Ausstellungsempfehlung für Berlin: Im Innern des Kunst-Films
Kultur-Tipp der Woche: Rauminstallationen und Filmarbeiten von Alexandra Ranner im Georg Kolbe Museum. Die taz sprach mit der Künstlerin.
Im unmittelbaren Abstand liegt die größte Intimität. In Alexandra Ranners neuer Filmarbeit „Flur“, die derzeit als Teil ihrer Einzelausstellung “Karmakollaps“ im Georg Kolbe Museum zu sehen ist, klafft er zwischen den Figuren, die dicht gedrängt, aber jede für sich vollkommen allein ihr Warten dem Tanztheater gleich in eine unmittelbar spürbare Körperpräsenz übersetzen.
Es arbeitet sichtbar in jeder dieser einsamen Figuren. Nur auf den ersten Blick irren sie umher, denn jede Bewegung ist platziert. Ziellost ist vielmehr der unbestimmbare Ort: dystopischer Beton, meditatives Grün, Bürotüren und ein Wellnessteppich statten diesen endlosen Flur aus, der sich dank einer perfekten Greenscreen-Montage scheinbar unendlich in die Tiefen des undefinierbaren Gebäudes zieht.
Ausgerechnet kleinbürgerliche Jalousien, die langsam herunter rattern, schenken diesen Menschen ohne Orientierungspunkte in der Halbdunkelheit am Ende einen Moment der Ruhe. Nebeneinander sinken sie in sich zusammen, miteinander können sie nicht sein. Oder ist da doch eine stillschweigende Solidarität, die niemand sieht, die noch kommen mag, die unmittelbar bevor steht?
Ich bin in einem Film und doch schaue ich auf einen Fernseher
Auch dem bewegten Bild scheint in Alexandra Ranners Werk stets ein Abstandhalter als Filter beigegeben: Ein Raumteiler rahmt den Blick auf ein Video zweier Männer, die zunächst wie künstliche Wachsfiguren wirken, bis sie – scheinbar durch ein Fernsehsignal aus der Apathie geweckt – zu einem lebhaften Tänzchen aus ihren Sesseln kugeln.
Georg Kolbe Museum,
Tgl. 10–18 Uhr, Bis 8. 1. 2017,Sensburger Allee 25
Die Schauspieler Jürgen Verch und Klaus Stephan verleihen den „Glückseeligen Männern“ (ebenfalls 2016) eine Aura verzückter Entrücktheit. Intim wird das Schauen auch hier: der gestreifte Teppich, die Wollsocken, die weißen Unterhemden, die Dunkelheit, sie ziehen das Publikum in die Tiefen eines Heimkinos, genannt Fernsehkeller, in dem sich die Protagonisten zwillingsartig zu spiegeln scheinen, bis ihre Verspieltheit die Seherwartungen unterläuft.
Ein vermeintlicher Einwegspiegel schließlich wird zum Trägerstoff optischer Illusion. Durch die Tür in die Rauminstallation „Schlafzimmer II“ hindurch, und es ist, als befinde man sich im Innern eines David-Lynch-Films, einer surrealen, in bläuliches Schummerlicht getauchten Parallelwelt.
Den dunklen Teppichboden unter den Füßen lässt sich das Unterbewusste sofort auf diese Traumsequenz ein, die eine Spiegelung suggeriert, wo nur Luft ist. Ein Röhrenfernseher spiegelt sich, doch das ungemachte Bett, auf das der Blick fällt, gibt es nur einmal. Trotzdem will der Sehrsinn mit aller Kraft – bis zum titelgebenden Karmakollaps – diese virtuelle Realität akzeptieren, die eigentlich nicht sein kann.
Alexandra Ranner ist bildende Künstlerin in den Medien Skulptur, Film, Fotografie und Installation, sie lebt und arbeitet in Berlin. 2001 war sie auf der 49. Biennale in Venedig vertreten sowie in den Ausstellungen (Auswahl): International Triennale of Contemporary Art, Yokohama, Japan; “Why pictures now?” (MUMOK, Wien), “Unsichtbare Schatten – Bilder der Verunsicherung, (Kunstmuseum Marta Herford), “Lost Places”, (Hamburger Kunsthalle), “Heimsuchung – Unsichere Räume in der Kunst der Gegenwart”, (Kunstmuseum Bonn).
Ranners Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem HAP-Grieshaber-Preis der VG Bild-Kunst, dem Bayerischen Staatspreis Bildender Künste, sowie dem Stipendium der Karl-Schmidt-Rottluff Stiftung. Seit 2007 lehrt sie als Professorin für Plastische und Räumliche Darstellung im Studiengang Architektur an der Universität der Künste, Berlin.
Einblick (646): Alexandra Ranner, Bildende Künstlerin und Professorin an der UdK Berlin
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat Sie zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
Alexandra Ranner: Julian Rosefeldts „Manifesto“ im Hamburger Bahnhof, ich war schon immer ein Fan seiner Kunst. Ich mag den Moment der Gleichzeitigkeit, den er immer präzise findet, nicht nur den der formalen Gleichzeitigkeit, sondern besonders den der emotionalen Gleichzeitigkeit.
Unterschiedlichste und konträre Begebenheiten und Gefühle existieren im selben Moment nebeneinander, sind verbunden in einer offenen, unauflöslichen Widersprüchlichkeit. Das versuche ich in meiner Kunst auch, formal anders natürlich. Daher finde ich meine Ausstellung „Karmakollaps“ auch durchaus aufregend....!
Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin können Sie empfehlen?
Das bedaure ich tatsächlich sehr, dass ich keine Zeit mehr habe, mich über die aktuelle Musikszene zu informieren. Eigentlich liebe ich es, auf Konzerte zu gehen. Daher kann ich nur sagen was ich gerne sehen würde: China Women, Radiohead, Rammstein, ja tatsächlich auch Peter Fox, sehr gern sogar, Rodriguez und viele mehr.
Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet Sie zurzeit durch den Alltag?
Joachim Meyerhoffs autobiografische Bücher. Ich kenne niemanden, der Menschen so intensiv beschreiben kann, dass man diese danach zu seinem eigenen Freundes – und Verwandtenkreis zählt. Man kann sich ein Leben ohne sie kaum mehr vorstellen.
Ich würde Herrn Meyerhoff so gerne die Menschen in meinen Filmen beschreiben lassen, aber ich traue mich nicht ihn zu fragen. Daher ist dies ja vielleicht ein guter Weg, an ihn zu appellieren – denn vielleicht liest er die taz und ruft mich an, dann würde ich allerdings in Ohnmacht fallen!
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Mein Atelier aufräumen.
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht Ihnen am meisten Freude?
Da gibt es mehrere Dinge: Tegernseer Helles, Chiemseer Helles, Hexamer Sauvignon Blanc, Knewitz Chardonnay – alles dann ab 9 Uhr Abends und auch ein paar Zigaretten…
Text und Interview erscheinen im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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