Ausstellung über Georgien-Feldzug: Nato-Kochgeschirr als Kriegsbeute
Derzeit präsentiert Moskaus Museum der Streitkräfte Trophäen des russischen August-Feldzuges gegen Georgien. Nicht alle sind mit der Aufarbeitung der Ereignisse einverstanden.
MOSKAU taz Murat steht lange vor den Fotos, die auf einem Papierstreifen wie ein Fliegenfänger von der Decke hängen. Als Haken dient ein rotes Fragezeichen. Die Fotos zeigen Georgiens Präsidenten Micheil Saakaschwili im Kaukasus-Feldzug vor zwei Monaten in unvorteilhaften Posen: Mal liegt der Staatschef hilflos auf dem Boden und sucht vor Granatsplittern Schutz, mal wird er von Leibwächtern unsanft in die Knie gezwungen. Immer aber ist sein Blick ängstlich und fast ein wenig irr. Dieser Mann sei nicht Herr seiner selbst, könnte die unterschwellige Botschaft lauten. Das Moskauer Museum der Streitkräfte zeigt in der Ausstellung "Kaukasus. Fünf Tage im August" Trophäen und Memorabilien aus dem siegreichen Kurzkrieg gegen die Kaukasusrepublik. Dazu gehört auch die Fotosammlung.
Der 39-jährige Murat studiert die Exponate aufmerksam. Die Schuldigen des Krieges stehen für ihn aber schon länger fest. "Außer Diktator Saakaschwili sind die USA und die Europäer für das Blutvergießen verantwortlich", erklärt der in Moskau lebende gebürtige Usbeke. Rund zwei Drittel der Russen denken wie Murat, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Im stolzen Nachkriegs-Russland ist der Patriotismus nicht frei von Angst. Aber Krieg und Sieg stifteten ein Gefühl des Zusammenhalts und sie tragen dazu bei, dass schmachvolle Niederlagen in Vergessenheit geraten: die sowjetische Pleite in Afghanistan, die Implosion des Imperiums, zwei Tschetschenienkriege.
"Die Ausstellung soll Besuchern, die sich nicht in Medien informieren, vermitteln, was im August geschehen ist", sagt der Kurator Wladimir Semtschenko. Die Information fällt gewollt etwas einseitig aus. Dort steht der georgische Gegner, hier die Friedenskraft Russland, die einen angeblich guten, weil gerechten Krieg führt. Nur die militärische Überlegenheit schmälert das Verdienst. Schließlich standen sich die Armeen eines 140-Millionen-Volkes und eines Staates mit lediglich 4 Millionen Einwohnern gegenüber. Solchen Einwänden beugen die Ausstellungsmacher vor, indem sie eine Phalanx georgischer Verbündeter nennen. Dies suggeriert zumindest eine minuziös von der Armeezeitung Roter Stern aufgestellte Liste aller georgischen Geschäftspartner. Demnach lieferten Bulgaren die Maschinengewehre, Türken das Trockenbrot und Truppentransporter, Letten die Funktechnik und Kalaschnikows, Serben die Patronen und Israel weitere Sturmgewehre. Die Schlafsäcke sollen aus Beständen der deutschen Bundeswehr stammen.
Für die Lieferung komplizierter Geräte und die Ausbildung der Soldaten seien die USA zuständig gewesen. Wie zum Beleg werden erbeutete Gebrauchsanweisungen wie jene für das Zielgerät Aimpoint Coup M 3 präsentiert. Zu den weiteren Unterstützern Georgiens gehören nach Lesart des Museums neben Tschechen, Litauern, Franzosen und Bürgern aus Bosnien-Herzegowina auch Ungarn und Ukrainer. Der Kreml behauptet seit langem, die Welt habe sich gegen Russland verschworen.
"Rostfreien Stahl haben die und wir nur Aluminium", wundert sich eine ältere Dame vor einer Vitrine mit Armee-Kochgeschirr aus Nato-Beständen, "aber hat ihnen das was genützt?" Überlegene westliche Technik löst in Russland seit je ein Gefühl der Unterlegenheit aus. Ideologisch wird der Rückstand immer auf dieselbe Weise verarbeitet: Bessere Kampfmoral gleiche den technologischen Mangel aus, behauptet der Mythos.
Kampfgeist hätten die Georgier nicht bewiesen, erklärt ein Besucher. Sonst hätten sie teure Ausrüstungen, militärische Hoheitszeichen und Regimentsbanner doch nicht einfach stehen und liegen lassen. Nicht ganz einverstanden mit der Aufbereitung ist auch ein Besucher aus Ossetien. Sie sei etwas einseitig, meint er. In der heroischen Darstellung vermisse er vor allem "den Beitrag der Südosseten. Sollen es nur russische Soldaten gewesen sein, die Heldentaten vollbrachten?"
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