Ausschreibung an der FU: Vergebliche Öko-Kriterien

Die Freie Universität hält sich bei einem Neubau nicht an das Vergaberecht. Sie missachtet Umweltvorgaben - was etwa zu höherem Energieverbrauch führen könnte.

Auch Klimaanlagen sucht die FU - doch die Umwelt bleibt auf der Strecke. Bild: dpa, Marijan Murat

Die Freie Universität Berlin (FU) ignoriert Umweltvorschriften des neuen Ausschreibe- und Vergabegesetzes: Der Ressourcenverbrauch wird beim Einkauf von Produkten nicht in der Form berücksichtigt, wie das Gesetz es vorschreibt. Damit riskiert die Uni, dass sie Produkte einkauft, die besonders günstig sind, aber auf lange Sicht höhere Kosten verursachen und die Umwelt schädigen. Zudem könnte das Ergebnis der Ausschreibung von unterlegenen Konkurrenten angefochten werden, was massive Verzögerungen zur Folge hätte.

Das Ausschreibe- und Vergabegesetz, das im Juli in Kraft getreten war, gehört zu den Kernprojekten der rot-roten Koalition in dieser Legislaturperiode. Es bestimmt, nach welchen Regeln der Senat, die Bezirke, die landeseigenen Unternehmen und andere öffentlichen Auftraggeber Produkte und Dienstleistungen bei Privatunternehmen einkaufen. Dabei geht es um ein Auftragsvolumen von vier bis fünf Milliarden Euro pro Jahr.

Der in der Öffentlichkeit am stärksten diskutierte Punkt des Gesetzes ist der Mindestlohn von 7,50 Euro brutto bei öffentlichen Aufträgen. Daneben macht das Gesetz noch eine Reihe weiterer Vorgaben, insbesondere zum ökologischen Einkauf. Bei Großeinkäufen sind etwa bei der Entscheidung, welcher Anbieter den Zuschlag erhält, laut Gesetz "die vollständigen Lebenszykluskosten des Produkts oder der Dienstleistung zu berücksichtigen".

Mit dieser Vorschrift wollte das Abgeordnetenhaus verhindern, dass die Verwaltung zum Beispiel elektrische Geräte beschafft, die im Einkauf günstig sind, aber im Betrieb viel Strom verbrauchen. Die Vorschrift sollte nicht nur die Umwelt schonen, sondern auf lange Sicht auch den Landeshaushalt.

Die Freie Universität baut derzeit in Zehlendorf ein neues Forschungshaus für Molekulare Veterinärmedizin. In dem rund 25 Millionen Euro teuren Neubau mit Hochsicherheitslabor sollen etwa die Institute für Virologie, Immunologie und Molekularbiologie sowie Mikrobiologie und Tierseuchen einziehen. In einer Reihe von europaweiten Ausschreibungen sucht die Universität nach Lieferanten von Klimaanlagen, Stromtransformatoren, Feuerlöschanlagen, Rohrleitungen und Metalltüren. "Das Kriterium der Lebenszykluskosten wurde bei dieser konkreten Ausschreibung noch nicht als Zuschlagskriterium genannt, weil es dazu noch keine Normen gibt", schreibt die Universität als Antwort auf eine taz-Anfrage. Derzeit würde lediglich bei der Entscheidung, welche Art von Produkt überhaupt ausgeschrieben wird, auch auf Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit geachtet. Wenn ein Angebot noch besser ist als vorgegeben, erhält es aber keinen Extra-Bonus - genau dazu soll die Abfrage der Lebenszykluskosten dienen.

In einem Punkt hat die Uni Recht: Der Senat hat zu dem Gesetz tatsächlich noch keine Ausführungsvorschriften mit detaillierten Normen erlassen. Darin könnte der Senat für alle öffentlichen Auftraggeber vorschreiben, wie konkret die Lebenszykluskosten berücksichtigt werden sollen. Die Umweltverwaltung will die Vorschriften rasch ausarbeiten, danach werden sie noch der EU vorgelegt und erst danach kann der Senat sie beschließen - Zeitpunkt ungewiss.

Doch für die FU dürfte das keine Rolle spielen. Die Vorgaben in einem Gesetz müssen "auch berücksichtigt werden, wenn die Ausführungsvorschriften noch nichts derart Konkretes enthalten", erläutert Christian Pestalozza, emeritierter Staatsrechtsprofessor der FU. Das ergibt sich schon aus dem Prinzip der Gewaltenteilung: Was die Volksvertreter in ein Gesetz gießen, muss die Verwaltung beachten.

Das weiß auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die innerhalb des Senats mit Abstand die meisten europaweiten Ausschreibungen veröffentlicht. "Solange keine Verwaltungsvorschriften vorliegen, werden die gesetzlichen Vorgaben im Einzelfall individuell umgesetzt", erläutert Petra Rohland, Sprecherin von Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD).

Das geschieht zum Beispiel bei den Ausschreibungen für den Bau eines neuen Gefängnisses. Aus ganz Europa können sich Firmen bewerben, die die sieben Gefängnisaufzüge liefern wollen. Bei der Entscheidung über den Zuschlag spielt nicht nur der Einkaufspreis eine Rolle. Rohland: "In den Ausschreibungsunterlagen werden die Wartungskosten für vier Jahre abgefragt, und sie fließen im vollen Umfang in die Bewertung ein."

Auch die Charité und die BVG berücksichtigen die Lebenszykluskosten beim Einkauf von Tiefkühlschränken beziehungsweise Leuchten. Es gibt allerdings hunderte weitere Vergabestellen in Berlin - eine Übersicht, welche von ihnen sich an das Gesetz halten, gibt es nicht.

Die FU riskiert mit ihrem Gesetzesverstoß noch mehr als nur einen Schaden für die Umwelt und ihren Haushalt. Gabriele Soth-Schulz, die in der Vergabekammer bei der Wirtschaftsverwaltung mit darüber entscheidet, ob ein Vergabeverfahren aufgehoben wird, möchte zwar grundsätzlich vorab keine rechtlichen Beurteilungen abgeben. Doch, ganz allgemein, könne "die Fehlerhaftigkeit von Zuschlagskriterien - nach ordnungsgemäßer Rüge - durchaus Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein". Jedes Unternehmen, das sich vergeblich beworben hat, kann das Verfahren einleiten. Aber nicht einmal das ist notwendig. Soth-Schulz: "Bei entsprechender Schwere eines Verstoßes kann die Vergabekammer diesen von Amts wegen aufgreifen." Die Folge: Die Ausschreibung beginnt von vorn.

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