Ausstellung zu Wand und Bild: Zeichnen mit der Abrissbirne
Wenn die Wand zum Bild wird: Die Ausstellung „Auf Zeit“ untersucht in der Kunsthalle Baden-Baden die Wand als Material und Bildträger.
Jeder meint zu wissen, was ein Bild ist, auch was ein Wandbild ist. Dabei ist seit knapp einhundert Jahren ein Prozess im Gange, der dies immer wieder zur Disposition stellt.
Oskar Schlemmer unterschied 1920 hellsichtig zwischen Wandbild und Wandgestaltung. Als Wandbild darf ein Gemälde gelten, das innerhalb rechtwinkliger Grenzen auf Putz aufgetragen ist. Eine Wandgestaltung hingegen bezieht sich auf den Raum, auf die Architektur.
Fast fünfzig Jahre später rückte die Wand selbst in das Blickfeld der Künstler. Lawrence Weiner bestimmte 1968 einfach ein Maß, 36x36 Zoll, und ließ diese Fläche von der Ausstellungswand abtragen. Es entstand eine Art Fenster, das die Mauer sichtbar machte.
Bis 27. Oktober, Kunsthalle Baden-Baden, Katalog (Verlag Walther König), 25 Euro.
In der Kunsthalle Baden-Baden ist derzeit auch ein quadratisches Stück Wand aus dem Putz gehauen, eine von Wiener autorisierte Neuaufführung seiner bahnbrechenden Arbeit. Sie dominiert alle anderen Arbeiten, eben weil Weiners Werk ein echtes Statement ist, künstlerische Arbeit und theoretische Behauptung in einem.
Wie kann man von Bilder erzählen, die wieder verschwunden sind
Die Kunsthalle Baden-Baden hat sich eines Themas angenommen, an das sich bislang niemand herangetraut hat. Eine Geschichte temporärer Wandmalereien, Wandgestaltungen und Wandinterventionen, wie soll das gehen? Die Ausstellungsidee entstand unabhängig auch in der Kunsthalle Bielefeld, sodass man sich einigte, nahezu zeitgleich zu eröffnen und gemeinsam ein Buch mit Aufsätzen zu produzieren. Das ist auf diese Weise zu einem Kompendium der Kunst auf und mit der Wand geworden.
In Bielefeld war Friedrich Meschede, der lange die DAAD-Galerie in Berlin geleitet hat, von einer Wandgestaltung Otto Herbert Hajeks ausgegangen, dessen „Farbweg“ 1971 als „Kunst am Bau realisiert“ wurde. In Baden-Baden gehören temporäre Wandarbeiten seit den siebziger Jahren zum Profil der Kunsthalle, was Johan Holten dazu inspirierte, eine Art moderne Archäologie zu betreiben.
Einige historische Arbeiten, darunter eine Wandzeichnung Sol LeWitts von 1976, ließen sich neu ausführen. Andere, wie Helmut Middendorfs Wandgemälde „Die Umarmung der Nacht“ aus dem Jahre 1983 oder die sich 1978 auch über Türrahmen und Leisten ziehende Wandzeichnung von Giuseppe Penone, sind durch Fotografien dokumentiert. Das gilt auch für Werke von Karin Sander, Michaela Melián und Corinne Wasmuht.
Eine sparsame Geste und ein Schock
Wirklich geschockt sei das Publikum 1970 gewesen, als Blinky Palermo eine seiner sparsamen Rauminterventionen im großen Oberlichtsaal realisiert hatte, erzählt Holten. Unterhalb des Frieses brachte der Künstler einen 15 Zentimeter breiten, tiefblauen Streifen an. Das war’s. Mit dem minimalen Eingriff störte er die Statik der Architektur, ließ quasi die Decke abheben. Die Hängefläche blieb frei, die Malerei war Teil des Raums geworden oder fand anderswo statt.
Franz Ackermann scheint beschlossen zu haben, dass dort doch wieder Malerei zu sehen sein soll. Er zog Palermos blauen Streifen auf und machte ihn zum Hintergrund eines alle vier Wände einbeziehenden Wandgemäldes. Seine farbige Bildwelt ist von seinen intimen Mental Maps abgeleitet, aus der Erinnerung erstellten Orientierungsskizzen, die symbolisch für unsere hochgradig komplexe, auf Mobilität ausgerichtete Gegenwart stehen. „Es ist schon faszinierend, wie etwas nicht Sesshaftes, für eine Zeit sesshaft wird“, kommentiert Ackermann seine Vorliebe für Wandmalerei.
Diskret auf die vorangegangene Kunst Bezug nehmen auch Elmgreen & Dragset. Das Duo kommentiert Lawrence Weiners Idee der Putzentnahme. Sie baten renommierte Ausstellungshäuser darum, eine rechteckige Fläche der jeweiligen Ausstellungswand abtragen zu dürfen, die sie nun, aufwendig gerahmt, als Exponate zeigen. So hängen nun – übrigens in ihrer Struktur äußerst unterschiedliche – Wandfragmente aus der Tate Modern in London oder dem Kunstmuseum Basel in Baden-Baden.
Löcher und Risse beschriften
Mit Humor nahm auch der Bulgare Nedko Solakov die Frage nach der Bedeutung der Wand für die Kunst auf. Der Documenta-Teilnehmer untersuchte, sozusagen mit der Nase am Objekt, die Wände seines Raumes und kommentierte kleine Löcher und Risse mit Bleistiftgraffiti wie beispielsweise dem Satz „Small hole in exile“. Ein Beitrag zum Wanddiskurs leistet auch der „Corner Basher“ der amerikanischen Bildhauerin Liz Larner aus den achtziger Jahren. Wenn der Besucher einen Knopf drückt, setzt er eine Art Miniaturabrissbirne in Gang, die zwei extra eingezogene Wände zertrümmert: Wandgestaltung durch Einsatz roher Kräfte.
Rohe Kräfte, fein dosiert, brachte der Franzose Pierre Huyghe zum Einsatz. In Kopfhöhe kratzte er den Putz von der Wand; kreisförmig, von innen nach außen, sodass die alten Farbschichten wie die Jahresringe eines Baumquerschnitts sichtbar wurden. In dieser Arbeit wird die Spurensuche der Baden-Badener Ausstellung sinnfällig. Sie ist zugleich eine Anspielung auf Lawrence Weiners revolutionäre temporäre Putzentnahme und historische Recherche wie auch für sich stehend: Zeichnung.
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