Ausstieg aus der Atomenergie: Das nukleare Fossil
Regierungsberater fordern einen schnellen Atomausstieg und mehr Sparsamkeit beim Stromverbrauch. Doch das ist nur ein kleiner Teil einer großen Aufgabe.
BERLIN taz | Über Schönheitskorrekturen reden sie nicht, sondern über das große Ganze. Die zwei Frauen und sieben Männer des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen gaben der Politik am Donnerstag einen unbescheidenen, aber dringenden Rat. "Die große Transformation" sei notwendig, sagte Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher und Vorsitzender des Beirats - ein Prozess von ähnlich tiefgreifender Wirkung wie der Übergang zur Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert.
"Wir müssen das fossil-nukleare Energiesystem durch ein effizient-erneuerbares ersetzen", so Schellnhuber. Das Szenario, das der Beirat entwickelt hat, umfasst den "möglichst schnellen Ausstieg aus der Atomenergie, den weltweiten Abschied von der fossilen Energieproduktion mittels Kohle, Öl und Gas bis 2050 und einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag".
Aber es geht auch ein bisschen kleiner. Dabei liegt die Betonung auf der Empfehlung, mit Energie im Allgemeinen und Strom im Speziellen einfach etwas sparsamer zu haushalten. Zur Debatte über den schnellen Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima sagte Schellnhuber: "Auch dann gehen hier die Lichter nicht aus. 20 bis 40 Prozent des heute verbrauchten Stroms könnten wir einsparen."
Darüber, was Energieeffizienz bringen kann, sind viele Forscher uneins. Gegen die Position des Beirats argumentiert etwa Ökonom Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Seinen Berechnungen zufolge wird der Stromverbrauch der Deutschen in den kommenden Jahren nicht sinken, sondern sogar steigen. Die Zunahme um 0,5 bis ein Prozent jährlich sei wahrscheinlich, weil die Zahl der Single-Haushalte wachse und die Deutschen mehr Laptops und iPods benutzten.
Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte zwischen Beirat und RWI: Die Zahl der Geräte steigt, aber ihr jeweiliger Verbrauch sinkt. Dann könnte der Stromkonsum der Privathaushalte in den kommenden Jahrzehnten ungefähr konstant bleiben. Daraus resultiert eine optimistische Botschaft: Die materielle Lebensqualität könnte weiter zunehmen, was viele Menschen wünschen, ohne dass aber gleichzeitig der Schaden für das Klima anwachsen würde.
Klimaschutz als Staatsziel
Sparsamer Umgang mit Energie, starker Ausbau von Windparks und Solaranlagen, neue Leitungen und Stromspeicher - die Aufgaben sind so komplex, dass der Beirat nicht nur einen technischen, sondern auch einen politischen Umbau empfiehlt. Um die "Zukunftsinteressen" ins heutige politische System zu integrieren, müsse man neue demokratische Institutionen schaffen, sagte Beiratsvize und Entwicklungsforscher Dirk Messner.
Eine "Zukunftskammer" neben Bundestag und Bundesrat solle dafür sorgen, dass jedes Gesetzesvorhaben auf seine Nachhaltigkeit überprüft werde. Denkbar sei es auch, so Messner, einen Teil der Abgeordnetensitze nicht von den Parteien besetzen zu lassen. An ihre Stelle könnten Personen treten, die auch mal an die Zukunft denken. Auswahlverfahren? Vielleicht Wahl, vielleicht Auslosung, darüber sind sich die Regierungsberater noch nicht im Klaren.
Auf jeden Fall aber müsse das Ziel der Nachhaltigkeit praktisch gestärkt werden, indem Bundestag und Bundesrat ein Klimaschutzgesetz beschlössen, forderte Messner. Darin wäre festgelegt, um wie viel der Kohlendioxidausstoß jedes Jahr sinken solle. Und auch im Grundgesetz müsse man den Klimaschutz als Staatsziel verankern.
Und zur globalen Zusammenarbeit hatte Entwicklungspolitiker Messner noch einen speziellen Vorschlag parat. Zehn Prozent der Mitarbeiter der relevanten Bundesministerien sollten künftig aus Ländern außerhalb Europas rekrutiert werden. Erst dann werde die Sichtweise der Entwicklungs- und Schwellenländer eine wirkliche Rolle spielen. Schließlich gehe es bei der Transformation um ein weltweites Vorhaben.
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