piwik no script img

Ausstellung in DresdenAuf der MS Reichtum

„Reichtum – mehr als genug“: Unter diesem Titel sinniert das Hygienemuseum Dresden über Faszination und Unverschämtheit von zu viel Vermögen.

Der Schauspieler Martin Wuttke ist mit an Bord. Bild: Oliver Killig/DHMD

Warten Sie ein wenig vor dem Portal des Dresdner Hygienemuseums und zählen Sie die Besucher. Jeder Hundertste von ihnen ist statistisch gesehen ein Millionär. Wenn Sie ihn ansprechen, wird er ihnen vermutlich eine ganz andere Geschichte erzählen, ebenso die 99 Vorangegangenen.

Wo sind sie denn zu finden, die Reichen und nicht immer Schönen? Die Mitleid erweckenden Typen, denen es peinlich ist, über Geld zu sprechen, die sich hinter Mauern und Stacheldraht verstecken und wie der russische Milliardär Roman Abramowitsch ihre 1,2 Milliarden Euro teure Yacht „Eclipse“ wie ein Kriegsschiff sichern müssen?

Die Klatschpresse zieht sie ans Licht und bedient Geilheit und Neidreflexe des Publikums gleichermaßen. Das Dresdner Hygienemuseum nähert sich mit seiner neuen Sonderausstellung „Reichtum – mehr als genug“ nicht Personen, sondern der Welt der Reichen auf ebenso informative wie ironische Weise. Eine Parallelwelt, in der sich zugleich jeder mit seinen Uranlagen wiedererkennen wird.

Einmal mehr erweist sich der weit über den Hygiene-Ursprung der 20er Jahre hinausgehende Anspruch des Museums als zutreffend, weniger ein Museum als ein Reflexionsort über den Menschen zu sein. Wozu es eben auch gehört, in einer Inszenierung über unseren Drang nach Besitz zu philosophieren, der über das bloße Sicherheitsbedürfnis weit hinaus reicht. Und nach Ambivalenzen im Erfolgsfall ebenso zu fragen wie nach der sich daraus ergebenden Verantwortung.

Reichtum als Gottersatz

Kurator Daniel Tyradellis, der Philosophie und Wissenschaftstheorie studiert hat, tut dies mit einer unübersehbaren Schlitzohrigkeit. Seine anthropologischen Ausgangspunkte formuliert er eindeutig: „Reichtum ist ein Phantasma, weil es eine Art Gottersatz darstellt.“ Das liegt auf der Linie von Walter Benjamins „Kapitalismus als Religion“, während Max Webers eigentlich auf Askese beruhende protestantische Ethik nicht so klar für das Streben nach Reichtum herhalten kann. Das gilt Tyradellis zugleich als Perversion, und er streitet die Intention einer politischen Ausstellung nicht ab. Nachlesen kann der Besucher solche Exkurse in einer Bordzeitung.

Bordzeitung? Ja, denn der Besucher betritt den schwankenden Boden eines Kreuzfahrtschiffes mit dem nahe liegenden Namen MS Reichtum. Direktor Klaus Vogel begrüßt ihn per Video und hat sich dafür blau-weiß und mit Kapitänsmütze ausstaffieren lassen. Der Luxusliner als Inbegriff für Exklusivität, Unbeschwertheit und Selbstanbetung. Tyradellis führt mit einigem Charme die Besucher in eine Falle: Ohne den leisesten Anflug von Agitation wird das Paradies der Gewinner als eine fragwürdige Exklave entlarvt. Dafür sorgen allein schon die überall lauernden und teils originell visualisierten statistischen Angaben. Zum Beispiel die, dass der Durchschnittsdeutsche pro Jahr nur 19 703 Euro zur Verfügung hat, das Durchschnittsvermögen aber bei 195 000 Euro liegt.

Was kosten den Staat die Rettungsringe für Banken? Bild: Oliver Killig/DHMD

Dezent oder mit feiner Ironie wird der Besucher auf allen Decks an die Fragen erinnert, auf wessen Kosten Reichtum entsteht und ob in seinem Erwerb wirklich der letzte Lebenszweck zu suchen sei. Durch Bullaugen blickt man auf die andere Welt draußen, zum Beispiel auf ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa. Und auf dem Boden des Sonnendeck-Pools erscheint die Spaßbremse, dass 90 Milliarden Euro Steuerhinterziehung jeden Bundesbürger indirekt 1.250 Euro pro Jahr kosten.

Ins Grübeln kommen auch die bereits zahlreich durch die Ausstellung streifenden Schulklassen spätestens beim Shuffleboard-Spiel. Zehn Personen treten gegeneinander an, darunter Angela Merkel, Schumi, ein einfacher Ingenieur und eine noch einfachere Krankenschwester. Sie versuchen, ihre Disks auf Felder mit möglichst hoher Wertigkeit zu schieben. Ganz oben steht der Unterhaltungswert, ganz unten die Zuverlässigkeit. Eine Parodie auf die angebliche Leistungsgesellschaft, in der man mit ehrlicher Arbeit schon gar nicht zu Reichtum gelangen kann.

Rettungsringe für Banken

Kurator Tyradellis hat Themenkreise sehr assoziativ Schiffsräumen zugeordnet. „Was ist Ihr Antrieb?“ wird zum Beispiel im Maschinenraum gefragt. Wer sonst keine Ziele hat, will halt reich werden, hört man dort heraus. „Befreit von ökonomischen Zwängen über das Leben nachdenken“, sagt hingegen der Schauspieler Martin Wuttke in einer von sechs Rollen, Videoclips, die allesamt in der Luxuskabine gedreht wurden. Auf dem Sonnendeck hängen Rettungsringe für Banken mit Angaben, was sie den Steuerzahler kosteten. „Wieviel Reichtum ist gesund?“ fragt das Krankenzimmer und zeigt Empathie für paranoide Folgeerscheinungen, Besitzängste und Isolation. Und die Schiffskapelle befasst sich mit den sieben Todsünden.

Auf den Gängen begegnen uns Fetische und Attribute des Reichtums. Die Brücke bildet den Kernraum der sozialen Auseinandersetzung mit der völlig asymmetrischen Besitzverteilung. Wie steuert man das Schiff? Hier werden knapp und übersichtlich Ideen von Solidarität und Ausgleich wie die Reichensteuer präsentiert. Wenn Reichtum für das obere Zehntel Freiräume schafft, warum dann nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen für die weniger Privilegierten?

Das Ausstellungskonzept neigt zur Arm-Reich-Dichothomie, zieht aber lediglich nach unten die Armutsgrenze von derzeit 848 Euro monatlich nach EU-Definition. Nach oben fließen die Grenzen, subjektiv wie objektiv. Damit spricht die Sonderschau auch die relativ Wohlhabenden an, jene zwar auch von Erosion bedrohte Mittelschicht, die sich inzwischen ebenfalls die modischen Kreuzfahrten leisten kann. „Die Zahl der Reichen wird steigen“, prophezeit eine Texttafel. Geht das immer so weiter?

Stoppen Sie am besten die Dauer Ihres Ausstellungsbesuches. In jeder Sekunde ist das Nettovermögen der Deutschen um 9.181 Euro gewachsen. Fragen Sie sich, wie viel davon auf Ihrem Konto landet. Und ob Nicht-Wachstum den Untergang bedeuten würde. Natürlich gemahnt der „Galasaal“ an die Titanic, und ein Foto der schräg im Wasser liegenden Costa Concordia wirkt wie ein Menetekel. Ganz am Ende der Ausstellung, in der letzten Schiffsfenster-Vitrine, liegt schlicht und einfach ein Beutel Peanuts.

„Reichtum – mehr als genug“: Sonderausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden, bis 10. November.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • KU
    Krieg um die Seelen

    2.1 Das Easterlin-Paradox

     

    Der Ökonome Easterlin (1974; siehe auch Easterlin, 1995; 2010; Graham, 2008) analysierte ebenfalls internationale Daten von Einkommen und Glück. Er zeigte, dass es zwar einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Glück gibt, ein Einkommenswachstum über die Zeit jedoch nicht zu einem gleichzeitigen anstieg des empfundenen Glücksgefühls führt. Die „hedonistische Tretmühle“ („hedonic treadmill“ z. B. Graham, 2008) wird als mögliche Erklärung für diesen Befund herangezogen: die materiellen Normen, auf deren Grundlage das subjektive Wohlbefinden beurteilt wird, passen sich dem wachsenden Gesamteinkommen an (Easterlin, 1995; Easterlin, 2001; Easterlin, McVey, Switek, Sawangfa & Zweig, 2010; zur Kritik an Easterlins Theorie siehe z. B. Stevenson & Wolfers, 2008): Immer wenn man meint, endlich einen Wohlstand erreicht zu haben, der ein sorgenfreies, glückliches Leben ermöglicht, führt eben jener Wohlstand dazu, dass neue nicht erfüllte Wünsche und Ziele in den Fokus rücken und einem bedeuten, dass der aktuelle ökonomische Besitz noch nicht ausreichend ist.

  • A
    anonyma

    @FaktenStattFiktion:

     

    Was wohl Arbeitslose zu der Nachkriegszeit sagen würde:"Da gabs genug Arbeit und genug zu Aufbauen - wahrscheinlich auch auf der Basis des Überlebenes und Erhalt und dies wahrschenlich auch nicht ausschließlich au das Individuum bezogen!"

     

    Land kaputt, zu Hause kaputt, Infrastruktur kaputt, Währung kaputt da hat das mit dem Solidaritätsgedanken geklappt?

    Gab sicher Menschen die augrund von Kriegsverletzungen nicht mehr oder nur teilweise Arbeiten könnten.

     

    Ich hab sehr lange gebraucht um aus ein paar Breifen aus dieser Zeit mir en ungefähres Bild machen zu können.

     

    Einen Verletzten zur nächsten medizinischen Versorgung u bringen , dass zeigen Sie mir Mal heute?

     

    Wenn Sie schon Äpfel mit Birnen vergleichen, dann doch bitte auf der Ebene Obst und nicht auf dem Nivau das Birne doch besser war.

     

    Die Variante ohne Neid oder Angst motiviert zu sein, ist Bitte aus welchen Grund verschwunden bzw. nicht mehr denkbar?

  • A
    anke

    Nein, Eigennutz gibt es keineswegs "nur bei den Kapitalisten". Ich möchte sogar wetten, dass die Ausstellungsmacher des Dresdner Hygienemuseums das nicht nur wissen, sondern auch bei der Erstellung ihres Konzeptes beachtet haben. Beim finanziell nur mittelprächtig ausgestatteten Durchschnittsbesucher jedenfalls dürfte die Schau das gute Gefühl zurück lassen, auf der "richtigen" Seite des Geldes zu stehen, wenn auch vielleicht ein wenig unfreiwillig.

     

    Dass er sich diesen Trost (Gottersatz) gern einen Eintritt in Höhe von 7 Euro kosten lassen wird, werden sie zumindest hoffen beim DHMD. Nein, reich werden sie vermutlich nicht von ihrer Arbeit. Und vielleicht gucken die Kuratoren sogar ein wenig neidisch auf all jene, die zwei- bis dreistellig kassieren für nackte Unterhaltung ohne Mehrwert. Aber womöglich tröstet es sie ja, dass sie anno 2013 immerhin ein wenig besser leben als der von Ihnen zum Maßstab fürs Genug erhobene "Arbeiter in der Nachkriegszeit" - wenn auch vielleicht nicht ganz so gut wie ein besonders erfolgreicher Kriegsgewinnler damals.

     

    Wieso es überhaupt Leute gibt, die für Gott einen Ersatz brauchen, müssen sie mir jedenfalls nicht erst erklären in Dresden. Das kann ich mir auch ohne eintrittspflichtige Visualisierung denken.

  • F
    Frederik

    Neid kann auch durchaus positive Seiten haben und muss nicht nur als ein negativ konnotiertes Gefühl betrachtet werden. Neid ist nicht nur ein schädliches und verwerfliches Gefühl. Er ist auch wichtig für das menschliche Zusammenleben, für Motivation und Produktivität. Psychologen und Soziologen sprechen neben dem "schwarzen" Neid, der krank und unglücklich machen kann, auch vom "weißen", einem höchst positiven Gefühl. Neid kann ein Hinweis für soziale Ungerechtigkeit sein und dazu führen, dass bestehende soziale Hierarchien in Frage gestellt werden.

    Die Idee der Französischen Revolution von Gleichheit und Brüderlichkeit ist aus großem Leid, aber auch aus Neid entstanden. Dieser Sozialneid schaffte eine Voraussetzung für Chancengleichheit und zeigte die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung an. Innerhalb von Gruppen besitzt Neid eine regulierende Eigenschaft.

    Neid besitzt somit verbindende Eigenschaften und verhindert zugleich, dass sich die Gesellschaft in verschiedene extreme Einzelgruppen aufspaltet. Zumindest wenn die Politik der sozialen Auseinanderentwicklung der Gesellschaft mit den entsprechenden Regulierungs- und Steuergesetzen entgegenwirkt, wie dies bspw. Roosevelt gemacht hat.

  • F
    FaktenStattFiktion

    Mehr als genug? Da frage ich mich, was ein Arbeiter in der Nachkriegszeit zu der im Jahre 2013 vom Staat finanzierten Wohnung eines Arbeitslosen gesagt hätte. Farbfernseher und Playstation eingeschlossen.

     

    Aber "zu viel" ist in der linken Logik immer das, was der Nachbar mehr hat. Um am lautesten meckert bei uns immer die 68er-Toskana-Fraktion, welche sich die fettesten Posten im Staatsapparat gesichert hat. Genosse Lafontaine, welcher sich einen persönlichen Leibkoch mit Stern vom bettelarmen Saarland bezahlen ließ. Schröder, der nach dem Amt eine Stelle im Gaskonsortium bekam. Aber hey – Eigennutz gibt es nur bei „den Kapitalisten“…