Auswirkungen des neuen Elterngeldes: Vormarsch der "Wickelvolontäre"
Befördert durch die "Papamonate" im Elternzeitgesetz suchen kinderbetreuende Männer den Kontakt zu Gleichgesinnten.
BERLIN taz Auf der Marienburger Straße im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg herrscht trotz breiter Bürgersteige Kinderwagenstau. Vor einer Bio-Eisdiele warten Mütter, Väter und Kleinkinder; andere Passanten, meist ebenfalls Eltern mit Buggys, kommen nicht mehr vorbei.
"Wir haben hier die höchsten Geburtenzahlen in Deutschland", sagt Eberhard Schäfer, der um die Ecke ein "Väterzentrum" aufgemacht hat. "Die einzelnen Familien kriegen gar nicht so viele Kinder, doch im Stadtteil leben fast nur noch Leute zwischen 25 und 40." Mitten im gebärfähigen Alter also, und deshalb hat sich Schäfer die Lage seines Treffpunktes genau überlegt: "Wir wollten dahin, wo der größte Bedarf ist."
Väterzentren liegen im Trend, nicht nur in Berlin. Forciert hat diese Entwicklung das neue Elterngeld, das mit der Zahlung einer Lohnersatzleistung von 67 Prozent des letzten Nettoeinkommens Männern erstmals ein auch finanziell attraktives Angebot macht, sich um ihre Kinder zu kümmern. Trotz Babypause können sie weiterhin Wesentliches zum Familieneinkommen beitragen, müssen ihre Versorgerrolle nicht vollständig aufgeben. Dabei sind sie bereit zu monetärem Pragmatismus: Leichter als frühere Vätergenerationen können sie ertragen, zeitweise weniger zu verdienen als ihre Partnerinnen.
Die einst als "Windelvolontariat" geschmähten Papamonate will Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen jetzt sogar verlängern - wegen der großen Nachfrage. Fast 20 Prozent der Anträge stellten im zweiten Quartal 2008 Väter - das ist nahezu sechsmal mehr als beim früheren Erziehungsgeld. Vielerorts haben Männer dennoch Schwierigkeiten, Gleichgesinnte zu finden. Stillcafes für Mütter finden sich selbst in Kleinstädten, Treffpunkte für Väter fehlen bisher weitgehend.
Die Räume des Berliner Zentrums wirken auf den ersten Blick wie eine herkömmliche Familienbildungsstätte, dann aber fallen Unterschiede auf. Kickertische und eine Carrerabahn stehen neben dem Wickeltisch. Auch das Plakat, das zum öffentlichen "Papa Viewing" der Bundesliga einlädt - mit dem Nachwuchs selbstverständlich - dürfte anderswo fehlen. Kein Zufall, trugen die Familienbildungsstätten doch früher den Namen "Mütterschulen".
Ein Vorreiter der neuen Idee ist der Verein "Väter e.V." in Hamburg-Altona, der Männer schon seit 2001 gezielt anspricht und sie bei der Vereinbarkeit von Job und Privatleben unterstützt. "Wir beraten große Betriebe wie Airbus oder die Senatsverwaltung und werben dort gezielt für familienbewusste Arbeitszeitmodelle", berichtet Geschäftsführer Volker Baisch. Wegweisend war seine Idee eines Internet-Auftritts: "vaeter.de" präsentiert Material zu allen Facetten aktiver Vaterschaft. "Manche Männer scheuen das direkte Beratungsgespräch, sie suchen brauchbare Informationen lieber im Netz", erklärt Baisch.
Auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es inzwischen Vätertipps online. Sie geben einen Überblick über regionale Angebote und vernetzen familienbewusste Männer untereinander. Sozialarbeiter, Therapeuten, Berater, Wissenschaftler und Publizisten, die in der Väterarbeit professionell tätig sind, haben sich im "Väter-Experten-Netz Deutschland" (VEND) zusammengeschlossen. Getragen wird es von lokalen Bündnissen wie dem "Männer-Väter-Forum" in Köln oder der Initiative "Männer und Leben" in Frankfurt.
Im Rhein-Main-Gebiet ist die Kooperation mit großen Firmen wie Fraport oder der Commerzbank besonders weit gediehen. "Wir versuchen jedoch, auch in kleineren Unternehmen für väterorientierte Personalkonzepte zu werben", sagt Forums-Gründer Harald Seehausen, der auf handfeste Erfolge zurückblicken kann: "Wir haben es zum Beispiel geschafft, eine Impulstagung zum Väterthema gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer zu veranstalten."
Eigentlich haben die dort vertretenen Unternehmer und Personalchefs andere Sorgen: Sie kümmern sich um Handfestes wie ihre Bilanzen oder die Suche nach Fachkräften im Mittelstand. Diemal aber, so berichtet Seehausen, stand einer von ihnen im Nadelstreifenanzug auf der Bühne und "traute sich, über ein Tabuthema unter Führungskräften, nämlich über persönliche Probleme im Spagat zwischen Beruf und Familie öffentlich zu reden".
Die Debatte um die Vaterrolle beschränkt sich bisher weitgehend auf die Phase nach der Geburt. Die heutigen Pioniere der Papamonate werden bald merken, dass Kinderaufziehen nicht ein paar Monate, sondern zwanzig Jahre dauert. Längere Babypausen für Väter sind eine gute Idee, entscheidender aber ist eine Unternehmenskultur, die weniger geprägt ist durch Anwesenheitszwang und beliebige Verfügbarkeit. Zumindest einzelne Firmenchefs haben verstanden: Auch Männer suchen ein berufliches Umfeld, das Freiräume bietet für ihre privaten Interessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!