Auswirkungen schwarz-gelber Haushaltspolitik: Kitas und Parken werden teurer
Wenn Schwarz-Gelb die Steuern senkt, steigt auch das Defizit der Städte. Ihr Ausweg: höhere Gebühren, mehr Schulden, weniger Baumaßnahmen an Schulen.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat kürzlich einen unerfreulichen Brief an "die lieben Gemeinderäte" geschickt. "Die finanzielle Lage unserer Stadt hat sich innerhalb eines Jahres so dramatisch verschlechtert wie nie zuvor", schreibt der Grüne an die Volksvertreter der baden-württembergischen Universitätsstadt. Nicht nur die Wirtschaftskrise schlägt durch - auch die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung zur Senkung der Steuern machen Palmer Sorgen. "Diese Einnahmeausfälle kommen noch oben drauf", sagte Palmer zur taz.
Klar ist für den Oberbürgermeister: "Wir müssen neue Schulden aufnehmen." Aber das wird nicht reichen. Er hat dem Gemeinderat außerdem vorgeschlagen, Abgaben und Gebühren für städtische Dienstleistungen anzuheben. Die Stadtverwaltung erwägt, die Grundsteuer für Immobilienbesitz, die Parkgebühren für Autos und auch die Beiträge für die Kindertagesstätten zu erhöhen.
Gerade am letzten Beispiel lässt sich ablesen, welche Wirkung die Steuersenkungspolitik von Union und FDP im Alltag der Bürger entfalten könnte. Sollte die neue Regierungskoalition den Kinderfreibetrag in der Einkommenssteuer wie geplant erhöhen, würden Familien bis zu mehreren hundert Euro Steuern pro Jahr sparen. Einen guten Teil dieses Geldes müssten die Eltern für höhere Kitagebühren wie in Tübingen freilich wieder ausgeben. Palmer überlegt, nicht nur die Kitabeiträge für alle Kinder "linear" zu erhöhen, sondern auch besonders wohlhabende Familien zusätzlich zu belasten.
Die Tübinger Stadtverwaltung weiß, welche Löcher allgemeine Steuersenkungen in ihren Etat reißen. Zehn Milliarden Euro weniger Einnahmen bundesweit bedeuten pro Jahr etwa 1,5 Millionen Euro weniger für Tübingen. In dieser Größenordnung dürfte sich die schwarz-gelbe Steuerreform bewegen.
Die meisten Städte und Gemeinden Deutschlands rechnen mit erheblichen Engpässen. In Freiburg im Breisgau dürfte der Rückgang sogar noch stärker ausfallen als in Tübingen. Dort nimmt man an, dass jede Milliarde Euro Steuersenkung etwa eine Million Euro Verlust im städtischen Haushalt bedeutet.
Im kommenden Jahr werden die Steuereinnahmen für Bund, Länder und Kommunen insgesamt um rund 21 Milliarden Euro sinken. Vierzehn Milliarden hat die große Koalition beschlossen. Etwa sieben Milliarden Euro kommen hinzu, wenn Schwarz-Gelb unter anderem den Kinderfreibetrag in der Einkommensteuer erhöht und die Körperschaftsteuer für Unternehmensgewinne reduziert. Nicht nur Ministerpräsidenten von unionsregierten Ländern wie Peter Müller von der Saar kritisieren diese Politik, auch die Städteverbände bereiten sich auf intensive Lobbyarbeit vor. Auf "3,6 Milliarden Euro" schätzt etwa Gerd Landsberg, der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, die Einnahmeausfälle zulasten seiner Mitglieder im Jahr 2010.
Deshalb sind auch Sparmaßnahmen bei Schwimmbädern, Kultur, Jugendarbeit, dem Neubau von Kindertagesstätten und der Renovierung von Schulen bereits programmiert. So werde die Erweiterung der Gebäude zu Ganztagsschulen schlicht länger dauern, sagt Torsten Albig (SPD), Oberbürgermeister der schleswig-holsteinischen Hafenstadt Kiel. Manche Schüler-Mensa werde nicht sofort, sondern erst in ein paar Jahren errichtet. "Das geht langsamer, weil uns die finanzielle Kraft fehlt", so Albig.
Auch in der CDU-regierten Stadt Fulda "läuten die Alarmglocken", wie Oberbürgermeister Gerhard Möller sagt. "Steigt der Kinderfreibetrag oder sinkt die Körperschaftsteuer, sind wir sofort dabei", so Möller. Er geht davon aus, dass man die Investitionen für "öffentliche Infrastruktur, für Straßen und Plätze in den kommenden Jahren strecken" müsse. Die Überschüsse der vergangenen guten Jahre werden auch in Fulda nicht reichen, um die in Berlin produzierten Ausfälle zu kompensieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers