piwik no script img

Ausstellung „Zeitlos schön“Nackt ist das neue Schwarz

Die Berliner C/O-Fotogalerie zeigt Modefotografie aus den letzten einhundert Jahren. Das Genre hat sich verändert. Heute zählt besonders nackte Haut.

Sorglose Kunstwelt: Albert Watsons American Vogue. Bild: Condé Nast

BERLIN taz | Moden kommen und gehen, sagt der deutsche Volksmund. Wie bei den meisten Sprichwörtern verdankt sich auch dieses einer schiefen Wahrnehmung. Beliebige Trends der Modeindustrie tauschen sich zwar von Saison zu Saison aus, dann wird Schwarz das neue Weiß und Kariert das neue Bunt, der zeitlose Charakter der schönen Mode aber besteht aus einer nicht austauschbaren Organik von Stil und Stoff, Fantasie und Attitüde.

Diesen intertemporären Beweis erbringt gerade die Ausstellung „Zeitlos schön“ in der Berlin C/O-Fotogalerie. Der der Ruf vorauseilt, sich nicht nur schnelllebigen Trends hinzugeben.

Über 150 stilprägende und –abbildende Fotografien aus den letzten einhundert Jahren hat die Kuratorin Nathalie Herschdorfer dort zusammengestellt; vom Genrepionier Edward Steichen über Irving Penn und Sarah Moon bis zu Herb Ritts. Alle Aufnahmen entstammen dem monumentalen Archiv des Conde-Nast-Verlags, dessen bekannteste Zeitschrift die Vogue ist, die mittlerweile auch in Indien und Brasilien mit eigenen Ausgaben erscheint.

Die Vogue, besonders die italienische Ausgabe, hat die Modefotografie zu einem eigenen künstlerischen Genre heranreifen lassen, das die Grenzen alltäglicher Bild- und Wahrnehmungsgewohnheiten überschreitet und so der optischen Illusion und der sensuellen Hingabe eine Zuflucht bietet. Nicht selten wurden Fotostrecken der Vogue Italia zum Politikum, wenn es um angebliche Gewaltverherrlichung, Pädophilie oder andere gesellschaftlich Tabus ging.

Modefotografie als Abbildung allzu menschlicher Bedürfnisse und verdrängter gesellschaftlicher Motive hatte immer schon emanzipative Dimensionen. Spätestens seit den 70er Jahren war sie Teil der Popkultur geworden, nicht mehr nur der reinen Werbung verhaftet und der Präsentation neuer Kollektionen. Fotografen wie Helmut Newton inszenierten gemäldegleiche Settings, die von Malerei und Film inspiriert scheinen.

Ode an die Silhouette

Große Träume und kleine Albträume, erotische Sehnsüchte wie auch ironische Diffusionen des alltäglichen Lebens wurden zu ihrem Leitmotiv. Das Spielerische der Mode affirmierte die Modefotografie und veredelte progressiv das Leichte und Vergängliche der getragenen Mode zur divinischen Anmut, einer auf Papier gebannten Ode an die Silhouette, einer Partitur der femininen Selbsterkenntnis. In der anmaßenden Ausdehnung der Vorstellungskraft, in der Enthobenheit der Abbildungen spiegeln sich Momente der Erlösung von irdischen Beschränkungen, nicht selten wurden religiöse Assoziationen und Posen variiert.

Der schwerelose Spaziergang durch zehn Dekaden der Dekadenz im Berliner Postfuhramt verdeutlicht die Entwicklung: Durch technische Weiterungen, die Möglichkeiten der Bildbearbeitung und die Professionalisierung der Shootings wandelte sich das Genre stetig. Bildete man vor hundert Jahren quasi nur angekleidete Menschen ab, erschienen die Models seit den 80er Jahren immer mehr wie epische Epigoninnen, die Raum und Zeit beherrschen und für Momente die Welt stillstehen lassen können.

Das Natürliche wich der überbordenden Künstlichkeit, futuristische Grafiken, digitale Kolorationen und weichgezeichnete Collagen verschaffen dem Betrachter kleine Fluchten aus der Erdenschwere.

Die monochrome Reduzierung von Peter Lindbergh entführt durch seine plastische Detailtreue die märchenhafte Sorglosigkeit der Naturwelt, während Mario Testinos Bilder die vollendete Künstlichkeit in himmlisch-reiner Perfektion prophezeien: Sirenische Lippen wandeln sich zu roten Rosen, die sich nur für den Betrachter zu öffnen scheinen.

Belangloser Nacktheitskult

Auffallend in der Chronologie der Ausstellung ist aber selbstredend, wie sehr die nackte Haut in den letzten dreißig Jahren immer mehr zum Eyecatcher wurde und die schmückende Verhüllung mit Mänteln, Hüten oder Handschuhen ersetzte. Das fesselnde Geheimnis, das die nebulösen Modebilder der frühen Zeit noch in sich bargen und so attraktiv machten, löste sich seit den 60er Jahren kontinuierlich in einen belanglosen Nacktheitskult auf, der nicht mehr mit allen Sinnen kurzweilig verführen will, sondern nur verstören um des kurzen optischen Werbeeffekts willen.

Das Traumgleiche und Verzückende der glorios-konservativen Modefotografie eines John Rawlings oder Norman Parkinson ist diesem Genre leider oft abhanden gekommen – kurioserweise gerade durch vermeintliche Avantgardemagazine wie Face oder I-D. Die Fantasiewelten, der Modefotografie sind künstliche Parallelwelten der berauschenden Perfektion. Gerade weil sie in ihrer verschwenderischen Dekadenz augenscheinlich nichts mit der irdischen Tristesse des Alltags in der modernen Welt zu tun haben, sind sie ein wundervolles Plädoyer für die Ästhetisierung des Alltags und dafür, über die Verhältnisse zu leben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • X
    xexacoatl

    Der Mode Zeitlosigkeit zu unterstellen ist nur eine der vielen Stilblüten in diesem Mode und Stil, Kunst und Kultur weitestgehend verwechselnden Artikel. Daß irgendwelche Hochglanzheftchen den Einzug der Kunst in das Genre ermöglichten, ist wohl -um es freundlich auszudrücken- aus der falschen Perspektive beobachtet.

    Der letzte Satz: "Gerade weil sie in ihrer verschwenderischen Dekadenz augenscheinlich nichts mit der irdischen Tristesse des Alltags in der modernen Welt zu tun haben, sind sie ein wundervolles Plädoyer für die Ästhetisierung des Alltags und dafür, über die Verhältnisse zu leben" ist wohl ebenso vermittlungs- wie hoffnungslos. Infam die Behauptung, eine Ästhetisierung des Alltags könne sich durch Sekundierung des Konsumkapitalismus in so wohlfeiler Art abspielen und der eigene Ruin wäre hierzu der Unterpfand. Nebenbei übrigens eine schlechte Ausstellung, wie eigentl. alles bei der Touristenklitsche C/O

  • DH
    Der Heinz

    Da muss der Autor aber doch ein wenig differenzieren. Die "nackte Welle" ist ein Phänomen aus Europa, respektive aus England und in Amerika hat es sie bei großen Modemagazinen nie gegeben. Schlagen Sie mal eine "Vogue US" oder eine "Harper's Bazaar" aus der Mitte der Neunziger aus und sie werden feststellen, das die Fotos sehr züchtig sind. Im Gegensatz dazu sind/waren die "Vogue Italia" und "i-D" und "The Face" die reinen Pornohefte.

    Ich befürchte fast, das sich auch die letztgenannten Magazine - wie immer - dem amerikanischen Trend anpassen und sich wieder in Richtung der (teilweise) prüden 50'er und 60'er bewegen werden, was ich sehr schade fände und sicher nicht hilfreich für unsere Kultur wäre.

    Aber was soll's - es ist Mode und man kann davon ausgehen, das Trends wieder auftauchen werden und es wieder Irvin Penns und Hoyningen Huenes geben wird.

    Es sei denn, der Trend zur political correctness und weichgespühlten Hochglanzlangeweile, angetrieben durch Frau Wintour, setzt sich auch nach Europa fort...