Ausstellung zum Römischen Reich: Als wir die Italiener noch beneideten
Selbst kurz vor seinem Niedergang kämpfte das Römische Reich noch gegen die Barbaren. Eine Ausstellung darüber verrät uns was über die Liebe. Und Syrien.
Wie war das denn damals?
Als es in Deutschland weder McDonald’s noch Burger King gab? Also eine Gastronomie, wo man in gleichbleibender Qualität, hygienisch, zu einem vernünftigen Preis und in akzeptabler Atmosphäre seinen Hunger stillen kann?
Wie muss es gewesen sein vor 1971, als der erste deutsche McDonald’s eröffnete, wenn man zum Beispiel in eine Stadt wie Braunschweig fuhr, um sich eine Ausstellung über „Roms vergessenen Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn“ anzusehen und dann, um seinen Postkulturhunger zu stillen, auf zwielichtige Imbisse oder altdeutsche Wirtschaften mit verfetteter Holztäfelung und Soßenbinderessen angewiesen war?
Das römische Heer jedenfalls, das sich im September 235 n. Chr. auf dem Rückmarsch befand und am Harzhorn – einem Engpass eine Autostunde von der „Löwenstadt“ entfernt und nahe der heutigen Autobahnraststätte Seesen gelegen – von Germanen angegriffen wurde, hatte alles dabei, um fern von seinem Heimatstandort Mainz am Rhein die Zivilisation aufrechtzuerhalten.
Machtdemonstration der Römer
Die Ausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum, die sich dem Ereignis und seinem geschichtlichen Kontext widmet, zeigt von diesen Accessoires etwa ein Schminkkästchen und ein Tintenfässchen.
Sie zeigt eine bürokratisch durchorganisierte römische Militärmaschine, die gerade an der Elbe erfolgreich ein Exempel statuiert hatte, um der in Bewegung befindlichen barbarischen Stammeswelt zu demonstrieren, dass Angriffe auf das Imperium unweigerlich einen Gegenschlag provozierten – früher oder später, mehr oder weniger mächtig, meistens eben „eine kurze, begrenzte Aktion“ (Barack Obama); und da weder der Marschflugkörper noch der UNO-Sicherheitsrat erfunden waren, rückte der Kaiser Maximinus Thrax mit international gemischten Bodentruppen im sogenannten freien Germanien ein, nahm alles mit, was er gebrauchen konnte (nicht viel außer Sklaven und Vieh) und hinterließ ansonsten verbrannte Erde.
Für zwei, drei Jahrzehnte, so das Kalkül, würden Bürger und Bauern jenseits des Limes dann ruhig schlafen können.
Diejenigen Germanen, die dem Heer an einem trockenen Herbsttag (das kann man rekonstruieren!) auf seinem Rückmarsch auflauerten, wollten vermutlich Gefangene und Vieh haben – und natürlich all die schönen Sachen, die die Römer so mit sich führten: Schwerter, Kettenhemden, Helme – von denen sie sofort die Schirme, die man dementsprechend auf dem Schlachtfeld gefunden hat, abbrachen, um nicht für Römer gehalten zu werden.
Enfesselte Höllenkräfte
Die wiederum erzeugten mit ihren Bogenschützen und Torsionsgeschützen – die so ähnlich wie ein Gummimotor bei Kinderfliegern funktionierten – eine Todeszone, in der man sich besser nicht aufhielt: Man vergleiche die Darstellung zu Beginn des Films „Gladiator“, als Russell Crowe den Auftrag gibt, die Höllenkräfte zu entfesseln („unleash hell“), nicht ohne vorher nüchtern festgestellt zu haben „People should know, when they’re conquered“. Die Germanen und ihre Nachfolger brauchten dafür bekanntlich bis zum 8. Mai 1945 – nach Christus.
Erobert wurde am Harzhorn nichts; die Bedeutung der seit 2008 wissenschaftlich erforschten Ausgrabungsstätte für die Geschichtswissenschaft ist die: Bisher fehlte der archäologische Beweis dafür, dass ein römisches Heer noch im dritten Jahrhundert, also zeitlich relativ nah am ’Untergang‘ des Römischen Reichs, so weit in den Norden Germaniens marschierte – die schriftlichen Quellen hatten das schon immer hergegeben, nur hatte man ihnen nicht geglaubt, ja sie in neuzeitlichen Editionen sogar, was Entfernungsangaben anging, korrigiert.
Aber jetzt: Wer will das alles wissen? Oder besser: Wer muss das wissen? Dient eine solche Ausstellung – wie auch das von manchen Lokalpolitikern bereits heiß ersehnte und mittelfristig zwangsläufig defizitäre Freilichtmuseum am Tatort – nicht ausschließlich der durchaus verständlichen, aber eben auch leicht größenwahnsinnigen Aufwertung eines touristisch eher unauffälligen Landstrichs: die Römer, hier bei uns, im Harz, in Braunschweig, in Niedersachsen!
Verleiht das endlich die Italianità, die deutsche Klein- wie Großstädte mit noch so vielen Straßencafés plus Klimawandel einfach nicht hinkriegen? Welche Bilder rufen denn die von der Menge her durchaus beeindruckenden Fundstücke eines mittleren Mordens ab, wenn nicht die von Sandalenfilmen oder Orks-gegen-Elben-Schlachten? Oder, realistischer, die eines Imperiums, das nicht mehr in der Lage ist, ein Land tatsächlich zu unterwerfen, sondern an seinen Rändern Mauern errichtet und die Barbaren mit Geld, Drohungen und schnellen Militärschlägen versucht in Schach zu halten?
Überflüssiges Wissen im Gehrin
Und nun aber andererseits: Was wäre schlecht daran, wenn die sorgsame Rekonstruktion eines geschichtlichen Ereignisses uns nicht überflüssiges Wissen ins Gehirn hängt à la „333 bei Issos Keilerei“, sondern einen eben gerade nicht aus der Gegenwart ins immer mittelaltermarktmäßige Germanien entlässt; eine Ausstellung, die verdeutlicht, wie beklemmend, wie real die Situation in Syrien, im Irak und in Afghanistan ist; wie schändlich der Todesstreifen Mittelmeer und die Mauer am Rio Grande.
Es ginge dann weniger darum, ob die Menschheit aus der Geschichte etwas lernt (eher nicht); sondern darum, dass hier und heute Geschichte stattfindet und nicht nur das Begrüßen eines neuen iPads, beziehungsweise die Phase des Wartens zwischen zwei Begrüßungen.
Diese Assoziationen muss man selbst mitbringen; und wenn es anders wäre, wenn also ständig auf die Gegenwart verwiesen würde, käme man sich wohl vor wie in einem DDR-Museum. Das Dilemma der Vermittlung ist objektiv: Auch für die Römer selbst war so etwas wie geschichtliche Entwicklung wegen der Länge der Auseinandersetzung mit den Barbaren nicht wirklich greifbar. Die Ausstellung macht das recht elegant klar, indem sie sich einen boshaften Satz aus Tacitus’ „Germania“ als Motto mitgibt: „So lange wird Germanien nun schon besiegt“ (tam diu Germania vincitur).
Natürlich gibt es allerhand Kurioses in der in acht Kapitel gegliederten Schau: Allein schon die Entdeckung des Schlachtfeldes durch zwei (mittlerweile entkriminalisierte) Schatzräuber, die eigentlich auf die Überreste einer mittelalterlichen Burg aus waren, ihre Funde erst zu Hause liegen ließen, um sie Jahre später im Internet feilzubieten, wo in wenigen Minuten der römische Ursprung festgestellt wurde – o schöne, schnelle heutige Welt!
Die Archäologen sind nicht recht zufrieden
Die Ausstellung dokumentiert diesen „Chat“ gleich zu Beginn, verfolgt mit teils prächtigen Leihgaben das Schicksal des Kaisers Maximinus Thrax, handelt Religion und Tod auf dem Schlachtfeld pflichtgemäß ab. Im zentralen Saal sind lebensgroße Zeichnungen der Protagonisten (Römischer Zenturio, Germanischer Schwertkämpfer usw.) im Stil der historischen Jugendbücher von Peter Conolly („Die römische Armee“) mit Ausrüstungsfunden zu sehen.
Dahinter laufen nachgestellte Kampfszenen, über welche die durch die Räume führenden Archäologen selbst nicht recht glücklich sind, weil man eben „nicht weiß, wie sich die Menschen damals bewegt haben“.
Bei allem Bemühen also (und auch im Gelingen) um Ernsthaftigkeit und Anschaulichkeit kollidiert die Ausstellung mit dem, was sie zeigt. Sie soll das Ausgegrabene groß machen, sie soll es eventisieren. Doch Rom war zu dieser Zeit schon ein Reich im Rückbau, ein Shrinking Imperium. Davon zeugt dieser Hinterhalt am Rande der Welt, bis heute so gottverlassen, dass man von der Ausrichtung der seit mehr als 2.000 Jahren unverändert im Boden steckenden Geschosse die Position der römischen Artillerie ableiten kann.
„Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn“. Niedersächsische Landesausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum (bis 19. Januar 2014)
Braunschweig ist aber immer eine Reise wert, schon deswegen, weil es am Bahnhof beides gibt: McDonald’s und Burger King.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste