piwik no script img

Ausweitung der Spielzone

Dem Nachwuchs eine Plattform: Beim Plateaux-Festival für internationale junge Regie in Frankfurt machen Gastspiele nur einen kleinen Teil des Programms aus. Zentral ist die Funktion als Netzwerk

„Die Leute müssen ja immer an drei Baustellen gleichzeitig arbeiten. Wenn man sie so ausbeutet, wird man sie nicht dazu bringen, an einer eigenen Handschrift zu feilen.“

von FLORIAN MALZACHER

Low-Tech- mit High-Tech-Ideen: Den Sprechmechanismus eines Spielzeugpapageis zum Beispiel in eine Fleischwurst einbauen, sie mit blechernem französischem Akzent das Reden lehren. Einen Fischburger mit Hilfe eines kleinen Schiffsmotors wieder zu seinen Freunden in den Atlantik schicken, am Tag schwimmend, in der Nacht schlafend. Einen Hamburger klonen, einen Androidenhelm für Banküberfälle verwenden oder Vogelroboter im Walde singen lassen: Paul Granjon ist ein raffinierter Bastler, vor allem aber ein Filmemacher und Performer, der mit lakonischem Humor und beträchtlicher Intelligenz das Medium des Lehrfilms nicht einfach parodiert, sondern kapert. Hier wird die Verbindung von Natur und Technik als freundliche Ausweitung der Spielzone behauptet.

Granjon gehört zu den Entdeckungen des Plateaux-Festivals für internationale junge Regie, das am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt zum zweiten Mal über die Bühne ging. Eine Entdeckung, wie man sie ab und zu miterlebt, doch selten im unmittelbaren Vergleich mit anderen Arbeiten im Blick über den deutschen Tellerrand. Denn Plateaux ist seit der Abschaffung des Hamburger „Junge Hunde“-Festivals auf Kampnagel in Deutschland einzigartig. Die strukturellen Möglichkeiten zur Präsentation und Begutachtung aktueller Tendenzen im Theater sind rar, wenn es mal nicht um die üblichen Verdächtigen unter den Jungdramatikern und -regisseuren geht, die ihre Heimat ohnehin früher oder später an städtischen Bühnen finden. Sondern um Leute, die – wie Christine Peters, künstlerische Leiterin des Mousonturms, es beschreibt – „sich dem Theater aus einer nichtkonventionellen Peripherie nähern“.

Plateaux will nicht nur Festival und Aufführungsort sein, sondern vor allem Produktionsplattform und Netzwerk. Gastspiele sind nur ein kleiner Teil des Programms. Zentral sind die eigenen Produktionen und „Residencies“, die Peters als besondere Chance für junge, experimentelle Künstler ansieht: „Die Leute müssen ja immer an drei, vier Baustellen gleichzeitig arbeiten. Aber wenn man sie so ausbeutet, wird man sie nicht dazu bringen, an einer Handschrift zu feilen. Man muss ihnen gute Bedingungen geben, ein bestimmtes Budget, Ruhe zur Recherche, damit sie konzentriert über Wochen arbeiten können.“

Sieben der acht während des Festivals gezeigten Arbeiten lagen im Grenzbereich verschiedener Kunstgattungen. Saskia Draxlers „Mindmapping Ffm“ spielte zwischen multipler Performance und Installation mit der Idee, ungeliebte Ecken der Stadt durch Kunst-bomben symbolisch zu beseitigen (das Konzept war vor dem 11. September entstanden). Rund hundert Helfer verteilten je zehn solcher Sprengsätze an selbst gewählten Orten, die per Anruf dann in der Schaltzentrale gemeldet wurden.

Ebenfalls als Installation, aber konzentrierter sammelten Hoffmann & Lindholm „Vergessene Bühnentexte“. Über Wochen hinweg hatten sie Theaterproben an deutschen Schauspielhäusern besucht und jene Momente dokumentiert, in denen die Souffleuse den Text einsagen musste. Vier Videoleinwände zeigen die Schauspieler tonlos im Augenblick des Vergessens; als Ton kommen über Kopfhörer die eingesagten Wörter.

Weniger plausibel, strukturell wie auch ästhetisch, wirkte die Einladung von Samuel Schwarz’ Stück „Neue Mitte“, einer Produktion des Berliner Maxim Gorki Theaters, zu Plateaux. Der Schweizer Regisseur Schwarz, der mit seiner Gruppe 400 Asa bereits seit Jahren erfolgreich im Offbereich arbeitet und in den letzten Jahren Regiearbeiten sowohl am Theater Basel als auch am Schauspiel Bochum zeigte, galt einigen bereits als zu etabliert für ein solches Festival. Anderen Zuschauern hingegen waren viele der anderen gezeigten Arbeiten zu gewagt oder zu unreif. Christine Peters jedoch besteht darauf, dass junge Künstler selbst lernen müssen, „zu merken, wo ihr Schwächen sind“.

Ermöglicht und initiiert hat das Projekt die Kulturstiftung der Deutschen Bank, die neben Renommiertem wie dem Ensemble Modern oder Peter Steins „Faust“ auch in den künstlerischen Nachwuchs investieren möchte. Auf vorerst drei Jahre befristet wurden so 600.000 Mark zur Verfügung gestellt. Nach dem Prinzip der matching fonds steuert der Mousonturm den gleichen Betrag bei. Wie es weitergehen wird nach Ablauf des nächsten Jahres ist noch offen – bleibt zu hoffen, dass die Stiftung auf Kontinuität setzt.

Abseits solcher Sorgen war am Ende des Festivals Samstagnacht kurz vor Mitternacht Ruhe eingekehrt. San Keller, ein Schweizer Performer mit großer Ruhe, Bescheidenheit und Konsequenz, hatte eingeladen, ihn mit Geschichten in den Schlaf zu wiegen. Im Halbdunkel dämmerte eine Hand voll Publikum, während jemand das Märchen vom grauen Fisch erzählte, der plötzlich Seifenblasen steigen lässt. Von fern hörte man das Telefon in Saskia Draxlers verlassenem Büro klingeln. Noch immer wurden also letzte Bomben gelegt, an ärgerlichen Orten.

Hier aber wurde alles ruhig und San Kellers Atem langsam und gleichmäßig. Vorsichtig drehte ein Vorleser das Lämpchen herunter, um auf Zehenspitzen herauszuschleichen. Doch da richtet sich San Keller noch einmal auf, ein bisschen vorwurfsvoll, wie ein störrisches Kind: „Ich bin aber schon noch wach!“ Und alle setzen sich brav wieder hin.

Bewerbungen für Plateaux 2002 bis zum 1. März 2002.Infos unter www.mousonturm.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen