Ausstellung mit 125 Van Gogh Bildern: Mission Moderne
Die Jahrhundertschau des Sonderbundes 1912 in Köln wurde jetzt in einer Ausstellung des Wallraf-Richartz-Museum wunderbar rekonstruiert.
Das Wallraf-Richartz-Museum erinnert sich: vor 100 Jahren, da spielte die Musik in Köln, jedenfalls, was die neue bildende Kunst betraf. Der in Düsseldorf gegründete Sonderbund wollte seiner vierten Ausstellung durch die Verlegung nach Köln internationale Bedeutung geben. Und die Domstadt engagierte sich, indem sie für das Ereignis eine temporäre Ausstellungshalle von der Brüsseler Weltausstellung 1910 eigens ankaufte und am Aachener Tor errichtete.
Wie „innovativ, revolutionär und bahnbrechend“ die „Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“ wirklich war, davon versucht die Kölner Retrospektive „1912 - Mission Moderne. Die Jahrhundertschau des Sonderbundes“ eine möglichst anschauliche Vorstellung zu geben. Ausgestellt sind nur Werke, die auch damals im Wallraf-Richartz-Museum Exponate waren. Und wie 1912 hängen sie einreihig - damals eine Neuheit - auf weißen, schwarz gerahmten Wandflächen.
Nach jahrelanger Recherche und zähen Verhandlungen mit den heutigen Besitzern konnte ein Fünftel der damals rund 665 Bilder für den Rückblick gewonnen werden. Kunstgeschichtlich ist dabei besonders interessant, dass die Ausstellungsmacher, die 1912 die Exponate auswählten, weitgehend ins Schwarze trafen.
Die vierköpfige Sonderbund-Jury - Alfred Hagelstange, Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, Richard Reiche, Ausstellungsleiter, und die Maler August Deusser und Max Clarenbach - hatten es als ihre Mission angesehen, einen „Überblick über den Stand der jüngsten Bewegung der Malerei“ zu geben.
Gipfelstürmerischer Rekonstruktion
Was in Deutschland pauschal „Expressionismus“ genannt wurde, sollte in seiner Zugehörigkeit zur Speerspitze der neuen europäischen Malerei deutlich werden. Kuratorin Barbara Schaefers verdienstvoller Einsatz ermöglichte es sogar, in einigen Räumen die Exponate getreu der damaligen fotografisch dokumentierten Anordnung zu hängen. Ein Stück gipfelstürmerischer Rekonstruktion!
Heute ist es schwer, sich vorzustellen, welche Empfindungen und Ahnungen Besucher und Künstler hatten, als sie zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, mit den Werken von Van Gogh (125 Bilder!), darunter so bedeutende wie die zu Herzen gehende „Pietà (nach Delacroix)“ und das „Selbstbildnis“ von 1889, konfrontiert waren.
Auch die 32 Gemälde von Edvard Munch waren für die Besucher damals noch kein Déjà-vu, ebenso wenig Picassos „Junge mit blauer Vase“ aus der „Rosa Periode“ (1905) und der „Sitzende Harlekin“ von 1901 - Bilder die auch 2012 wieder zu den ganz großen Erlebnissen gehören. Cézanne, Gauguin und die Neoimpressionisten Henri Edmond Cross und Paul Signac sind jeder mit zahlreichen Werken vertreten.
Keinen Zweifel hat man in Köln, welche Faszination Gauguin, der hier prominent präsentiert wird, für Erich Heckel und andere „Brücke“-Maler besaß. Wieder, wie 1912, ist es möglich, in den Sälen, die einzelnen europäischen Ländern zugeordnet sind, zu verfolgen, an welcher Tradition sich die jungen Maler orientierten. Im Norwegersaal ist der Einfluss von Cézanne vorherrschend. Beim Schweizer Cuno Amiet ist van Goghs Malweise als Vorbild unverkennbar; Amiet selbst hatte Einfluss auf die deutsche Brücke-Gruppe, der er 1906 beitrat. Sehr unterschiedlich zeigt sich die Moderne bei den ungarischen Künstlern, die fast alle einige Zeit in Paris lebten. József Rippl-Rónai ist mit einem seiner dekorativen, dem Art Nouveau zugehörigen Gemälde vertreten.
Viele kaum bekannte Namen überraschen
Oskar Kokoschka und Egon Schiele gaben 1912 und geben auch heute den Ton im österreichischen Saal an. Belgien ist durch Skulpturen von George Minne vertreten, denen man zusammen mit Werken von Lehmbruck, Maillol und anderen Bildhauern in allen acht Sälen begegnet.
Was die deutsche Kunst in der Kölner Schau angeht, so überraschen die vielen heute kaum oder nur noch regional bekannten Namen, die meisten aus der rheinischen Szene. Wenn man ihre Werke neben den Bildern von Heckel, Macke, Nolde, Purrmann, Hofer, Kanoldt und Erbslöh sieht, kann das Fazit nur lauten: zu einer Neubewertung oder gar Umwertung gibt es, abgesehen von einzelnen herausragenden Werken, keinen Grund. Das gilt auch für die Malerei von August Deussler, der sich 1912 einen eigenen Saal reserviert hatte. Teil des retrospektiven Unternehmens ist das im doppelten Sinne gewichtige Katalogbuch.
Bis 30. Dezember, Katalog (Wienand Verlag) 39,90 Euro
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