Ausschreitungen beim Hallenfußballturnier: Fan-Krawalle: Fronten verhärten sich
Die Polizei gibt den Fans des FC St. Pauli die Hauptschuld an den Krawallen in der Sporthalle Hamburg. Die CDU fordert die Abberufung von FC St. Pauli-Sicherheitschef Sven Brux.
![](https://taz.de/picture/232683/14/Cyber_N1_sporthalleHH_DPA_5spSW.jpg)
HAMBURG taz | Kuno Lehmanns Stimme bebt, als er der Abgeordneten der Linkspartei, Christiane Schneider, in die Parade fährt: "Ich lasse mir von ihnen nicht vorwerfen, auf dem rechten Augen blind zu sein." Zuvor hatte Schneider dem Leiter der Zentraldirektion der Hamburger Polizei "bedrückende" Auslassungen vorgeworfen in seiner Zusammenfassung der Ausschreitungen, die am vergangenen Freitag zum Abbruch des traditionellen Hamburger Hallenfußballturniers in der Sporthalle Hamburg geführt hatten. Die Nazi-Parolen und die zum Hitler-Gruß erhobenen Hände im Lübecker Block habe Lehmann in seiner zwanzigminütigen Ansprache "mit keinem einzigen Wort erwähnt".
Zumindest dafür, dass dutzende Zeugen, aber kein einziger Beamter, "Schmähungen am Rande der Volksverhetzung", so Schneider, vernommen haben, hat Lehmann eine plausible Erklärung: "Die Beamten hatten alle Helme auf." So seien nur die vergleichsweise harmlosen "Deutsche wehrt euch, geht nicht zu St. Pauli"-Parolen aus dem Lübecker Block von den Polizeikräften registriert worden.
Es ist Dienstagabend, der Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft arbeitet unter Anwesenheit von Innensenator Michael Neumann (SPD) die Alsterdorfer Randalenacht auf und es geht hoch her. Um 17.37 Uhr, das weiß Lehmann genau, hätten "St. Paulianer als erste die Ordner angegriffen", um zum Gästeblock und den "verfeindeten" Lübecker Fans zu gelangen. Kurz danach hätten "beide Fangruppen versucht, zueinander zu kommen", kurz vor 19 Uhr sei die Situation für die Polizei dann "nicht mehr zu kontrollieren gewesen".
Eine Sichtweise der Geschehnisse, die den Medienchef des FC St. Pauli, Christian Bönig, "sprachlos" macht. Der Verein hatte am Tag zuvor, nach eigenen Wahrnehmungen und der Auswertung zahlreicher Zeugenaussagen, erklärt, nur durch einseitige Angriffe aus dem Lübecker Block auf St. Pauli-Fans und ein chaotisches Eingreifen der Polizei sei es "zur Eskalation der Gewaltspirale" gekommen, in deren Folge dann auch Teile der eigenen Fans gewalttätig reagiert hätten. Bönig: "Wir bleiben bei unserer Darstellung."
Doch die von einander abweichenden Darstellungen von Polizei und den Verantwortlichen des Hamburger Zweitligisten, bleiben nicht der einzige Widerspruch des Abends. Nachdem Lehmann ausgeführt hat, die Polizei habe "im Vorfeld keine Erkenntnisse gehabt", dass der Abend unfriedlich verlaufen könnte und sei deshalb von den Prügelszenen "völlig überrascht worden", meldet sich Carl-Edgar Jarchow, FDP-Abgeordneter und HSV-Chef in Personalunion, zu Wort. Er klärt den Ausschuss darüber auf, dass die Polizei bereits in Vorgesprächen gegenüber den HSV-Verantwortlichen massive Sicherheitsbedenken geäußert habe.
Die Polizei habe seinem Verein dringend von der Teilnahme an dem Turnier abgeraten, da bei einer Teilnahme beider Hamburger Proficlubs eine Eskalation vorprogrammiert sei. Zudem habe sich schon im Vorfeld herauskristallisiert, dass der Veranstalter "mit der Organisation des Turniers offensichtlich überfordert" und nicht in der Lage gewesen sei, die räumliche Trennung rivalisierender Fangruppen in der Halle zu gewährleisten.
Die Hamburger Grünen und die Linkspartei haben inzwischen Schriftliche Anfragen an den Hamburger Senat gestellt, um die Widersprüche aufzuklären. Innensenator Michael Neumann hat für den heutigen Donnerstag die Vertreter beider Hamburger Bundesligisten, Fansprecher und Hamburger Sportfunktionäre ins Rathaus bestellt, um über Konsequenzen nachzudenken.
Eine Konsequenz hat die Hamburger CDU bereits gezogen: Sie fordert den Kopf des Sicherheitschefs des FC St. Pauli, Sven Brux. Brux habe, so der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Kai Voet van Vormizeele, "für seinen Verein Gewalt gerechtfertigt". Innenexperte van Vormizeele weiter: "Ich erwarte vom FC St. Pauli, dass er Konsequenzen zieht. Ein solcher Mann darf nicht länger offizieller Ansprechpartner für Sicherheitsfragen sein."
Hintergrund der CDU-Attacke: Brux war von mehreren Medien mit dem Satz zitiert worden: "Wenn einer Nazi-Sprüche macht, dann muss er auch das Gefühl haben, dass ihm das gesundheitlich nicht ganz gut tut." Brux hat inzwischen eingeräumt, "dass meine Worte Spielraum für Interpretationen gelassen haben", und bekräftigt, "dass ich Gewalt, egal von wem sie ausgeht, ablehne".
Medienchef Bönig jedenfalls lässt gegenüber der taz keinen Zweifel: "Sven Brux bleibt unser Sicherheitschef."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau