Ausstellung in Frankfurt: Surrealismus in trockenen Tüchern
Spurensuche im Schatten von Buñuel und Dalí: „Bewusste Halluzinationen. Der filmische Surrealismus“, eine Schau im Frankfurter Filmmuseum.
Wenn es überhaupt nur zwei Filme gibt, die man mit Sicherheit als „surrealistisch“ bezeichnen kann, und beide sind französisch, dann ist die Basis für eine globale Verortung natürlich etwas schmal. Eine riesige schwarze Wandtafel, betitelt „Verbreitungswege des surrealistischen Films“, platziert Paris im Zentrum wie eine fette Spinne in ihrem gewaltigen Netz, deren längster Faden bis in den letzten Winkel reicht.
Tatsächlich versucht sich die Ausstellung „Bewusste Halluzinationen. Der filmische Surrealismus“ im Frankfurter Filmmuseum an einer Inventarisierung der surrealistischen Bewegung, die hier als gewaltige, rumorende, palavernde, flackernde Weltgemeinschaft im Dunkel einer Museumsetage dargestellt wird, und die Ausstellungsmöblierung ist (für die Ephemera) geradezu fantastisch geraten.
Der kleine amerikanische Beitrag zum Thema wird dargestellt auf einbeinigen Schildern, wie sie in den USA Demonstranten im Kreis tragen. Eine tschechische Vitrine ruht, Allen-Jones-mäßig, auf einer Gruppe weißer Arme und Beine, die in einer Tanzbewegung eingefroren sind. Buenos Aires wird metaphorisiert durch eine Gruppe von zwölf hölzernen Bilderrahmen, deren oberste und unterste Reihe um neunzig Grad angewinkelt in den Raum zeigt, so dass die Vorstellungen von Bild und Vitrine miteinander verschmelzen.
Letzter Winkel Buenos Aires
„Bewusste Halluzinationen. Der filmische Surrealismus“. Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main, bis zum 2. November 2014
Der letzte Winkel der surrealistischen Bewegung war übrigens Buenos Aires, weil nämlich Benjamin Fondane 1936 eine Reise nach Argentinien machte und dort mit einem Team von sieben Männern „Tararira“ drehte. Dieser Mann, geboren 1898 in Rumänien unter dem Namen Benjamin Wechsler, wird später in Paris verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Diese biografische Notiz ist versteckt unter einem gelbem Helm, der, wie alle anderen Kurzbios, so im Saal aufgehängt ist, dass man sich leicht den Kopf daran stößt, und man muss sich ganz gut verrenken, um den illuminierten Text von unten zu lesen. Ein gewitzter Einfall, um die Relativität surrealistischer „Köpfe“ vor dem Gesamtkunstwerk der Gruppe herauszustreichen.
Die Ausstellung widmet sich der surrealistischen Bewegung und ihren Filmen nur bis 1939, und im Zentrum steht natürlich „Ein andalusischer Hund“, jener mondnachttrunken-hundsgemeine Film von 1929 nach dem Drehbuch von Buñuel und Dalí. Diesen hat man, als Hauptwerk, in der Ausstellung räumlich dargestellt, nämlich auf fünf schwebenden Gazetüchern, die das Filmbild jeweils darstellen, aber auch durchlassen. Und auf der Rückwand des letzten Bildträgers findet sich dann jene Weltreisekarte der surrealistischen Filmer, die allein grafisch darzustellen nur möglich ist, bis zu dem Moment, als man anfing, transkontinental zu fliegen.
Für den Katalog aber ist das Epochenlimit, bedingt durch den deutschen Überfall auf Frankreich, nicht entscheidend. Im Gegenteil, die „Auswahlfilmografie“ reicht von Louis Feuillades „Fantômas“-Serie (1913/14) bis zu Jan Svankmajers „Alice im Wunderland“-Adaption von 1987. So katalogisieren die Beiträge die surrealistischen Gruppen, Vorläufer, Antriebe, Motive und deren Wiederbelebung nach 1945 in dreizehn Ländern (oder auch auf ganzen Kontinenten), was eine ziemlich kleinteilige Textproduktion zur Folge hat.
Kämpfe und Bissigkeiten
All diese Männer! Ihre Freundschaften, Rivalitäten, Kooperationen, Missionsreisen, begeisterte Aufnahmen in die Gruppe, gefolgt von Ausschlüssen, dieser entnervende Briefmarkensammlerkomplex künstlerischer Vereinigungen im Allgemeinen und speziell der Surrealisten, deren Kämpfe und Bissigkeiten denen der psychoanalytischen Vereinigungen ähnelten.
Man kann sie nur deshalb nicht als „stalinistisch“ bezeichnen, weil der Surrealismus eine Denkanordnung gesucht hat, die als oberstes Wahrnehmungsprinzip gemeint und insofern, obwohl selbst doktrinär, gegen andere Doktrinen auf geradezu märchenhafte Weise abgeschottet war. Allzu sehr kämpfen die AutorInnen des Katalogs mit der Dogmatik einerseits, also der Frage, was als surrealistisch etikettiert werden darf, und was andererseits eine surrealistische Affinität sein könnte, die zweifelsfrei in die Gegenwart reicht. Die Spanne ist zu groß und die zentralen Thesen fehlen.
Ein Autor im Katalog, allerdings, kommt gänzlich unbekümmert und fußnotenfrei kulturhistorisch zur Sache: ein experimenteller englischer Filmemacher, dessen 8-mm-Agenda 1956 in Paris begann. Er heißt Robert Short. Zwei berühmte Sackgassen riegelt er methodisch ab. Erstens, der surrealistische Film könne sich beim Traum einloggen. Kam er als Traum daher, bot er „Kritikern und dem Publikum die einfache Möglichkeit, [den Film] als reines Produkt der Phantasie abzutun.“
Mitten hinein in den Mainstream
Zweitens die Sackgasse, den surrealistischen Film als Kunstsparte zu sortieren. Im Gegenteil, die Surrealisten träumten von einem radikalen, populären Mainstream-Kino, zentriert „auf zwei von Sigmund Freud eifrig kultivierte Bereiche psychischer Aktivität: den Humor und den Sex“. Deshalb ist der andere Buñuel/Dalí, „L’âge d’or“, der zweite große, unumstritten surrealistische Film, gerichtet gegen „soziale Ungerechtigkeit, Militarismus und Religion“. Short wundert sich gar nicht, dass dieser Film „für Aufruhr sorgte und die nächsten fünfzig Jahre verboten war“.
Der Katalog, wertvoll durch seine minutiöse Listung, ist also kein Schlüssel zur Ausstellung, so wie die Ausstellung selbst gewiss nur den Subtext webt für das enorme Programm an surrealismusverdächtigen Filmen, die in den nächsten Monaten in Frankfurt zu sehen sein werden. Die Schau im dritten Stockwerk des Filmmuseums, als globaler Kontakthof, ist so pittoresk wie gelungen und kann mit einigen wirklich raren Leihgaben punkten.
Dennoch ist ein erheblicher Teil der Exponate – Notizen, Einladungskarten, Illustrationen und Fotografien aus allen möglichen Ländern der Welt – doch nur in Reproduktionen vorhanden, dem ausgekochten Museumsbesucher eine schmerzliche Erinnerung an den Umstand, letztendlich Fetischist zu sein. Was aber zum Thema gehört.
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