Ausstellung in Österreich: „Nackte Männer“ irritieren mehr
Das Wiener Leopold Museum zeigt „Nackte Männer“. Die Ausstellung präsentiert unschuldig badende Knaben von Munch ebenso wie den drastischen Latexphallus.
Eine Ägypterin, nur mit einer prunkvollen Halskette bekleidet, hängt in Wiener U-Bahn-Stationen und lächelt allenthalben von Plakatwänden. Ihr unbehaarter Venushügel zieht den Blick viel stärker an als die kleinen und unnatürlich runden Brüste. Ein früher Klimt, der den Stiegenaufgang des Kunsthistorischen Museums ziert und im Klimt-Jahr 2012 mittels Gerüst aus der Nähe bewundert werden kann. Dieses unübersehbare Plakat, das wie kein anderes die weibliche Nacktheit abbildet, konnte keine vernehmbaren Proteste provozieren.
Ganz im Gegensatz dazu vermögen nackte Männer in der Öffentlichkeit immer noch zu irritieren: Die drei Fußballer, die nur in Stutzen und Sportschuhen in einem Konfettiregen auf dem Rasen stehen – ein Sujet des französischen Künstlerpaares Pierre & Gilles – mussten nachträglich in der Leistengegend mit einem dicken roten Balken überklebt werden.
Wohl weil sie nicht wie Michelangelos David mit einem Kinderorgan, sondern mit den Attributen von Pornomodels ausgestattet sind. Besser hätte man auf die Ausstellung „Nackte Männer“ im Wiener Leopold Museum nicht neugierig machen können. Die Zugriffe auf die Homepage des Museums schnellten jedenfalls rekordverdächtig in die Höhe. Und der überlebensgroße „Mr. Big“ der Salzburger Fotografin Ilse Haider, der in lasziver Pose vor dem Museum liegt, diente schon zahllosen Frauen als Fotokulisse, bevor die Ausstellung noch eröffnet war.
Die Idee war der 86-jährigen Elisabeth Leopold noch zu Lebzeiten ihres Anfang 2010 verstorbenen Ehemannes und Museumsgründers Rudolf Leopold gekommen. Schließlich kann das Museum allein mit seinen Schiele-Selbstporträts zu dem Thema einiges beitragen.
Frauenaugen unzumutbar
Das tut es auch, nebst Egon Schiele gibt es da ja noch dessen Zeitgenossen Richard Gerstl, der einst dem Komponisten Arnold Schönberg Hörner aufsetzte und sich darauf mit 25 Jahren das Leben nahm. Sein Selbstakt war eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. „Poesie des Körpers“ schwebte der ehemaligen Ärztin damals als Motto vor. Und sie hatte nicht vor, sich dem Thema „mit Zurückhaltung oder Feingefühl oder sonst in einer delikaten Form“ zu nähern.
Die Wandelbarkeit der menschlichen Existenz sei „durch den nackten Mann besser darstellbar als durch nackte Frauen“, gibt sich die Stifterwitwe überzeugt. Und sie reklamierte in einen Saal mit ästhetischen jungen Körpern einen trunkenen Silen von Peter Paul Rubens (aus der Akademie der Bildenden Künste in Wien) hinein, für den, fett und hässlich, wie er dargestellt ist, jener weißbärtige Greis Modell gesessen haben könnte, der für den kroatischen Fotografen Tomislav Gotovic 2002 seine intimsten Stellen entblößte.
Ausgesprochen krude sind auch manche der homoerotischen Fotos. Noch Gustav Klimt musste das Geschlecht des nackten Theseus auf einem Plakat für die erste Ausstellung der Secession 1898 nachträglich hinter Pflanzen verstecken. Der Gipsabguss von Michelangelos David im Victoria and Albert Museum in London soll Queen Victoria so in Verlegenheit gebracht haben, dass dessen Blöße mit einem gipsernen Feigenblatt bedeckt wurde, wenn Staatsbesuch durch die Sammlung geführt wurde.
Bis ins 20. Jahrhundert war Frauen der Zugang zu den Kunstakademien verwehrt, weil die männliche Aktzeichnung seit der Zeit der Aufklärung zum Pflichtprogramm der Künstlerausbildung zählte. Das erachtete man als den weiblichen Augen unzumutbar. Mit der Ausnahme von Angelika Kauffmann, die für ein Porträt eine Theseusskulptur in den Hintergrund rückte, wird uns bis in die jüngste Zeit der männliche Körper ausschließlich durch den männlichen Blick gezeigt.
Bourgeois’ Latexphallus
In der griechischen Antike wurden, wie die Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat so zutreffend schreibt, die Männer in der Regel nackt, die Frauen aber bekleidet dargestellt. Die durchtrainierten Körper der Athleten und Helden wurden als „das allgemein Menschliche, als sexuell nicht markierter Körper rezipiert“, schreibt sie in ihrem Aufsatz „Zur Semantik männlicher Nacktheit und Sexualität“ im Ausstellungskatalog. Für sie ist „die schiere Tatsache der Darstellung männlicher nackter Körper nicht per se ein emanzipatorischer Akt“.
Die Ausstellung setzt im 18. Jahrhundert an und spannt den Bogen über die klassische Moderne bis zu den zeitgenössischen Darstellungen aus dem Schwulenmilieu und einigen Beispielen aus den Werkstätten der Feministinnen. Besonders drastisch darunter der Latexphallus mit den billardkugelrunden Hoden von Louise Bourgeois, der die Manneskraft entmystifiziert, wie er da wie ein abgehäutetes Stück Wild an einem Haken hängt. Wie unschuldig wirken daneben die badenden Männer und Knaben von Edvard Munch, Paul Cézanne oder Max Liebermann, die als Sujets in Mode kamen, als vor allem in Skandinavien das Nacktbaden entkriminalisiert wurde.
Es gibt keinen besonderen Anlass, dass auch das Linzer Lentos fast gleichzeitig eine Schau „Der nackte Mann“ eröffnet. Eine Einladung zur Zusammenarbeit sei von Lentos-Direktorin Stella Rollig nicht beantwortet worden. Schiele-Leihgaben aus dem Leopold Museum nahm sie aber gerne. Ansonsten sei man sich bei Leihgaben nicht in die Quere gekommen, sagt Kurator und Leopold-Direktor Tobias Natter, der sich nicht wundert, dass diese beiden Ausstellungen parallel laufen. Ihn wundert vielmehr, warum so etwas nicht gleichzeitig in Berlin oder Paris stattfindet: „Es war nämlich überfällig.“
„Nackte Männer von 1800 bis heute", bis 28. Januar 2013, Leopold Museum Wien. „Der nackte Mann", bis 17. Februar 2013, Lentos Museum, Linz.
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