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Ausstellung im Kunsthaus Hamburg… und hätten wir der Liebe nicht

Zwischen Utopie und Realität: Eine Ausstellung im Kunsthaus Hamburg hinterfragt das Konzept der „Politics of Love“.

Eine Frage der Perspektive: Blick übers Meer auf fernes Land Foto: Francis Alys/Kunsthaus Hamburg

Hamburg taz | Die Brücken sind eingestürzt. Doch nicht die Carola-Brücke über die Elbe in Dresden, nicht die Autobahnbrücke in Genua oder geschädigte Brücken über den Rhein zeichnet Soyon Jung. Ihre Brückenruinen haben etwas Romantisches, sind erkennbar römisch, gotisch oder aus barocker Zeit – und in Europa wohlbekannt: Es sind die idealisierten Brücken auf den Euro-Scheinen.

Doch die Verbindungen sind gestört, wie in der Realität bröckeln die transnationalen Visionen. Es ist durchaus leichter, das Scheitern zu illustrieren, als positive Motive für das große Thema der aktuellen Ausstellung im Hamburger Kunsthaus zu finden: „Politics of Love“.

Dass Liebe überhaupt mit gesellschaftspolitischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden soll, ist schon in der Bibel postuliert, aktualisiert wurde es als revolutionäres Format vom US-amerikanischen Literaturwissenschaftler und Aktivisten Michael Hardt 2012 anlässlich der documenta 13.

Sein Motto der politischen Liebe steht über der aktuellen, durch ein Tor von küssenden Profilen zu betretenden Hamburger Ausstellung. Die Liebe im Sozialen ist ein langjähriges Lieblingsthema der Kuratorin Belinda Grace Gardner, die zusammen mit Kunsthaus-Chefin Anna Novakdie Schau kuratiert hat.

Visionen von Frieden

Als weitere Referenz dient die „Biennale des Friedens“, die vor 40 Jahren im alten Kunsthaus von Robert Filliou und René Block mit Studenten der Hochschule für bildende Künste und wichtiger internationaler Beteiligung realisiert wurde. Damals sollte die anarchistische Energie der Fluxus-Bewegung zum Bau einer friedlicheren Welt genutzt werden.

In der jetzt präsentierten Video-Dokumentation des Eröffnungskonzerts mit Nam June Paik und Henning Christiansen taucht der vom todkranken Joseph Beuys herbeitelefonierte Satz auf: „Bei einem wesensgemäßen Beschreiben des Geschehens zur Befreiung der von der Fähigkeit getragenen Arbeit ist es doch logisch, dass das Tragende zuerst befreit werden muss.“

Diese etwas mystische Sentenz kann so interpretiert werden, dass die kreativen Kräfte erst einmal selbst zu befreien sind, um dann den Freiheitsgedanken weiterzutragen. Dazu sollte – nach Hardt – die liebevolle Toleranz aus der Zweierbeziehung auf die diverse Vielheit der Gesellschaft ausgedehnt werden. Die „Politics of Love“ nehmen das Liebesversprechen intensiver Hinwendung, Neugier und Zuneigung und erweitern es auf kollektiven Zusammenhalt und Gemeinschaftlichkeit. Eine allerdings durchaus schwierige Utopie.

Und so geht es in dieser Ausstellung – abgesehen von den durch Mounira Al Solh in Stickerei konkretisierten, höchst unterschiedlichen Liebesbegriffen der arabischen Sprache – immer wieder um persönliche und staatliche Grenzen, ihre Überwindung durch Empathie und Anarchie, Letzteres besonders im großen, weißen „Leaderless“-Banner.

Auf zwei Bildschirmen nebeneinander zeigt Francis Alÿs einen Blick über das Meer auf fernes Land: ein Blick, der bei aller Ähnlichkeit mit sehr unterschiedlichen Sehnsüchten besetzt ist, je nachdem, ob man vom marokkanischen Tanger oder vom spanischen Tarifa aus auf die Straße von Gibraltar schaut. Waren zur Zeit von Al Andaluz beide Seiten islamisch-arabisch, so waren seit Karl V. beide Seiten spanisch-europäisch. Heute ist das Meer eine tödliche Grenze.

Der Einzelne ist gefragt

Ein skulpturales Zeichen für produktiven Dissens setzt mit einfachen Mitteln Dan Peterman, Künstler, Professor und ökologischer Aktivist aus Chicago. Auf einem Podium stehen zwei Rednerpulte in entgegengesetzter Richtung: Von der gleich hohen Ebene ausgehend, ist sowohl eine Ansprache an ein groß gruppiertes Publikum aus allen Richtungen denkbar als auch die gleichzeitige und gleichwertige Verkündung totaler Gegensätze.

Das Doppelpodium wäre dazu so etwas wie eine dialektische Synthese. Es kommt ganz darauf an, wie dieses Kunstobjekt bespielt wird.

Es ist der Einzelne, der sich liebevoll einer besseren Gemeinschaft zuwenden muss. Für solche transformativen Momente sorgen ein die Ausstellung rahmendes Mail-Art-Projekt und einige Programmpunkte, wie eine Kochaktion mit Hiwa K. und der neuen Stadtkuratorin Joanna Warsza.

Eher von katastrophalen Umständen erzwungen ist der Versuch, die wenigen noch erreichbaren Ressourcen in eine Gemeinschaftsverpflegung zu bündeln: Amna Elhassan weist mit einer Geschirr-Assemblage und Gemälden auf die nur noch solidarisch-kollektiv zu bewältigende Notsituation im Sudan hin.

Liebe als politisches Instrument

Leicht kann Liebe, gerade im emotionalisiert Politischen, zu Machtmissbrauch pervertieren. Die Tausende von Augen im raumumarmenden Ornament der Iranerin Parastou Forouhar machen eine aus fehlgeleitetem Schutzversprechen generierte allgegenwärtige Kontrolle deutlich, wie sie aus toxischen Beziehungen in repressive Staatsmacht auswuchert. In Deutschland sei diesbezüglich an den erstaunlichen Satz von DDR-Stasi-Chef Erich Mielke erinnert: „Ich liebe doch alle Menschen!“

Insgesamt ist „Politics of Love“ in dieser Form eine etwas seltsame Veranstaltung: Die ausgewählte Kunst wird kaum vom groß gemeinten Titel getragen noch trägt sie ihrerseits das Konzept. Sie widerspricht ihm geradezu. Da helfen auch die herbeizitierten Angela Davis, Che Guevara und Picasso nicht.

Das zu erkennen, ist vielleicht sogar ein Schritt zum ersehnten Ziel: der utopischen Hoffnung, das mit der Liebe im Sozialen könnte vielleicht doch funktionieren, sind die aufgezeigten Widrigkeiten erst überwunden. Allerdings – das mit der großherzigen Kunst für den Frieden hat bei allem Wohlwollen schon vor 40 Jahren nicht geklappt.

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