: Aussichten und Einsichten
Atelierbesuch Ahmed Kamel arbeitet als „AArtist in Residence“ auf dem Dachboden des Auswärtigen Amtes. Er widmet sich dem Thema Konflikten im Allgemeinen – politischen wie persönlichen
von Beate Scheder
Selbst wer die arabische Schrift und Sprache beherrscht, kann ihn nicht lesen, den Text, den Ahmed Kamel mit weißem Stift auf schwarzen Grund geschrieben hat. Alle relevanten Wörter sind mit dicken Balken durchgestrichen, ganz so, als handle es sich um ein brisantes Dokument. Ob dem so ist? Der Künstler hält sich bedeckt und überlässt die Deutung seinen Besuchern. Von denen hat der Künstler in letzter Zeit viele in seinem Studio, denn das befindet sich an einem sehr speziellen Ort mit der vielleicht besten Aussicht der Stadt: hoch oben auf dem Dachboden des Auswärtigen Amtes.
Für Kamel war es jedoch weniger die Aussicht als das Gebäude an sich, dessen Geschichte als Sitz der Reichsbank, des Zentralkomitees der DDR und schließlich des Auswärtigen Amts, die ihn reizte. Außerdem dieser seltsame bislang funktionslose Ort innerhalb des hochoffiziellen Komplexes, der nie richtig fertiggestellt wurde und Kamel nun als Atelier dient. Die Renovierungsmaßnahmen nach der Wende kamen unterm Dach nie an. Der Raum wurde als Möbellager genutzt.
Das sieht man ihm auch an: Kabel hängen offen an der Decke, die Wände sind nicht verputzt. Repräsentativ ist der Raum nicht, aber das soll er auch nicht sein, vielmehr ein Freiraum für Kunst. Kunst- und Künstlerförderung ist für das Auswärtige Amt an sich nichts Neues. Bislang geschah das jedoch primär über Institutionen wie das Institut für Auslandsbeziehungen oder die Goethe-Institute und in der Regel im Ausland.
„AArtist in Residence“ lautet der Name des Programms, das in diesem Jahr offiziell gestartet ist und nun regelmäßig Kunstproduktion in den Räumlichkeiten des Auswärtigen Amtes fördern soll. Ahmed Kamel ist einer der Stipendiaten, aber nicht der erste Künstler, der das Studio unterm Dach bezogen hat. Die Idee ist eigentlich schon ein paar Jahre alt, 2008/2009 hatte der Maler Michael Ramsauer dort oben gearbeitet. 2015 wurde die Idee wieder aufgenommen, und es gab einen weiteren Testdurchlauf mit Maler und Bildhauer Detlef Waschkau. In diesem Jahr, im offiziellen Residenzprogramm, kamen drei Kandidaten nacheinander für jeweils drei Monate an die Reihe. Zunächst Andréas Lang, danach Kerstin Honeit und seit Ende Oktober Ahmed Kamel.
Ausgewählt wurden Künstler, die in ihrer Arbeit entweder einen starken Bezug zum Ausland haben oder aus einem anderen Land stammen und in Berlin leben und arbeiten. Und die von einer Berliner Galerie vertreten werden – Kooperationspartner ist der Landesverband Berliner Galerien. Dieser schlägt Künstler vor, die dann von einer unabhängigen Fachjury ausgewählt werden.
Das Konzept geht auf. Die Kunst aller drei Stipendiaten bietet Anknüpfungspunkte zum Ort, seiner Funktion, seiner Geschichte – mit durchaus kontroversen Themen. Andréas Lang, der zur Kolonialgeschichte Deutschlands forscht, nutzte intensiv die Archive des Auswärtigen Amtes zur Vorbereitung seiner Einzelausstellung, die momentan im Deutschen Historischen Museum läuft. Video- und Installationskünstlerin Kerstin Honeit arbeitete im Atelier an einem Projekt über Repräsentationsarchitektur, inszenierte einen Kaffeeklatsch: Arbeiter, die am Bau des Palastes der Republik mitwirken, treffen auf die, die an dessen Rückbau und am Stadtschloss werkeln.
Bei Kamel ist der Einfluss des Ortes auf seine Arbeit weniger offensichtlich. Direkt verändert habe er sie nicht, meint er, inspiriert aber definitiv. Man kann es sich vorstellen, allein schon die strengen Sicherheitskontrollen und Regeln des Hauses müssen bei einem Künstler wie ihm Eindruck hinterlassen.
Kamel, geboren 1981, arbeitet multimedial, oft zeichnerisch, mit Fotografie oder Video in seiner Geburtsstadt Kairo und in Berlin. Die aktuelle, ebenfalls multimediale Serie, mit der er begann, als er für das Programm ausgewählt wurde, trägt den Titel „It didn’t happen (Ungeschehen)“. Darin beschäftigt er sich mit dem Thema Konflikt im Allgemeinen, persönlichen wie politischen. Zudem thematisiert sie die Manipulation der Wahrnehmung, das Verwischen von Spuren. So wie in dem eingangs beschriebenen Gemälde, das im Atelier als Teil eines Triptychons hängt.
Für das Auslöschen, zum Beispiel der eigenen Vergangenheit, hat Kamel noch weitere Bilder gefunden, die man dort besichtigen kann. Das Eindrucksvollste ist ein Objekt, ein Paket an Schreibheften, fest mit Draht umwickelt. Seine Tagebücher seien das, erzählt Kamel und dass er die Texte allesamt mit Tinte geschwärzt hätte, bevor er das Bündel schnürte. Verloren sind die Inhalte jetzt für immer, nur die Erinnerungen im Kopf sind noch da – und die Zweifel.
Fast ist die Installation komplett, nur die Videos fehlen noch. Wer sich für den Atelierbesuch am 19. Januar anmeldet – E-Mail an AArtist@diplo.de genügt – kann sie gewiss sehen.
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