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Austritte aus der Hamburger SPDNeuer Sachverstand für die Linke

Mit Sabine Boeddinghaus, Karen Medrow-Struß und Christiane Albrecht wechseln drei frühere SPD-Bildungsfachfrauen zur Linkspartei. Sie ertrugen den Schlingerkurs nicht.

Warben bei den Koalitionsverhandlungen mit Schultüten für die Schule für alle: Sabine Boeddinghaus und Karen Medrow-Struß. Bild: Tina Fritsche

"Ich freue mich über schulpolitischen Sachverstand", sagt die Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn. Seit Anfang des Monats hat sie mit Sabine Boeddinghaus, Karen Medrow-Struß und Christiane Albrecht drei neue Genossinnen in ihrer Partei. Sie waren zuvor aus der SPD ausgetreten, aus Frust über deren unentschiedene Schulpolitik.

Alle drei haben in der alten Partei eine längere Leidensgeschichte hinter sich. Boeddinghaus und Albrecht waren im Herbst 2008 ausgetreten, nachdem die Volksinitiative "Eine Schule für alle" mit 52.000 Unterschriften relativ knapp gescheitert war. Drei Wochen hatten sie auf der Straße gestanden und mit Menschen über Schulpolitik gesprochen, es war ihnen aber verboten, dies im Namen der SPD zu tun. "Man hat uns überhaupt nicht unterstützt, obwohl das Ziel einer Schule für alle im Programm stand", sagt die frühere Abgeordnete Boeddinghaus. "Da war das Maß voll." Die SPD hänge in der Schulpolitik ihr Fähnchen nach dem Wind und sei einfach nicht mutig. Boeddinghaus: "Ich sage: Hut ab vor Ole von Beust."

Mit Christiane Albrecht, die sogar 34 Jahre Parteimitglied war, ging der SPD auch die Vorsitzende ihrer Arbeitsgemeinschaft Bildung (AfB) verloren. "Dieses Schlingern: ,Wir sind für gemeinsames Lernen, aber erst zum St.-Nimmerlein', wollte ich nicht mehr mitmachen", sagt die Gesamtschullehrerin. Bei der Linkspartei sieht sie am ehesten die Möglichkeit, das "Ziel einer Schule für alle zu erreichen".

Karin Medrow-Struß, langjährige Vorsitzende des SPD-nahen Hamburger Elternvereins, einer Institution in der Stadt, hat sogar schon 2004 die SPD verlassen und bereits auf einem Sonderparteitag zur Bildung im Jahr 2002 ein Bekenntnis zur Gemeinschaftsschule eingefordert - gegen den Widerstand des damaligen Landeschefs Olaf Scholz. "Diese ständige Ansage, wir sollen keine Strukturdebatte führen, hat mich genervt", sagt sie. "Es durfte nur als Feigenblatt eine Qualitätsdebatte geführt werden, aber die ist ohne die Strukturfrage sinnlos." Über den Umweg der Primarschule sei die SPD nun doch gezwungen, dies zu tun.

Schulpolitik rot-rot

Die SPD ist in der Schulpolitik unentschieden: Auf einem Parteitag im Winter 2006 beschloss sie als Fernziel eine Schule für alle. Die von Schwarz-Grün beschlossene sechsjährige Primarschule wurde jedoch 2008 auf einem weiteren Parteitag abgelehnt.

Die Linkspartei verfolgt einen pragmatisch Kurs. Die Primarschule sieht sie als Schritt in die richtige Richtung an.

Beide Parteien führen jetzt Gespräche mit CDU und GAL für einen Konsens. Gemeinsames Ziel: die Volksinitiative "Wir wollen lernen" aufzuhalten.

Die drei arbeiteten schon seit einigen Monaten in der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Bildung der Linkspartei mit, zum Eintritt entschlossen sie sich nach einer Bildungs-Klausurtagung im Januar. "Ich kann nicht ohne diese Arbeit sein", sagt die fünffache Mutter Boeddinghaus. "Deswegen fing ich an, dort mitzuarbeiten." Es sei gut, "eine Gruppe gefunden zu haben, in der man sich erst mal grundsätzlich einig ist".

"Die Linkspartei ist mutig und offensiv und plakatiert ,Schule für alle' in der Stadt", ergänzt Medrow-Struß. "Ich glaube, dass wir als Bildungsexperten innerhalb der Linkspartei Impulse setzen können."

Am Dienstag wird nun auch die Linke an Gesprächen für einen Schulkonsens teilnehmen. Bei der Vorbereitung zwischen LAG-Bildung und Landesvorstand waren die drei noch nicht dabei. Fest steht, dass ein Konsens der Bürgerschaftsparteien wohl an der Linken nicht scheitern wird.

Und es zeichnet sich ab, dass sich die beiden großen Parteien CDU und SPD beim schwierigen Thema Elternwahlrecht auf ein Probejahr für alle Siebtklässler am Gymnasium verständigen. Dies gilt als problematisch, deshalb will die Linke vorschlagen, dass alle Kinder "nur mit Zustimmung der Eltern vom Gymnasium abgeschult werden können". Ein Vorschlag mit Charme, aber auch mit Tücken. Es könnte zu einem Schrumpfen der Stadtteilschule führen.

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7 Kommentare

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  • CB
    Cat Boncompte

    Mir scheint es für Die Linke allerdings kein ertrebenswerter Zuwachs, wenn diese Frauen, die jahrzehntelang aktive SPD-Mitglieder waren - also am Verfall dieses Landes mitwirkten (Krieg, Atom, Hartz4, Steuern etc...) - und sich nun allein wg. der Bildungs-"reform" den Linken zuwenden, vom restlichen Parteiprogramm aber entweder keine Ahnung haben oder nicht dahinter stehen (können).

     

    Die Linke HH sollte besser sieben, wen sie als neue Mitglieder aufnimmt...

  • GS
    Gabriela Sarman

    @Martina Juhnke--> lesen Sie doch nochmals Ihren Text und atmen Sie tief ein. Die Schulreform Diskussion in Hamburg hat Ihnen doch ein wenig die Ruhe und Durchsicht genommen. Elitäres Denken hat es an sich, Menschen dumm zu reden, um sich selber nicht rechtfertigen zu müssen und sich durch Denunziation aus der Masse zu heben. Glücklicherweise rächt sich so ein Verhalten früher oder später. Es kann nicht sein, dass sich elitäre Menschen diese schöne Sprache zu eigen machen und durch eine Schulreformverweigerung, die von Pfeffersäcken bezahlt wird, bestimmen wollen, wer nun diese Sprache später einmal perfekt sprechen darf und wer nicht. Eine Sprache ist Allgemeingut und muss allen Kinder in diesem Land zu Gute kommen. Ich bin mir sicher, dass die 6 Jahre Grundschule auch in Hamburg kommen wird - und das ist auch gut so.

  • RS
    Rolf Sievers

    Neuauflage der Schulreform von 1949

     

    Als Großvater von vier Enkeln, die Hamburger Schulen besuchen, kann ich über die Debatte nur den Kopf schütteln.

    Ich habe die seinerzeit von Schulsenator Landahl(SPD) initiierte und von der Hamburgischen Bürgerschaft im Oktober 1949 beschlossene Schulreform(6 Jahre Grundschule) als Schüler miterlebt.

     

    Bin zunächst in Hamburg-Niendorf eingeschult worden und habe dann 1952 später die Grundschule Griesstraße(Primarschule) einschließlich der 6.Klasse besucht.

     

    Die gemeinsame Zeit an der sechsjährigen Grundschule(Primarschule) war eine schöne Zeit, Freundschaften wurden auch nach dem Schulwechsel nicht zerrissen und der vermittelte Lehrstoff war so hervorragend, dass viele die Aufnahmeprüfung für die WO(Johanneum, Kirchenpauerschule später Gymnasium Hamm, usw.) bestanden.

     

    Leider meinte der damalige Block-Senat, der sich nach der Bürgerschaftswahl vom November 1953 auf Grund einer Mehrheit des Hamburg-Blocks(CDU, FDP, DP, BHE) gebildet hatte, dieses zukunftweisende Schulmodell bald wieder zerstören zu müssen.

     

    Ich würde mir wünschen, dass es die verantwortlichen Parteien und die sie unterstützenden Initiativen schaffen, die geplante Reform durchzusetzen und damit unseren jungen Menschen von heute zu einer noch menschlicheren Schule zu verhelfen.

     

    Ich hatte das große Glück eine ähnliche Schulform besuchen zu dürfen und war wie viele meiner damaligen Schulkameraden dankbar dafür.

     

    Die CDU hat die einmalige Chance ihren damaligen Fehler wieder gut zu machen und die SPD sollte sich an ihre Wurzeln erinnern und ihr damaliges Erfolgsmodell an das Heute anpassen helfen und nicht torpedieren.

    Die Grünen und viele Initiativen scheinen mir auf dem richtigen Weg zu sein.

    Dass dies auch damals nicht alles ohne Streit abging, kann man sehr schön im Spiegel vom Oktober 1953 über die damalige Reform nachlesen.

     

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Rolf Sievers

  • AM
    Albertus Magnus

    Liebe Frau Juhnke,

     

    Ihr Plädoyer fürs alte, neun Jahre währende Gymnasium legt die Vermutung nahe, dass Sie selbst ein solches besucht haben. In Anbetracht Ihrer wahrlich hanebüchenen Orthographie, des fehlenden Sinns für Grammatik und Ihres grauslichen Stils, muss ich trotz aller Vorbehalte sagen: Weg mit dem alten Gymnasium! Und sei es nur, um arrogante und leidlich bildungsferne Bildungsbürgerhexen wie Sie zu ärgern.

     

    Hochachtungsvoll,

     

    A. Magnus

  • MJ
    Martina Juhnke

    Es ist eine Frechheit, die Gymnasien zuerst zu schwächen indem man ihnen zwei Jahre wegnimmt - in den gerade erschienenen Bildungsplänen für die Primarschule ist von Grammatik oder Satzbau wie Subjekt, Prädikat, Objekt noch nicht mal die Rede (!!!!), und die Schüler, die (nur?) die Mindestanforderungen erfüllen sollen am Ende der 6. (!!!!) Klasse noch nicht mal gelernt haben korrektes Deutsch (überwiegend richtig - was bedeutet das???) zu schreiben – und ihnen dann den schwarzen Peter zuzuschieben, die Kinder entweder nach einem Jahr abzuschulen (Variante 1) oder wenn die Eltern es wollen auf der Schule zu lassen wo sie anscheinend völlig überfordert sind. Und das in den größten Klassen des gesamten Schulsystems ohne Mittel für Förderkurse!!! Auch wenn sie Gymnasien und Eltern, die Kinder auf ein Gymnasium geben, nicht leiden mögen – überlegt sich EINE dieser tollen Politikerinnen vielleicht mal was das für die KINDER bedeutet??

  • CB
    Carsten Bittner

    Hier zeichnet sich eine völlig neue politische Konstellation ab: Die Afghanistan-Koalition - schwarz, dunkelrot, grün. In der Tat: Hut ab, Herr von Beust!

  • CH
    C. Holstein

    Häääää? Und am Dienstag treten sie alle wieder aus, wenn es die ganz große Schulpolitik-Koalition gibt und das Thema "neun für alle" für zehn Jahre vom Tisch ist? Verstehe einer die Bildungsexperten in Politik und RedaktionInnen...