Ausstellung zu Urheberschaften: Der feine Unterschied zum Vorbild

Giorgio de Chirico kopierte sich selbst, bis zu 60-mal, Franz von Lenbach hielt sich an alte Meister. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe zeigt „Déjà vu?“.

Orginal und Kopien: Warhol'sche Maos in der Karlsruher Kunsthalle. Bild: dpa

Was ist eigentlich Kunst? Ein Pissoir? Oder ein Flaschentrockner, nur weil der Name Marcel Duchamp dransteht? Ist ein Bild „ein Dürer“, wenn es eigentlich eine Federzeichnungskopie eines Druckes eines anderen Malers ist? Und ist ein Siebdruck von Elaine Sturtevant, der ein Bild von Andy Warhol zeigt, ein Nachdruck oder ein echter Sturtevant?

Wie sehr sich die Spur des Kopierens durch die europäische Kunst zieht, zeigt die Ausstellung „Déjà vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube“ in Karlsruhe.

Kopiert wurde in der Kunst immer schon. So hat Pieter Brueghel d. J. eine Komposition seines Vaters, die „Anbetung der Könige im Schnee“, übernommen, und zwar fast detailgetreu, und von 1606 bis 1633 mindestens ein Dutzend Mal nachgemalt. Beziehungsweise nachmalen lassen, denn Brueghel hat, wie viele andere Maler seiner Zeit, eine ganze Werkstatt unterhalten. Außerdem entsprechen sich die Figuren so genau, dass man inzwischen die Verwendung von Lochpausen oder Schablonen annimmt: eine wahre Malfabrik.

Beweis des Könnens

Auch Giorgio de Chirico musste verdienen und kopierte sich gleich selbst: Seine „metaphysischen Malereien“ waren derart gefragt, dass er aus Geldnot die berühmte „Piazza d’Italia“ bis in die Fünfzigerjahre hinein immer wieder malte, einige Details veränderte, dafür manches aber rückdatierte und künstlich altern ließ – über fünfzig Versionen sind bekannt, von seiner „Isola di San Giorgio“ mindestens 60 Fassungen. Sogar von seinem gefragten Selbstporträt gibt es ein Dutzend Exemplare: Das „Original“ behielt er, die Kopien verkaufte er an seine Sammler.

Für viele Künstler gehörte das Kopieren jahrhundertelang zu ihrer Ausbildung. Man pilgerte nach Dresden zur „Sixtinischen Madonna“ oder nach Italien zu den alten Meistern. Die möglichst genaue Kopie war dann auch ein Beweis des eigenen Könnens. Das ging so weit, dass man bei guten Malern zweiten Ranges auch Kopien der großen Meister bestellen konnte – Franz von Lenbach zum Beispiel hat sie gerne geliefert.

Der Co-Kurator der Ausstellung, Wolfgang Ullrich von der Karlsruher Hochschule für Gestaltung, weist darauf hin, dass es in der Kunsthalle aber nicht darum geht, ob eine Kopie genauso gut wie das Original sein kann: „Vielmehr besteht das Ziel darin, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Wiederholung eines Werkes auch besser oder bedeutsamer, subtiler oder provokanter, in jedem Fall aber auf bedenkenswerte Weise anders sein kann als dieses selbst.“

Geistiges Eigentum neu diskutiert

Zu einem „positiveren und komplexeren Begriff des Wiederholens von Kunst“ sollen die Besucher gelangen. Zudem werde jetzt, im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, die Frage des Urheberrechts und des geistigen Eigentums ganz neu diskutiert: „Das Interesse gilt heutzutage also den Nuancen der Differenz zwischen Vor- und Nachbild, der Entfaltung der Potentiale, die in einem Original stecken, und nicht zuletzt den oft artistischen Fähigkeiten, derer es bedarf, um etwas zu wiederholen.“

Die Diskussion um das Copyright ist übrigens älter, als man dachte: Albrecht Dürer, einer der meistkopierten Künstler aller Zeiten, ließ z. B. Kopien seines Kupferstichs „Das Liebespaar und der Tod“ (um 1498) zu, griff aber ein, als dann auch sein berühmtes Monogramm, das ineinandergefügte A. D., mit kopiert wurde: Offensichtlich begriff er es als Markenzeichen und soll, so erzählt Vasari, nach Venedig geeilt sein und Marcantonio Raimondi angeklagt haben. Und selbst der Nürnberger Rat soll Maßnahmen gegen Markenzeichendiebe ergriffen haben.

Mit einer Fülle von gegenübergestellten Originalen und Kopien zeigt die Staatliche Kunsthalle das breite Spektrum dieser aufregenden Geschichte, „von Dürer bis Youtube“. Zwar beschäftigen sich Kunsthistoriker, wie die Kuratorin Dr. Ariane Mensger sagt, „nur mit Originalen“, aber der Betrachter kommt doch ins Grübeln, wenn er vier fast identische Flaschentrockner nebeneinander sieht – zwei geschützt unter einem Glassturz, zwei nicht.

Einen davon hat Duchamp mit einem Brief quasi „fernsigniert“, einer wurde extra zur Ausstellung angefertigt, einer ist sogar aus einer Multiple-Serie. Ist der eine Kunst, die anderen nicht? Ist ein Stück einer Multiple-Serie, die ein Readymade vervielfältigt, ein Original? Eine Kopie? Eine Skulptur?

Sichtbar schwindeln

Eindeutiger als Spiel zwischen Original und Neuerschaffung geht der Künstler Goran Djordjevic vor, der sich mal Kazimir Malevich, mal Walter Benjamin nennt und als solche auch Texte verfasst. In Karlsruhe hat er nach einem historischen Foto die berühmte „Letzte Futuristische Ausstellung 0,10“ von 1915 nachgebaut, hat die darauf abgebildeten 21 Gemälde nachgemalt, vor allem das paradigmatische „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ von Malevich. Aber das so „schlecht“, dass man den „Schwindel“ sofort merkt.

Die intelligent aufgebaute Ausstellung mit prächtigen Beispielen von van Gogh bis Beuys, Manet bis Cindy Sherman, von Lucas Cranach bis Thomas Struth führt quer durch die Kunstgeschichte und gibt viele Denkanstöße, passend zur aktuellen Copyright-Debatte, aber auch überhaupt zur Frage: Was ist Kunst? Ist sie vielleicht nicht sowieso nur im Kopf, ein Konzept, wie Mensger meint?

Bis 5. August in der Kunsthalle Karlsruhe. Katalog, Kerber Verlag, 35 Euro

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.