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Ausstellung im Martin-Gropius-BauDen Tränen ist nicht zu trauen

So viel Gefühl: Ed Atkins präsentiert im Martin-Gropius-Bau mit „Old Food“ ein Kammerspiel über Schein und Sein im digitalen Zeitalter.

Avatar-Spiel in Kleiderkammer: die Installation „Old Food“ von Ed Atkins Foto: Mark Blower, Cortesy the artist

Was ist das nur für ein merkwürdiges Stück, das Ed Atkins da im Martin-Gropius-Bau inszeniert? 280 laufende Meter Kostüm hängen bereit, darunter römische Togen, Ritterrüstungen, glänzende Umhänge, Bauernröcke, dabei spielen nur drei Hauptpersonen mit, denen das meiste sowieso nicht passen würde. Die drei begegnen einem auf Videomonitoren, ein Baby, ein Junge und ein Mann, der vermutlich weit älter aussieht, als er ist. Wobei die Bestimmung des Alters im Grunde bei allen drei Unsinn ist.

Es handelt sich nämlich nicht um echte Personen oder Schauspieler, sondern um CGI-Avatare. CGI steht für Computer Generated Imagery, die Charaktere sind mittels 3-D-Computergrafik erzeugt. Atkins hat sie gekauft und für seine Videoinstallationen animiert. Und damit sind wir auch schon mittendrin in den Themen, mit denen sich Atkins in „Old Food“ beschäftigt: mit Körperlichkeit und Vergänglichkeit, mit Schein und Sein, mit dem Drama des menschlichen Daseins im digitalen Zeitalter.

Als ein „Kammerspiel von dubioser Sentimentalität“ hat der Künstler seine Ausstellung selbst bezeichnet. Tatsächlich herrscht eine Melancholie vor, die nicht aufgelöst wird. Sie steht einfach so im Raum ohne ein Geschehen, mit dem sie assoziiert werden könnte. Baby, Junge und Mann weinen bitterlich, sie heulen und stöhnen, ächzen und schreien, die Gesichter verzogen, die Augen gefüllt mit dickflüssigen Tränen. Was sie betrauern? Sie verraten es nicht. Kein Wort kommt von ihren Lippen, stattdessen spielen sie Klavier, ein Stück des Komponisten Jürg Frey, und taumeln in einer „Game of Thrones“-artigen Kostümierung umher. Dubios, wirklich.

Und komplex: Was er tue, so erklärt Atkins, sei es, zu editieren. Die Zusammenarbeit mit Dienstleistern ist elementarer Bestandteil seiner Kunst, auch bei „Old Food“. Die Avatare hat er – wie erwähnt – gekauft, die Kostüme ausgeliehen und wie Objets trouvés genauso gehängt, wie sie sonst im Fundus der Deutschen Oper aufbewahrt sind, auf den Holztafeln, die an den Wänden hängen, stehen Texte des Onlinemagazins Contemporary Art Writing Daily. Letztere entstanden im E-Mail-Dialog zwischen dem Künstler und den anonymen Magazinmachern. Normalerweise verfassen diese halbironische Kunstkritiken, jedoch nicht zu Ausstellungen, sondern zu Posts des populären Onlinemagazins Contemporary Art Daily, das internationale Ausstellungen zeitgenössischer Kunst dokumentiert. Auf die alte Frage nach der Autorenschaft hat Atkins ganz eigene Antworten gefunden.

Pionier der Post-Internet-Künstlergeneration

Ed Atkins, geboren 1982 in Oxford, ist Pionier einer Generation, die man vor ein paar Jahren gerne als Post-Internet-Künstler bezeichnete, weil sie nicht nur digitale Technologien in ihre Praxis integrieren, sondern weil sie das Internet als eine Art Folie benutzen, durch die sie auf die Realität blicken. Atkins wurde bekannt mit hyperrealen Bildwelten, bevölkert von CGI-Alter-Egos, einsamen Geschöpfen, die mit der Stimme des Künstlers sprechen. Er hatte Einzelausstellungen unter anderem im MoMa PS1 in New York, im Palais de Tokyo in Paris, im Stedelijk Museum in Amsterdam und im MMK in Frankfurt am Main. Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau läuft im Rahmen von Immersion, dem Programm der Berliner Festspiele also, das Ausstellungsprojekte vereint, in die man wie in Welten eintauchen kann.

Atkins’ Welt ist eine unheimliche, und das liegt nur bedingt am Titel. Vor dem Anblick von altem, gammeligem Essen verschont einen der Künstler nämlich. Vielmehr beweist er wieder einmal, dass er ein Meister in der Erzeugung dessen ist, was die Roboterforschung als „Uncanny Valley“ beschreibt, dem Phänomen, dass Kunstfiguren, die Menschen zu sehr ähneln, Angst und Schrecken auslösen. Das Baby, der Junge, der Mann und die Räume, durch die sie sich bewegen, sind gleichzeitig zu real wie zu künstlich, die Sommersprossen auf dem Jungengesicht, die flackernden Kerzen, die Blendenflecken, grandios übertrieben.

Atkins treibt das Spiel um Authentizität und Individualität, wie es uns Digital Natives und Immigrants ja so oder so im Griff hält, auf die Spitze. Wenn er seine überperfekten Avatare die gesamte Klaviatur des Leidens bespielen lässt, läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. So viel Gefühl, alles Fake pur.

Realität dringt stattdessen von außen hinein. Atkins hat die Fenster des Martin-Gropius-Baus enthüllt. Tageslicht beleuchtet die Installationen, echte Bäume konkurrieren mit animierten. Nur reale Menschen fehlen – abgesehen vom Publikum. So wirft Atkins einen am Ende auf sich selbst zurück und auf die existenziellste aller Fragen: Was macht den Mensch zum Menschen?

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