Ausstellung im „Tennis Café“: Dilettanten für alles Mögliche
Die Musiker Hendrik Otremba und Nagel können auch bildende Kunst. Sie zeigen Porträts in einem neuen Neuköllner Café.
Es wird in diesem kleinen Text um Punk und Kreation, um „Do it yourself“ und Dilettantismus, um Film und Fanzines, um Kompaktkassetten und Romane, um Tusche und um Aquarelle und um die beiden Künstler Hendrik Otremba und Thorsten Nagelschmidt gehen, den alle nur als Nagel kennen. Und irgendwie wird es auch um Tennis gehen. Daher ist man gut beraten, zunächst etwas Ordnung in diese Geschichte zu bringen.
Tennis ist der Name des frisch eröffneten Neuköllner Cafés, in dem derzeit Hendrik Otremba und Nagel ihre Aquarelle (Ersterer) und Linoldrucke (Letzterer) ausstellen. Beide Künstler haben einiges miteinander gemein: Sie sind eher als Musiker denn als bildende Künstler bekannt – Otremba ist Sänger der Gruppe Messer, die mit Postpunk-Sound bekannt wurde, Nagel war jahrelang Gitarrist und Frontmann bei Muff Potter.
Beide lebten eine Weile in Münster und leben heute in Berlin, sie eint eine gewisse Kunstbetriebsferne. Beide sind Do-it-yourself-Allroundkünstler oder, wie Hendrik Otremba es beim Gespräch im Café Tennis mal übergangsweise nennt, „Dilettanten für alles Mögliche“.
Düster und dionysisch
Die Bilder von Hendrik Otremba und Nagel sind noch bis zum 22. Mai im Tennis Café, Reuterstr. 95 in Neukölln zu sehen, täglich von 12 bis 18 Uhr
Wie viel im Zuge des Dilettierens so entstehen kann, sieht man, wenn man mit dem 31-Jährigen einen kleinen Rundgang durchs Café macht und er seine Porträts erläutert. Otremba hat ein Faible für historische Figuren – meist Künstler – mit abgründigen, rätselhaften, kaputten Biografien.
Zum Beispiel zeigt er in Neukölln sein Porträt des japanischen Künstlers und politischen Wirrkopfes Mishima Yukio, der 1970 durch einen ritualisierten Selbstmord (Seppuku) starb und dessen wahnwitziger Lebenslauf bereits in japanischen Filmen thematisiert wurde.
Man trifft in der Gemäldereihe auf Figuren wie den russischen Politiker, Terroristen und Autor Boris Sawinkow, aber auch auf Charles Bronson – Filme sind wichtige Inspirationsquellen für den aus dem Ruhrgebiet stammenden Otremba. Dabei gelingt es ihm mit seinen farbigen Aquarellen, das Düstere, Beschädigte, auch das Janusköpfige an diesen Figuren herauszuarbeiten.
Nagel zeigt ebenfalls Porträts, und auch seine Figuren sind der Sphäre des Dionysischen zuzuordnen. Im Kontrast aber wirken die von ihm ausgewählten Charaktere um einiges vitaler und dem Leben zugewandter (viele Motive sind aus seiner „Raucher“-Reihe). Süchte, Künste, Leidenschaften, Sex sind die Themen in den überwiegend kleinformatigen Porträts des 39-jährigen Musikers, Autors und Künstlers.
Tape-Veröffentlichung
Parallel zur Ausstellung veröffentlicht Messer-Sänger Otremba eine Kassette, die im Package mit einem von ihm erstellten Fanzine und einem mit Siebdruck gestalteten Umschlag erscheint. Das Fanzine enthält Textfragmente, Gedichte und Songtexte.
„Ich hatte ein paar Mammutprojekte hinter mir“, sagt Otremba, der gerade einen Roman geschrieben und mit Messer ein neues Album aufgenommen hat, „jetzt wollte ich etwas machen, wo man nicht gleich Verwertungsstrategien im Kopf hat, wie es bei anderen Projekten zwangsläufig der Fall ist.“
Schön „schmutzig“ klinge die Kassette nun, „contre le perfectionnisme“, mit naivem Zugang – und genau so sollte es auch sein. Das Tape ist fast im Alleingang entstanden, nur Messer-Gitarrist Milek und Philipp Hülsenbeck (Sizarr) haben mitgewirkt.
Um Songs im eigentlichen Sinne handelt es sich bei dieser knappen halben Stunde Musik nicht, eher sind es Fragmente und nicht verwirklichte Messer-Songskizzen, die ineinander überfließen. Wie bei Messer singt oder spricht Otremba dazu klinisch-kühl, an die Wave-Bands der Achtziger gemahnend. Musikalisch ist „Drek“ – so der Titel des Tapes – sehr vielfältig: Repetitives Geplucker zu Sprechgesang ist genauso zu hören wie Klangminiaturen, quietschende Synthies und schräge Geräusche wie schöne Gitarrenmelodien.
Auch das mag dann irgendwie dilettantisch sein – aber es versprüht auch den unbedingten und kraftvollen Charme des Spontanen.
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