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AusstellungAufbruch aus Arkadien

Das Künstlerhaus Schloss Balmoral fördert Künstler mit Stipendien. Aber weil es in Bad Ems liegt, weiß man wenig davon. Nun schickt es Ausstellungen auf Reisen.

Detail des "Emsrausches" von Sonja Ahlhäuser. Bild: Katalog Emsrausch / Schloß Balmoral

D er "Emsrausch" war fischig und fettig: Seejungfrauen und Meeresgötter aus Butter krönten ein Buffet aus Hummern, Karpfen und Lachs. Es war ein perfektes und essbares Stillleben, überquellend in den Farben Rot, Rosa, Orange und Weiß, das die Berliner Künstlerin Sonja Alhäuser als "Bankett ohne Anlass Nummer fünf" im Dezember 2006 auf Schloss Balmoral angerichtet hatte. Der Saal bot mit seinem gewürfelten Fußboden, den Kronleuchtern und der goldschimmernden Tapete das geeignete Ambiente.

Einen Teil des "Emsrausches" ließ Sonja Alhäuser jetzt in einer Ausstellung wieder aufleben, mit der sich 14 Stipendiaten, die 2006/2007 vom rheinland-pfälzischen Künstlerhaus Schloss Balmoral gefördert wurden, in Berlin, in der kommunalen Galerie Nord in Moabit, präsentierten. Eispuppen in der Farbe von roten Wassermelonen schmolzen und kühlten den Sekt, den die Vernissagen-Besucher schlürften und dabei rätselten: "Balmoral", spricht man das englisch aus? Ach nein, das liegt in Bad Ems? Wo liegt denn Bad Ems? Das eben ist das Problem des Künstlerhauses, das 1995 von der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur gegründet wurde. "Wenn ich meine Künstler fördern will", sagt Danièle Perrier, künstlerische Leiterin von Balmoral, "dann muss ich sie auch zeigen, und zwar nicht nur in Bad Ems." In Berlin sind sie jetzt zum fünften Mal. Aber auch in Ludwigshafen und Prag stellte sich das Künstlerhaus bisher vor.

Bad Ems ist eine kleine, 10.000 Einwohner zählende Kurstadt an der Lahn. Vieles zehrt hier von der Erinnerung. Das 19. Jahrhundert war die große Zeit der Badestadt, als dort nicht nur Kaiser und Fürsten kurten, sondern auch viele Dichter und Musiker von dem damals mondänen und nicht zuletzt dank seiner Spielbank internationalen Ort angezogen wurden: Unter ihnen Fjodor Dostojewski, Nikolai Gogol, den man deshalb heute im Café Weber nahe dem Bahnhof in Schokolade kaufen kann. Auch Giacomo Meyerbeer, Carl von Weber und Jacques Offenbach kamen her.

Damals wurde auch die prächtige Villa im neugotischen Stil gebaut, in der heute die Künstler arbeiten. Der Name "Schloss Balmoral" stammt aus der Zeit, als das Haus als Hotel genutzt wurde. Er passt aber auch gut zu dem Turm, der über das zinnenbekrönte Dach ragt und den Löwen, die die frisch sanierte Freitreppe vor dem Haus flankieren. Wer auf der Terrasse steht oder vom Dach in das Lahntal blickt, findet leicht zurück zur Arkadiensehnsucht des 19. Jahrhunderts.

Der Umbau zum Künstlerhaus hat das vornehme Flair der Architektur erhalten und sie zugleich mit einer gut ausgestatteten Bibliothek, Werkstätten und Videoarbeitsplätzen den Bedürfnissen der künstlerischen Arbeit angepasst. Rheinland-Pfalz ist ein kleines Land, ohne eigene Kunsthochschule. Die Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur ist der finanzielle Träger des Stipendiaten-Programms. Immer wieder ließen sich einige der über 100 Künstler, die seit 1995 ein Aufenthaltsstipendium erhielten, thematisch auf den Ort ein, verführt von seiner nostalgischen Stimmung zwischen Verfall und Gegenwart. Besonders ein altes Hotel zog sie an, das Hotel Balzer, das, nur wenige Meter von Schloss Balmoral entfernt, wie eine vorgefundene Installation, ein Haus im Dornröschenschlaf wirkte.

Obwohl es seit Jahren geschlossen war, hatte der Besitzer mit dem schönen Namen Werner Unverzagt alles, die Schlafzimmer, die gedeckten Tische auf der verglasten Veranda, so gelassen, als könnten jederzeit Gäste kommen. 12 Jahre lang lebte er bis zu seinem Tod allein in dem großen Haus. Die Künstler von Schloss Balmoral besuchten ihn: Als einer der ersten Gäste von Balmoral Byrd Williams aus Texas, nach ihm viele andere. Sie fotografierten Betten, Türen, Tapeten, in Bann geschlagen von dieser Reise in eine angehaltene Zeit. Später, als das Haus nach dem Tod von Herrn Unverzagt leer stand, setzten andere Stipendiaten-Generationen die Arbeit fort, bauten Installationen und verrückte Skulpturen aus den Fundstücken oder setzten noch einmal ein gespenstisches, wie Feuer glühendes Licht hinter die Fenster, bevor das Hotel abgerissen wurde.

Aus all diesen Liebeserklärungen an das Hotel Balzer und Herrn Unverzagt, die über Jahre hinweg immer wieder fast wie zufällig entstanden waren, hat das Künstlerhaus Schloss Balmoral in diesem Sommer eine Ausstellung gemacht, die im Haus selbst und im Heimatmuseum gezeigt wurde. Man sah kleine Springbrunnen aus Kognak, die an die Brunnen unten auf der Promenade erinnerten (von Barbara Wille), spezielle Gemälde für Schimmel in den Wänden, eine völlig abgefahrene Fototapete (von Esther Neumann) der Ruine des Hallenbades, das Herr Unverzagt als erster Hotelbesitzer in Bad Ems gebaut hatte.

Die Emser selbst haben diese Ausstellung von all unseren Projekten am meisten geliebt, sagt Danièle Perrier, die seit 1999 am Künstlerhaus arbeitet, und man kann ihr glauben, erzählte die Ausstellung "Unverzagt, das Hotel Balzer!" doch eine Geschichte, die symptomatisch für die Chronik des Ortes und seines Kampfes um Gäste ist. Es ist nicht einfach, die hochtrabende Architektursprache der alten Villen und Hotels und das Kursystem der Krankenkassen zu verbinden. Immer wieder drohte den schönsten Häusern Verfall. Und der lang gehegte Plan, durch den Bau einer Umgehungsstraße und eines Tunnels den Autoverkehr im engen Lahntal zu vermindern und dem Bad eine autofreie Hauptstraße zurückzugeben, ist erst in diesem Jahr Wirklichkeit geworden.

Thematisch gebunden ist die Ausschreibung der Stipendien aber selbstverständlich nicht. Die Fotografin Anja Teske, die auch zu den Besuchern des Hotel Balzer gehörte, die sich in den Glanz der alten Tapeten oder liebevoll arrangierten Plüsch verliebt hatten, zeigt in der Berliner Ausstellung zum Beispiel eine Porträtserie, die einem befreundeten Transvestiten gewidmet ist. Inzwischen ist auch die zwei Jahre lang geltende Beschränkung, dass die Künstler aus Rheinland-Pfalz stammen oder dort studiert haben müssen, wieder aufgehoben worden und die sechs sechsmonatigen Anwesenheitsstipendien werden wieder international ausgeschrieben. Für bildende Künstler aus Rheinland-Pfalz ist zudem die Möglichkeit neu hinzugekommen, sich für Aufenthaltsstipendien in New York, London und Paris zu bewerben. Beide Erweiterungen dienen dem Wunsch nach mehr Öffnung und mehr internationaler Präsenz. So stellt in der Berliner Präsentation von Schloss Balmoral auch der junge Frankfurter Fotograf Götz Diergarten aus, der mit dem neuen Stipendium nach London kam. Er konnte dort mit einem groß angelegten Projekt beginnen: In vielen Hauptstädten Europas will er die U-Bahn-Architektur dort dokumentieren, wo ihre Gestaltung sich im Unauffälligen und Funktionalen verliert. Gerade daraus entwickelt er leuchtende und farbprächtige Fotografien von monotonen Flächen, die eine nüchterne Bestandsaufnahme des Banalen emphatisch aufladen.

Der Gastauftritt von Schloss Balmoral in Berlin ist zunächst nur eine Gruppenausstellung, ohne konzeptuellen Zusammenhang, die nur von der Qualität der geförderten Künstler überzeugen will. Das gelingt ihr mit vielen Beiträgen, wie den industriell geprägten Landschaften, die Stefan Ettlinger mit langen und schnellen Pinselstrichen gemalt hat, oder den Aquarellen von trostlosen, aufgegebenen Orten, die Nicola Schudy zeigt. Auch ein russischer Performancekünstler ist dabei, Misha Le Jen, den der Förderverein von Balmoral dieses Jahr als Gast eingeladen hat. Vor Ort entstand ein dreiminütiges Video: Man sieht ihn durch eine Wiese laufen, auf einen Stuhl steigen und per Kopfsprung in einer kleine Wanne aus dem Bild verschwinden, verschluckt von einer unvorhersehbaren Tiefe. Das ist wie eine kleine, verrückte Miniatur auf das Gefühl, trotz großer Anstrengungen nicht richtig gesehen zu werden. Das Künstlerhaus aber hat sich auf den Weg gemacht, das zu ändern.

Die Ausstellung "Kunstportale. Balmoral in der Galerie Nord" in Berlin geht bis zum 1. September. Von der Ausstellung "Unverzagt, das Hotel Balzer!" gibt es einen Katalog, zu beziehen auf der Homepage des Hauses.

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Katrin Bettina Müller
Kulturredakteurin
Geboren 1957 in Köln. Seit Mitte der 80er Jahre Autorin für die taz (über bildende Kunst, Tanz, Theater, Film), seit 2003 Redakteurin. Seit Juni 2023 wieder freie Mitarbeiterin.

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