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■ Aussichten der Bündnisgrünen nach der Hessen-WahlVon Rot-Grün zu Grün-Rot

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist jetzt in Hessen eine Koalition von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen vom Wähler bestätigt worden. Dabei beschreibt der Begriff Bestätigung nur unzureichend, was geschah. Zwar bleibt die Koalition an der Macht, Ministerpräsident Eichel im Amt. Aber nicht aus eigener Kraft, sondern nur dank der Gewinne der Bündnisgrünen. Mehrmals mußte Eichel am Sonntag abend darauf hinweisen, daß die SPD schließlich immer noch dreimal so stark ist wie die Grünen; der Eindruck von außen ist ein anderer.

Mit jedem neuen Erklärungsversuch machte Eichel die Sache nur noch schlimmer. Die schlichte Feststellung, die Grünen seien eben die modernere Partei, die die aufgeklärte, materiell abgesicherte großstädtische Mittelschicht vertritt, während die SPD die gesellschaftlichen Verlierer auffängt, wird den Bonner Parteistrategen die Haare zu Berge stehen lassen. Verfestigt sich dieses Image, wird der Trend von Hessen bundesweit zur Regel: In rot-grünen Koalitionen gewinnt letztlich Grün.

Schon bislang gab es von dieser Regel nur eine Ausnahme, und die verdankt die SPD Gerhard Schröder in Niedersachsen. Bei den Landtagswahlen im März letzten Jahres gewannen nicht nur die Grünen, sondern auch die SPD. Da zusätzlich die FDP noch auf der Strecke blieb, reichte es für Schröder zur absoluten Mehrheit.

Der Vergleich zwischen Hessen und Niedersachsen macht auch deutlich, daß die Grünen nach dem Rückschlag von 1990 sich endgültig als drittstärkste politische Kraft der Republik etabliert haben. Mit Angstkampagnen – Stichwort rot-grünes Chaos – ist ihnen längst nicht mehr beizukommen. Trotzdem ist der Erfolg von Hessen nicht umstandslos auf andere Bundesländer oder die Republik insgesamt übertragbar. Das könnte sich schon bei den bevorstehenden Neuwahlen in Bremen zeigen, denn anders als in Hessen wird im Stadtstaat im Norden voraussichtlich die PDS eine Rolle spielen. Der Etablierungsprozeß der Grünen, angefangen von Veränderungen im Auftreten ihrer RepräsentantInnen bis hin zur Anerkennung des Sachzwangs als regelmäßige Basis politischer Entscheidungen, hinterläßt ein Vakuum, das die PDS sich nun anschickt, im Westen zu füllen. Vielleicht gelingt es den Grünen, den Angriff der PDS mit dem Hinweis abzuwehren, Gysis Truppe segele unter falscher Flagge – der ostdeutsche Rentnerklub sei schließlich alles andere als ein Sammelbecken für westdeutsche Sozialrevolutionäre.

Auf Dauer wird das aber nicht reichen. Für die Bündnisgrünen kommt jetzt die Phase, wo sie, auch aus der Verantwortung heraus, zeigen müssen, daß sie ein politisches Anliegen haben und sich nicht in Machtspielen verschleißen lassen. Jürgen Gottschlich

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