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Ausstellung über WunschzettelVorgedruckter Gehorsam

Wunschzettel aus 250 Jahren - aber mit dem Wünschen frei von Manipulation war es nie sonderlich weit her.

Weit und breit keine Krippe: Dieser Wunschzettel von 1914 setzt eher auf den Reiz von Apfel, Nuss und Mandelkern Bild: Katalog

HAMBURG taz | Eigentlich ist dies die Geschichte einer Emanzipation. Der lang ersehnten Ablösung vom bedingungslosen Gehorsam des Kindes den Eltern gegenüber, wie er bis ins 19. Jahrhundert hinein in Deutschland selbstverständlich war: Lautlos, unterwürfig und vor allem dankbar sollte das Kind sein - dafür, dass man es geboren hatte, es kleidete und nicht vorsätzlich verhungern ließ.

Dabei litt das Großbürgertum, das diese Dankbarkeit besonders vehement einforderte, keine materielle Not. Gelobt werden wollte man trotzdem, eine Art elterlicher Selbstbespiegelung, bei der es egal war, ob sie freiwillig kam oder nicht. Und das System, Hauslehrer, Pfarrer, Schulen, spielten mit, stützten diese autoritäre Ideologie.

Anfangs Segenswünsche

Ein plastisches Beispiel ist die Wunschzettel-Kultur, wie sie derzeit in Hamburg das Altonaer Museum präsentiert: Von 1731 bis in die Gegenwart reichen die Blätter, welche die Kuratoren - neben Schreibgerät, Weihnachtsbaum und Puppenhaus - dort arrangiert haben.

Wer glaubte, über etwas so Profanes wie den Weihnachts-Wunschzettel Bescheid zu wissen, der irrt. Ursprünglich - im Barock, als die Jahreswend-Wunschzettel aufkamen - fanden sich darauf keineswegs irgendwelche Spielzeug-Wünsche. Die ersten Blätter waren vielmehr mit kalligrafischen Girlanden, Blumen oder christlichen Motiven verzierte Blätter, auf denen Segenswünsche für Vater, Mutter, Onkel und Tante standen.

Ersonnen hatten diese Texte Pfarrer, Lehrer und Küster, aufgeschrieben hatten sie Schreibmeister, eine Art Schönschrift-Lehrer. Als Vordruck konnte man diese Bögen in Buch- und Schreibwarenhandlungen kaufen, sodass die Kinder nur noch die Namen der Adressaten sowie das Datum eintragen mussten. Diese Druckgrafiken galten als Andachtsbild und Schmuckdokument zugleich und wurden später gerahmt ins bürgerliche Wohnzimmer gehängt.

Damit ungelenke Kinderschrift die Ästhetik so wenig wie möglich störte, wurde sie auf ein Minimum reduziert. Allerdings musste der aufgeschriebene Text zusätzlich am Weihnachtsabend aufgesagt werden, damit die Eltern sahen, was der Hauslehrer dem Kind beigebracht hatte. Ein Brauch, so norddeutsch-protestantisch wie egozentrisch.

Das Weltliche kommt

Ob es nun in den individuellen Wünschen sich begründete oder nicht vielmehr im aufkeimenden Kommerz: Die Zeiten änderten sich. Um 1840 gerieten die bis dahin üblichen christlichen Motive an den Rand, Bürgerlich-Weltliches kam in den Mittelpunkt. Fortan saß nicht mehr Jesus beim Abendmahl, sondern die bürgerliche Familie am Gabentisch - samt Puppe und Schaukelpferd. Da wiegte nicht mehr die heilige Maria das Jesuskind, sondern die bürgerliche Mutter ihr Baby. Die Motivik also war geblieben, der Kontext aber verweltlicht.

Kein Zufall wohl auch, dass zur selben Zeit billige Lithografien in hohen Auflagen den zuvor üblichen Kupfertiefdruck ersetzten. So als wären die sich säkularisierenden Wunschzettel eine Art Vorhut der einsetzenden Spielzeug-Massenproduktion. Jedenfalls hat der Mechanismus funktioniert: Auch für die weniger Wohlhabenden wurde Weihnachten zum Fest des Konsums.

Getarnter Versandkatalog

Dass die Wunschzettel nicht mehr um Segen für die Eltern baten, sondern um Geschenke für den Verfasser, mag irgendwann im Nachhinein aufgefallen sein. Auch bei diesen, gewissermaßen kapitalistischen Zetteln ist der Großteil vorgedruckt. Firmenname und Bilder des zu Wünschenden finden sich darauf, und vorsichtshalber ist die erste Zeile schon ausgefüllt: "eine Mundharmonika von Hohner", steht etwa auf einem Exponat aus den 1950er-Jahren. Innen finden sich weitere Gegenstände abgebildet. Man könnte sagen: ein Versandhauskatalog, als Wunschzettel getarnt.

Von einer Emanzipation kann also nicht die Rede sein. Die Bevormundung der Kinder war geblieben, ihre Methode hatte sich gewandelt: An die Stelle autoritärer Erziehung war die Manipulation durch die Werbeindustrie getreten, die nur scheinbar mehr Freiheiten ließ. Das allerdings funktionierte offenbar sehr gut: Otto, Karstadt und andere kopierten das Prinzip Wunschzettel-Vordruck. Ergebnisse aus den 30er- bis 50er-Jahren sind nun im Altonaer Museum zu sehen.

Filigran oder gar künstlerisch sind diese "Briefe an das liebe Christkind" nicht mehr, vielmehr kindlich-schrill bis bunt. Es gab auch individuelle Wunschzettel, etwa an den "überlieben Papa".

Aber solche stehen nicht im Zentrum der Ausstellung. Die versteht sich vielmehr als kulturgeschichtlicher Abriss und bietet ein schlaues Lehrstück über noch heute funktionierende Methoden von Konsum und Kapitalismus. Denn dessen Manipulationen sind ja längst nicht ausdiskutiert. Oder glauben Sie, dass die Post Kinderbriefe nach Himmelpforten aus Menschenfreundlichkeit handschriftlich beantwortet?

"Kann sein", sagt Torkild Hinrichsen, Chef des Museums und Kurator der Ausstellung: Vielleicht hätten die pensionierten Postbeamten, die damit vor Jahren anfingen, das anfangs aus solch hehren Motiven getan. Inzwischen aber agiere die Post wohl aus reiner Kommerzlogik: Es sei schlicht billiger, die Zuschriften zu beantworten, als sie zurückzuschicken.

Was Individualismus und, ja, den Wunsch Emanzipation betrifft, sind auch heutige Wunschzettel, von denen da auch ein Dutzend hängt, nicht viel weiter. Neun von zehn Kindern wünschen sich Skateboards und Rollerblades, Pferde und Hunde. Wobei das mit den Haustieren schon wieder tröstlich ist: Solche Wünsche sind kaum Resultat irgendwelcher PR-Kampagnen. Schwer vorstellbar, dass etwa Tierheime dafür werben, Jungtiere aufzunehmen, nur um sie ein paar Monate später wiederzubekommen. Wie auch bei jenen Kindern, die sich "Frieden" wünschen, besteht hier Hoffnung auf eine wirkliche Emanzipation - vom Konsum.

"Wunschlos! Glücklich?": bis 9. 1. 2012, Hamburg, Altonaer Museum Torkild Hinrichsen: "Weihnachtsbriefe und Wunschzettel. Vom 18. Jahrhundert bis heute", Husum Verlag, 95 S. mit zahlr. Abb., 11,95 Euro

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