Ausstellung des Künstlers Wols: Zerbrechliche Welt
Ein großer Maler und Säufer: Zu seinem 100. Geburtstag erinnern Museen in Dresden, Bremen und Wiesbaden an den Künstler Wols.
„Diese Doppeldeutigkeit betrifft mich“, schreibt Jean-Paul Sartre über die Bilder von Wols. „Sie hört nicht auf, mich zu beunruhigen.“ Der Philosoph sah in ihnen eine „permanente Transsubstantiation“, ein Kollabieren von Subjekt und Objekt, unfassbar, der Zuständigkeit der Sprache entzogen. Doch als Wols 1951 stirbt, kennen ihn indes nur Eingeweihte der Pariser Nachkriegs-Intelligentsia.
Die meisten aber hegen allenfalls Mitleid mit Wols. An seinem Tod mit 38 überrascht nur, dass er in Gestalt eines dummen Unglücks daherkommt – Fleischvergiftung, schlecht behandelt. Schon als Wols 1939 als feindlicher Ausländer auf eine perverse Tournee durch Frankreichs Internierungslager geschickt wird, hatte er begonnen, sich beharrlich und unaufgeregt in Richtung Tod zu saufen.
In den Lagern fängt er an, regelmäßig zu zeichnen. Beide Beschäftigungen setzt er nach Kriegsende fort. Als ihn 1947 die Amerikanerin Ione Robinson besucht und fragt, warum er den ganzen Tag Rum trinke, antwortet Wols, das sei doch völlig egal: „Manche Menschen müssen jeden Tag baden, andere Gymnastik treiben.“
Dank des Basler Piet-Meyer-Verlags liegen Robinsons berührende Reportage „Stunden mit Wols“ nun erstmals auf Deutsch vor. Denn am 27. Mai 1913 ist Alfred Otto Wolfgang Schulze, der Künstlername beruht auf einem Telegrafisten-Fehler, in Berlin geboren. Drei Ausstellungen nehmen sich seiner an – viel für einen, den wahrzunehmen dem Massenpublikum nur in jener kurzen historischen Phase glückte, in der die Frage nach radikal neuen Wegen noch nicht ganz durch die Doktrin des Wiederaufbaus überschrieben war.
„Das große Mysterium“
Die letzte Schau, „Das große Mysterium“, eröffnet Mitte Oktober in Wiesbaden. In Dresden, wo Wols die Jugend verbracht hat, zeigen die Staatlichen Kunstsammlungen ihn seit Pfingsten als Fotografen. Denn Anfang der 1930er hatte Schulze bestechende Schwarzweißaufnahmen gemacht, mit tollem Gespür fürs Spiel von Licht und Schatten und einem surrealistischen Blick fürs Detail: eine zersplinterte Zelluloidpuppe auf regennassem Kopfsteinpflaster oder eine ängstlich aneinandergedrängte Schar roher Bratwürstchen.
Den Anfang gemacht hat hingegen Bremen. Die dortige Kunsthalle tritt mit dem Titel „Wols – Die Retrospektive“ recht dickhosig auf: fantastische 38 der insgesamt 80 Ölgemälde, eine erschlagende Menge Zeichnungen plus Extrafotos, phatt! Auch der Katalog setzt auf Masse.
Klar, um Unbekanntes bekannt zu machen, muss man’s zeigen. Aber: Monumentalismus steht gerade den kleinformatigen Tuschbildern schlecht. Denn es lässt sich ja nichts Zarteres, nichts Zerbrechlicheres und Eigensinnigeres denken als so eine zerfasernde Wols’sche Linie, die anarchisch, keck, ängstlich und beängstigend die Welt erkundet. In Bremen nun treten diese Papierarbeiten in Kompaniestärke an, ordentlich in Reih und Glied – präsentiert das Bild! Statt ihre radikale Individualität zu offenbaren, werden die Blätter durch die Hängung fast in eine vermeintliche Serialität gedrängt.
Deren Wechsel von Wiederholung und Variation gleicher Gestaltungsvokabeln ist nützlich, um die Fiktion von guten und schlechten Werken zu generieren: Hier geht’s um Wertermittlung. Und dazu passt, dass die Kunsthalle den Frankfurter Kunsthändler Ewald Rathke damit beauftragt haben, die Bilder an die Wand zu bringen. Als Galerist hat der sich spezialisiert auf den An- und Verkauf von – Wols. Als Experte authentifiziert er dessen Werke für Auktionshäuser. Dadurch, das ist ein ausstellungstaktischer Coup, ist er bestens verdrahtet mit den Wols-SammlerInnen.
Es wirkt wie Verrat
Museumspolitisch hingegen ist dieser Eingriff des Markts ins Museum zweifelhaft. Und gemessen an Wols’ eigener Ästhetik wirkt Rathkes Tun wie Verrat. Denn Wols hat das Prinzip der Autorschaft sehr bewusst überwunden: Einen Riss im Straßenbelag ernennt er zu einer seiner Zeichnungen.
Mit Ehrfurcht, fast neidisch, blickt er auf eine durch Einschläge von Pistolenkugeln gesprungene Glasscheibe: „Nie wird das meiner Malerei gelingen“. Zum Anderen: Ein Bild zu verkaufen empfindet Wols als zutiefst unmoralisch. Er lehnt es ab, und dass seine Frau es tut, um das Überleben und den Rum zu sichern, empfindet er als Demütigung. Zum Jubeltag hätte man sie ihm ersparen können.
Um Wols zu feiern, bleibt in Bremen nur, aus der irritierenden Fülle sich auf ein einziges Werk zu konzentrieren, in Wols’ Praxis des Malens durch die allmähliche Zerstörung des Bildes einzutauchen: die Aufschwemmung, das Zerkratzen planvoll und mit spontaner Wucht gegen die Leinwand geschleuderter Farben. Denn natürlich sind diese Werke Kunst und längst eingemeindet ins Marktgeschehen. Aber sie können noch Welten sein. Und als die hat Wols sie geschaffen.
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