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Ausstellung in BraunschweigWerden und Vergehen

Wo es jetzt noch blüht, wird irgendwann Kompost: Der Braunschweiger Kunstverein hat Künstler eingeladen, sich mit der Ambivalenz des Sommers zu beschäftigen.

Luca Trevisani lässt in der Rotunde der Braunschweiger Kunstvereinsvilla Pflanzen alt werden. Foto: Stefan Stark, Kunstverein Braunschweig

BRAUNSCHWEIG taz | Der Sommer hat es in sich. Wird er gerne mit blühender Natur und überhaupt Lebensfreude gleichgesetzt, ist in beidem ja immer auch schon das Gegenläufige präsent: neben dem unkalkulierbaren, vielleicht auch Kräfte zehrenden Werden auch das unvermeidliche Vergehen und sogar das traurige Ende.

Den Sommer also, diesen alles andere als banalen Sommer, als Zeit- und zugleich Assoziationsraum hat sich der Braunschweiger Kunstverein ausgesucht: für eine internationale Gruppenausstellung mit 17 TeilnehmerInnen und Teams, die nun die Villa, die Remise und den Garten bespielen.

„Process, performance, presence“: Der englische Titel der Ausstellung deutet an, dass es hier zunächst um solche Systeme in der Kunst geht, die Veränderungen zulassen oder sogar generieren; dann auch um das Einbeziehen des Betrachters sowie das Bewusstmachen des einmaligen, flüchtigen Zustands der Begegnung mit dem jeweiligen Kunst-Stück. Dafür greifen einige der Teilnehmenden zu konkreten Erfahrungen der Interaktion, gleich mehrere verwenden lebendiges Material – manchmal sogar sich selbst.

Öffentliches Kapuzinerkresse-Dinner

Im Hof der Villa etwa begrüßt derzeit ein Teich die Gäste. Auf dem Wasser lässt der Schweizer Christian Philipp Müller bis zu 64 pizzatellergroße Pflanzschalen schwimmen, darin Kapuzinerkresse in diversen Wachstumsstadien. Gedacht ist, dass diese Sprösslinge in ihrem unnatürlichen Habitat kräftig wuchern und dann zu unterschiedlichen Zeitpunkten erblühen, zumal es auch noch verschiedenfarbige Sorten sind. Im August landen dann Blüten- und Blätter­ernte in einem öffentlichen Kapuzinerkresse-Dinner; das indianische Heilkraut schmeckt würzig-pikant und hat antibiotische Wirkung.

In der Eingangsrotunde der Villa antwortet der Italiener Luca Trevisani mit einem eigenen Hinweis aufs Vergehen alles Lebendigen: Hängende Sträuße exotischer Blumen und Pflanzen zeigen da unterschiedliche Stadien des Verfalls. Einige Blüten wurden in Eisbeutel eingefroren, verloren dabei gänzlich ihre Farbe und tropfen nun theatralisch.

Im Spiegelsaal nebenan erarbeiten sich derweil acht quicklebendige Kolonien roter Gartenameisen ihre Gangsysteme durch bunte Gelmassen, die ihnen Nahrung und Lebensraum zugleich sind. Den sprichwörtlichen Fleiß der Tierchen sieht der US-Amerikaner Brad Troemel als Spiegelbild einer auch nicht immer sinnerfüllten, aber eben trotzdem praktizierten Arbeit des Menschen. Obendrein sind die Kolonien zum sichtbaren Leistungsvergleich in exakter Reihung präsentiert.

Emotionale Exerzitien

Psychologische Momente greift Eva-Maria Keller auf: Die Berlinerin hat Abstellkammern und Dachboden der Villa inspiziert und lässt das Gefundene ein geheimnisvolles Eigenleben führen, etwa wenn man eine Tür öffnet und sich dadurch einige der neongelben Schnüre anspannen, mit denen Keller die Fundsachen verbunden hat.

Von emotionalem Müll befreien wollen Dafna Maimon und Ethan Hayes-Chute. Die beiden Wahlberliner, eigentlich in Finnland und den USA zu Hause, rekrutieren derzeit insgesamt sechs abschiedserfahrene Menschen für das Sommercamp „Solong“.

Es soll am Schlusswochenende emotionale Exerzitien in einem spartanischen Holzpavillon im Garten des Kunstvereins leisten: Wie gehen diejenigen auseinander, die da drei Tage intensiv miteinander verbracht haben? Was bedeutet es, am Ende einfach nur „so long“ zu sagen – „bis dann“?

Künstler im Pappkarton

Leider nur für kurze Zeit betrieben hat Sadaharu Horio seine „Art Vending Machine“ für 1-Euro-Kunst auf der Terrasse. Wer sich je gefragt hat, wie ein Automat funktioniert, dem gaben der Japaner und seine Kollegen von der Gruppe „Kuki“ – „Luft“ – die schlagende Antwort: Nach Einwurf einer Münze in den Schlitz fertigte einer der Künstler, im Inneren eines riesigen Pappkartons sitzend, nach den Wünschen des Bestellers ein Blatt an und schob es anschließend durch einen Ausgabeschlitz dem Käufer entgegen.

Weiterhin zu sehen ist dagegen Kukis performativ entwickelte Installation aus Ästen und allerlei Fundstücken, teils mehrschichtig bemalt: Ein Nachbild, oder, um einen Nachsommer gemäß dem Autor Adalbert Stifter ins Spiel zu bringen: eine natürliche Ordnung, nicht als letztes vollkommenes Ergebnis, sondern in der Bewegung der lebenslangen Reifung, der zugesellt ist die ebenso notwendige Ruhe der Verinnerlichung.

„Process, performance, presence“: bis 21. August, Kunstverein Braunschweig

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