Ausstellung über NS-Architektur: Deutschland, einig Lagerland
Die Schau „Macht Raum Gewalt“ in der Berliner Akademie der Künste zeigt: Im Nationalsozialismus wurden vor allem Baracken für Zwangsarbeiter gebaut.
Ein nettes Häuschen, wie man so sagt, eingeschossig und mit Spitzdach versehen. Links und rechts des Gebäudes ist eine hoch gewachsene Hecke zu erkennen, zwischen der sich ein Tor für die Besucher des Grundstücks öffnet. Zwei Fahnenmasten vervollständigen das Ensemble.
Die Hecke besteht aber nicht aus Buschwerk. Es handelt sich vielmehr um einen mit Blättern getarnten Maschendrahtzaun. An den Masten hängt links die Flagge der SS, rechts flattert ein Hakenkreuz. Das Häuschen ist mitnichten Unterkunft einer treu sorgenden Familie. Es dient SS-Personal als Wohngebäude – auf dem Gelände des Vernichtungslagers Sobibor im deutsch besetzten Polen.
Halb fertige Ruinen in einer Trümmerlandschaft
Architektur unter dem Nationalsozialismus wird bis heute vor allem anhand ihrer überdimensionierten neoklassizistischen Pracht- und Protzbauten identifiziert. Da verweisen quadratische Säulenreihen auf die Macht und Stärke von Staat und Partei. Gewaltige Stadionbauten können hunderttausende Claqueure fassen. Ganze Stadtzentren sollten im Stile dieser imperialem Architektur umgestaltet werden. Doch am Ende blieb es vornehmlich bei Plänen auf dem Reißbrett, garniert mit einigen halb fertigen Ruinen in einer Trümmerlandschaft.
„Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus.“ Bis 16. Juli 2023. Akademie der Künste, Berlin. Der Katalog umfasst 320 Seiten und kostet 20 Euro.
In Berlin tritt nun die Ausstellung „Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus“ an, um diese herkömmliche Vorstellung des NS-Bauwesens vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die vorgebliche Faszination der gigantischen Germania-Pläne des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt, Albert Speer, wird dort zwar nicht ausgespart, aber doch ein wenig an den Rand gerückt. Das Fazit der unabhängigen Expertenkommission, die sich über fünf Jahre im Auftrag des Bundesbauministeriums des Themas bemächtigt hat, fällt eindeutig aus: Bauen im Nationalsozialismus folgte nur in wenigen, vor allem dem Staat gewidmeten Gebäuden den landläufigen Vorstellungen. Bauen, das war zuvorderst das Errichten von Baracken. Diese Bauwerke dienten vornehmlich verbrecherischen Zielen und wurden auch auf verbrecherische Art und Weise hergestellt.
Es gab Wichtigeres zu bauen als Wohnungen
„Deutschland, einig Lagerland“, so überspitzt nennt Wolfram Pyta von der Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte die dahinterliegenden Vorstellungen. Das Naziregime erhob den Alltag im Lager zur erstrebenswerten Lebensform, sei es, im günstigsten Fall, bei Ferienlagern, sei es, für jene, die zu Staatsfeinden erklärt worden waren, in Konzentrationslagern.
Die allenthalben erbauten Siedlungshäuschen für das SS-Personal von Konzentrationslagern dienten dabei eher als Zuckerguss für das Wohlverhalten der Täter. Die von den Nazis in den 1930er Jahren errichteten „Mustersiedlungen“ kleiner, von einem Nutzgarten umgebener Wohnhäuser blieben seltene Ausnahmen. Tatsächlich sanken die staatlichen Investitionen für den Wohnungsbau. Freilich, es gab Wichtigeres zu bauen: Angefangen mit dem Westwall nahe der Rheingrenze, fortgesetzt mit großen Fabriken für die Rüstungsprojekte, gekrönt mit den Baracken von Auschwitz, Sachsenhausen und all den anderen Orten des industriellen Mordens.
Gab es für die Baracken Architekten?
Ein großes Landschaftsrelief zeigt in der Berliner Ausstellung das Gelände des KZ Flossenbürg. Der Bau solcher und hunderter weiterer Lager in halb Europa wäre ohne den Einsatz von Zwangsarbeitern unmöglich gewesen. Baracken, unterirdische Stollen, Straßen, Bunker und Sperranlagen wurden nicht von fröhlichen „Volksgenossen“ errichtet, denen – der NS-Propaganda folgend – nun endlich Lohn und Brot gegeben werde. Sondern von Zwangsarbeitern aus dem besetzten Ausland, von denen ein erheblicher Teil die Arbeit auf den Baustellen nicht überlebte. „Unsere Kernthese ist, dass das Verbrecherische weniger die bekannten, riesigen neoklassizistischen Formen der Repräsentationsarchitektur waren, sondern vielmehr die mörderischen Produktionsbedingungen“, sagt Kurator Benedikt Goebel.
Ganz mag sich die Schau in Berlin doch nicht von Speer’schen Säulengängen trennen. Ein großes hölzernes Modell der geplanten „Hauptstadt der Bewegung“ München ist zu sehen, auch auf den Bau von Reichsautobahnen wird eingegangen. Dagegen ist nichts zu sagen, zumal die Schaustücke in Kontext gesetzt werden. Eine Baugeschichte der NS-Baracke sucht man aber vergeblich. Wie viele Stunden der Zwangsarbeit waren notwendig, um die lang gestreckten KZ-Unterkünfte hinzustellen? Und gab es für so etwas eigentlich Architekten? Auch das „Sonderprogramm Prof. Speer“ wird nicht erwähnt: Im September 1942 baute Speer Auschwitz-Birkenau zum Vernichtungslager aus und zu einem Lager, um über 100.000 Menschen als Sklavenarbeiter gefangen zu halten.
Die glückliche Zeit der NS-Baumeister nach 1945
Ausführlich geht die Ausstellung dagegen auf die in aller Regel glückliche Zeit der NS-Baumeister nach 1945 ein. Die meisten der 150 gezeigten Architekten konnten ihre Karrieren nahtlos fortsetzen, eine ganze Reihe von ihnen wurde mit Bundesverdienstkreuzen dekoriert und 75 bis 80 Prozent der nach dem Krieg in Westdeutschland in leitender Stellung tätigen Baubeamten hatten zuvor ihre schönen Posten im Nationalsozialismus innegehabt.
Es wird jedenfalls am richtigen Ort über NS-Architektur informiert: Am Berliner Pariser Platz 4, dem Standort der Akademie der Künste, hatte einst schon Albert Speer seine Räumlichkeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind