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Auskotzen und Übermalen

■ Lothar Beck und Wolfgang Lehman in der »Galerie Unter den Linden«

Unter den Linden« wird seit kurzer Zeit wieder als Berliner S-Bahn-Station der Linie S2 ausgerufen. »Unter den Linden« gehört für jeden Besucher der Stadt zum unverzichtbaren Tourismusklischee, und unter eben diesen Linden befindet sich auch eine gleichnamige Galerie. In den Zeiten des geschlossenen Brandenburger Tores galt sie als die erste Galerie am Platze und fungierte als Präsentierteller für DDR-Gegenwartskunst. Angeboten wurde, was das Genehmigungslabyrinth ihres Trägers, des Staatlichen Kunsthandels, erfolgreich durchlaufen konnte. Nach einem Lichtblick im Juli, als die Arbeiten der Berliner Künstlerinnen Ellen Fuhr und Ursula Strozynski gezeigt wurden, lohnt die derzeitige Ausstellung tatsächlich, um die eingangs erwähnte neue S-Bahn-Station auszuprobieren; noch dazu könnte es der letzte Besuch sein, da voraussichtlich zum 30. September der Mietvertrag für die Galerieräume ausläuft.

Vorgestellt werden Skulpturen von Lothar Beck in Kombination mit Malerei und Graphik von Wolfgang Lehmann. Die Skulpturen des Dresdners Lothar Beck gewannen in den letzten Jahren an Abstraktion, lediglich noch in körperlichen Details finden figurative Vorwürfe Verwendung. Beck scheint nicht so sehr direkt an die Traditionen der klassischen Moderne, an Henry Moore und Hans Arp, anzuknüpfen wie an ihre Verarbeitung in der Formensprache seines Dresdner Künstlerkollegen Peter Makolies. Die Mänaden, Liegenden und Sirenen aus Marmor, Alabaster und Muschelkalk sowie die zahlreichen Abstraktionen reizen das Auge zunächst durch die Noblesse ihrer Materialität, lassen die Aufmerksamkeit aber ebensoschnell an ihrer polierten Oberfläche abgleiten.

Ganz anders die Arbeiten seines Malerkollegen. Wolfgang Lehmann studierte an der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig und lebt seitdem in Zwickau und Leipzig. In der Ausstellung finden sich die Radierungen der 1988 entstandenen Graphikmappe Alp-Tanz sowie ein Zyklus farbiger Variationen dieses Themas in Mischtechnik. Dabei dreht sich alles um den gestörten Umgang zwischen Mann und Frau. Lehmanns unverdrossenes Abschinden am immer gleichen Thema erklärt auch den zunehmenden Einsatz von Dispersionsfarbe; ermöglicht sie doch eine wesentlich höhere Malgeschwindigkeit und somit ein kurzzeitiges Auskotzen unmittelbarer innerer Erregung bzw. ein ebenso schnelles Tilgen durch die Möglichkeit sofortigen Übermalens. Die jeweiligen Situationen, in denen die Figuren agieren, sind inzwichen einzig und allein auf den Augenblick konzentriert — auf das Gerade-noch und Schon-nicht-mehr. Begierde und Abscheu, Zärtlichkeit und Aggression, Liebe und Haß sammeln sich in seinen Figuren; eigentlich unvereinbar, werden sie miteinander verknäult, drohen in ihrer Gegnsätzlichkeit jedes Bildgeviert zu sprengen und erdulden nicht, daß der Betrachter in seiner gewöhnlichen kontemplativen Rolle verharrt. Durch die Intensität des konkreten Erlebens spitzt sich Lehmanns Suche nach einer Form letzter Benennung, einer nicht weiter reduzierbaren Formulierung in den jüngsten Arbeiten weiter zu; bisher wildes Getümmel erstarrt so — hoffentlich nicht endgültig — in krustiger Ölfarbe. Liane Burkhardt

Bis 6. Oktober, Mo. bis Fr. von 12 bis 19 Uhr, Sa. von 10 bis 15 Uhr.

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