarkeit bei etwa 70 Prozent; wann wieder Normalbetrieb einkehrt, ist unklar. Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer sagte gestern, die Deutsche Bahn könne nicht zusichern, dass die Krise bis Mitte Dezember überwunden sei. Das Land hat bisher 31 Millionen Euro Zuschüsse einbehalten und will diesen Betrag bis Jahresende noch erhöhen. Nachverhandlungen zum S-Bahn-Vertrag laufen.
Die S-Bahn werde lange brauchen, um das Vertrauen ihrer Kunden zurückzugewinnen, bilanzierte Iges-Geschäftsführer Bertram Häussler. "Fast jeder zehn S-Bahn-Nutzer will sich künftig keine Zeitkarte mehr kaufen, um zur Arbeit zu gelangen." Weitere 25.000 Kunden denken daran, künftig lieber mit dem Auto zu fahren - verärgert von den Wartezeiten, Umwegen und finanziellen Verlusten, die sie mit dem stark ausgedünnten Netz machten. In den drei Monaten Krise verbrachten Pendler im Durchschnitt zusätzliche 3,5 Arbeitstage auf Straße und Schiene. Gleichwohl bleiben die befragten Berliner und Brandenburger mit ihren Forderungen unter dem finanziellen Gegenwert ihres Zeitverlustes, wie Häussler sagte: "Die Mehrzahl fordert Entschädigungen im Gegenwert des Preises von zwei bis drei Monatskarten." Um den tatsächlichen Verlust aufzurechnen, müssten S-Bahn-Nutzer vier Monate kostenfrei fahren dürfen.
Der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, Hans-Werner Franz, forderte erneut Qualitätsverbesserungen bei der S-Bahn. "Der Kern des Strukturproblems ist nach wie vor nicht behoben", sagte er. Wenn die S-Bahn ihre Fundstelle nach Wuppertal verlegt, wie jüngst geschehen, könne schwerlich von einer Neuorientierung zum Kunden gesprochen werden. Franz bewertete die zugesicherten Entschädigungen für die Kunden als ausreichend - sie hätten immerhin einen Gegenwert von mehr als 50 Millionen Euro. Gleichwohl plädierte er für einen Rechtsanspruch auf Entschädigung für Kunden auch im Nahverkehr. Franz verwies auf den Imageschaden für die Stadt: "Die Kollegen anderer Metropolregionen bedauern uns inzwischen", sagte er.
Die Folgen für die Tourismusbranche dürften indes überschaubar bleiben - auch wenn die Industrie- und Handelskammer (IHK) Umsatzeinbußen für Hotels in S-Bahn-Nähe ausmachte. Schwerwiegender waren die Konsequenzen für Handel und Gastronomie in und um S-Bahnhöfe. Bei der Hälfte der befragten Restaurants und Imbisse blieben mehr als 30 Prozent der Kunden weg, entsprechend waren die Umsatzeinbußen. "Vereinzelt sind in der Gastronomie auch Arbeitsplätze abgebaut worden", sagte der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer Christian Wiesenhütter. Er wünsche sich Hilfsmaßnahmen für die betroffenen Betriebe.
Die Berliner S-Bahn hat die Ergebnisse der Umfrage am Donnerstagabend zurückgewiesen. Die jüngsten Verkaufszahlen belegten vielmehr das Gegenteil, teilte das Unternehmen mit. Die Zahl der Abonnenten sei in den vergangenen Monaten gestiegen. Das bedeute, dass trotz des eingeschränkten S-Bahn-Angebots kontinuierlich Stammkunden gewonnen worden seien. "Was das IGES-Institut herausgefunden haben will, stellt die Realität auf den Kopf", stellte S-Bahn- Geschäftsführer Peter Buchner fest.
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