Ausstellung über Mafiaorganisationen: Mannheim, Mord und Montechiaro
In Mannheim läuft eine beeindruckende Fotoausstellung über italienische Mafiaorganisationen. Nur eines fehlt: die Spuren der Mafia in Mannheim.
„Tat/Ort – (Un)heimliche Spuren der Mafia“ heißt der etwas bemüht wortspielerische Titel einer Ausstellung großartiger Fotografien von Tommaso Bonaventura und Alessandrio Imbriacco. Die rund 50 Arbeiten in dem gleichzeitig isolationshaftmäßig ausgeleuchtet wie bedrückend tiefgaragig wirkenden Großraum der Mannheimer Galerie Zephyr zeigen teils überaus idyllische italienische Orte, in denen die Mafia Fuß gefasst hat.
Die Schau kulminiert in einer Videoprojektion eines Tatorts auf Sizilien. Der Blick des Betrachters wird von einem schwarzen Längsbalken bestimmt, der die beiden großen Projektionsflächen trennt: Diese Perspektive auf die Autobahn A29 in Capaci nahe Palermo teilt man von nun an mit dem Boss der Cosa Nostra, Giovanni Brusca, der am 23. Mai 1992 400 Kilogramm TNT in dem Moment zündete, als die Autokolonne mit Giovanni Falcone vorbeifuhr.
Mit dem Untersuchungsrichter, der zur Ikone des Anti-Mafia-Kampfes geworden ist, starben seine Frau und die drei Leibwächter seiner Eskorte. Wer also etwas über die Mafia in Italien sehen will, muss sich beeilen – die Ausstellung samt umfangreichen Begleitprogramm läuft nur noch bis zum 20. Juli. Sie ist das politisch Ernsthafteste und ästhetisch Beeindruckendste, was in Deutschland zu diesem Phänomen seit langer Zeit zu sehen war.
Wer allerdings nach Mannheim fährt, um etwas über die Mafia in Deutschland zu erfahren, wird deutlich schlechter bedient. Zumindest dann, wenn man sich von einem Termin bei der Mannheimer Staatsanwaltschaft Aufklärung über die Hintergründe eines mutmaßlichen Mafia-Doppelmords im Stadtteil Kirschgartshausen vom 13. Mai 2013 erhofft.
Route des Todes
Nicht dass der Sprecher der Mannheimer Behörde, Andreas Grossmann, 53, unbedingt die Tat/Ort-Ausstellung besuchen müsste – es ist eher so, dass die Zurückhaltung, die eigene Stadt als Tatort in den Blick zu nehmen, merkwürdig anmutet angesichts der legendären „Pista della morte“, der Route des Todes, die Mannheim mit einem Ort im Süden Siziliens verbindet: Palma di Montechiaro.
Die Geschichte, die man erzählen muss, geht so: Im Zuge der italienischen Einwanderung aus der Gegend um Palma di Montechiaro, insbesondere in den Stadtteil Jungbusch, kam auch die Mafia nach Mannheim – natürlich nicht als Selbstläufer.
Ob eine kriminelle Organisation sich entschließt, in einem fremden Territorium aktiv zu werden, hängt nicht zuletzt vom Verfolgungsdruck durch die heimischen Behörden ab. Vor allem aber muss es am Zielort Nachfrage geben für das, was die Mafia anzubieten hat: Abwicklung und Schutz illegaler Geschäfte.
Anfang der 1990er war es in Mannheim so weit, dass die Präsenz der Mafia nicht mehr zu übersehen war. Im Spiegel erschienen Reportagen über die süddeutsche Stadt als Rückzugs-, aber eben auch als Operationsgebiet verfeindeter Flügel der Cosa Nostra.
Deren Krieg in der sizilianischen Provinz Agrigent kostete über 300 Tote: Mafiosi, Polizisten, Staatsanwälte. Giovanni Falcones Mitstreiter und Freund Paolo Borsellino kam auf seiner letzten Dienstreise im Juli 1992 nach Mannheim, um die deutsche Spur zu verfolgen – wenige Tage danach wurde er in Palermo von der Cosa Nostra ermordet.
Auch in Mannheim wurde geschossen, getötet, verhaftet und verurteilt – dann schien der Mafiakrieg auf deutschem Boden plötzlich vorbei. Und der einstmals heruntergekommene Rotlichtbezirk Jungbusch ist heute ein innerstädtischer Hotspot der jungen Kreativen und der Immobilienmakler.
In Palma aber wurde es nie wirklich ruhig. Dass zu seiner weiteren Umgebung auch Mannheim gehört, wurde auf spektakuläre Weise am 26. November 2011 klar, als Calogero Burgio, 39, in Palma mit einer Kalaschnikow erschossen wurde. Burgio war aus Deutschland in seinen Geburtsort Palma gekommen, um Arbeiten an seinem dortigen Wohnhaus durchzuführen.
Pate von Mannheim
Am 26. Januar 2012 war dann Giuseppe Condello, 41, an der Reihe, dessen verbrannte und von Kugeln durchsiebte Leiche – und die seines Fahrers – unter einer Unterführung nahe Palma gefunden wurden. Giuseppe Condello wird in einem Bericht von wired.it schlicht als Pate von Mannheim geführt.
Die lokale Presse sprach von klaren Mafiataten und von einer Stadt Palma, die sich nach Jahren des mehr recht als schlecht unterdrückten Hasses mit der Realität eines neuen Kriegs konfrontiert sehe. Dann geschahen die Morde im dörflichen Mannheimer Stadtteil Kirschgartshausen am 13. Mai 2013.
Die mutmaßlichen Killer erschossen Rinda T. und den aus Palma stammenden Calogero N. , 45, dessen Vater schon Anfang der 1990er Jahre ein Opfer des Mafiakriegs in Sizilien geworden war. Der Mannheimer Morgen schrieb, das Ehepaar sei „buchstäblich hingerichtet, von Schüssen durchlöchert“ worden. Die Ermordeten wurden in Neustadt a. d. Weinstraße bestattet, dort und im Jungbusch soll Calogero N. Lokale betrieben haben.
Deutsche Ermittler in Palermo
Im Sommer zitierte dann die italienische Presse die heimische Staatsanwaltschaft, Ermittler aus Mannheim sowie vom BKA hätten sich auf den Weg in die sizilianische Hauptstadt Palermo gemacht.
Thema des Treffens am 26. August 2013 sei ein neuer Mafiakrieg um Einflusszonen in Deutschland – konkret: in Mannheim – gewesen. Angeführt wurden in diesem Zusammenhang unter anderem die Morde an Burgio und Condello, die Hinrichtungen von Kirschgartshausen blieben unerwähnt.
Die Mannheimer Staatsanwaltschaft wollte damals auf Anfrage der taz den Besuch in Palermo nicht kommentieren, heute räumt Andreas Grossmann den Zusammenhang mit dem Doppelmord in Deutschland ein.
Fragen nach Condello und Burgio sowie einer Reihe weiterer Opfer und Täter, bei denen die Verbindung Mannheim-Palma di Montechiaro ins Auge fällt, bleiben hingegen unbeantwortet. Kommentieren möchte Oberstaatsanwalt Grossmann auch nicht, warum die Polizei keine Fotos der Mordopfer von Kirschgartshausen veröffentlicht hat.
„Vorsicht Mafia“
Der Mannheimer Calogero N. war der Polizei kein Unbekannter. Es ging um Verstöße gegen das Waffengesetz, das Betäubungsmittelgesetz und um Urkundenfälschung. Auf dem Gehöft des Ehepaares stießen die Ermittler auf zusätzliches Beweismaterial. Doch eine heiße Spur gab es nicht. Im September 2013 wurde die 40-köpfige „Soko Kirschgarten“ aufgelöst und in eine 10-köpfige „Ermittlungsgruppe“ umgewandelt.
Neue Nahrung bekam der Fall durch die Dokumentation „Vorsicht Mafia“ zur sogenannten Baumafia in NRW, die im April 2014 im deutschen Fernsehen lief.
Einer der Macher des Films, Marko Rösseler: „Bei unseren Recherchen stellten wir fest, dass die meisten Italiener, die an solchen Geschäften in Deutschland beteiligt sind, aus einer Region auf Sizilien stammen. Vor einiger Zeit wurden dort zwei Menschen erschossen. Alle, die wir gefragt haben, waren sich einig, dass diese Morde mit Verteilungskämpfen in Deutschland zu tun hatten.“
Die Gegend, von der Rösseler spricht, ist das Örtchen Licata, 20 Kilometer von Palma di Montechiaro entfernt.
Zu viel Kokain
In der Doku sagt ein ausgestiegener Killer der Cosa Nostra, dass er den im Januar 2012 in Palma ermordeten Giuseppe Condello aus Sizilien kannte und ihn später in Deutschland wiedergetroffen habe.
„Condello war der Boss des Abschnitts (’mandamento‘) Mannheim. Das Todesurteil für ihn wurde von den Bossen der Abschnitte der Provinz Agrigent diskutiert. Keiner wollte eine Entscheidung treffen, aber man war sich einig, dass Condello außer Kontrolle geraten war, er nahm zu viel Kokain, man konnte sich nicht mehr auf ihn verlassen. Und dann hat der Boss der Bosse der Cosa Nostra, Matteo Messina Denaro sich eingeschaltet und gesagt: entweder ihr erledigt das oder ich.“
Matteo Messina Denaro (geb. 1962) ist einer der meistgesuchten Kriminellen weltweit, seit er 1993 untertauchte. Der WAZ-Journalist David Schraven schreibt im Blog „Mafia in Deutschland“, einem Teil des Rechercheprojekts, aus dem auch der Film „Vorsicht Mafia“ entstand, dass nach dem Mord an Condello in seiner Bande „Panik ausgebrochen“ sei.
„Weitere Italiener aus Deutschland verschwanden oder wurden spektakulär in Sizilien hingerichtet. Deutsche Fahnder sprechen von einem deutschen Mafiakrieg, der im Ausland geführt wird.“
Nicht „übervorsichtig“ wegen NSU
Nur im Ausland? Das muss man bei Betrachtung der Umstände des Doppelmords von Kirschgartshausen fragen – nur erfährt man nicht, ob die Mannheimer Ermittler dies auch tun. „Übervorsichtig“ wegen der Fehlbewertung beim Terrorismus des NSU, dessen Morde bundesweit im Bereich der organisierten Kriminalität verortet wurden, sei man in Mannheim jedenfalls nicht, sagt Staatsanwalt Andreas Grossmann. „Aus damaliger Sicht“ sei das „naheliegend“ gewesen.
Und so bleibt, während man in der Galerie Zephyr immer neue Details in den Bildern und im grandios sorgfältigen Begleitheft entdeckt, der Eindruck, man halte es in Mannheim mit einem Nachbarn von Calogero N. und Rinda T., den der Mannheimer Morgen in seinem Artikel zum Jahrestag des Verbrechens zitiert: „Direkt danach hatten wir Angst. Wir dachten, da geht einer um und nietet wahllos alles um. Aber als es dann hieß, dass die Tat einen Mafia-Hintergrund hat, da war das für uns abgehakt.“
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