piwik no script img

Ausgrabung des SS–Staates

■ Berlin eröffnet Ausstellung des „Gestapo–Geländes“ / Versöhnliches und Versöhnelndes über ein Provisorium zur 750–Jahr–Feier / „Wiederkehr des Verdrängten“ / „Dokumentation zum SS–Imperium läßt Fragen offen

Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - „Ja, ich bin zufrieden.“ Das betonte wiederholt Gerhard Schoenberner, der seit 1983 als Mitinitiator des Vereins „Aktives Museum Faschismus“ für eine Gedenkstätte auf dem Berliner „Gestapo–Gelände“ kämpft, nach der Eröffnung der Ausstellung mit dem gewichtigen Titel „Topographie“ des Terrors. Als am Samstag morgen vom Kultursenator Volker Hassemer Ausstellung und Gelände der Öffentlichkeit übergeben wurden, schwebte in der Tat ein versöhnendes „Immerhin“ über der Szene. Was Schoenberner nicht aufrühren wollte, war die Vorgeschichte der Ausstellung: Nachdem seit zehn Jahren verschiedene Initiativen, Geschichtswerkstätten und politische Gruppen in Berlin mit symbolischen Ausgrabungen, Inszenierungen, Dokumentationen um den „Umgang mit dem Gestapo–Gelände“ (eine Initiative dieses Namens wurde 1985 gegründet) einen bitteren Kampf um das Selbstverständliche führten, war es endlich unvermeidlich, daß mit der großen 750–Jahr–Ausstellung im Gropius–Bau nebenan auch die unangenehme Vergangenheit thematisiert werden mußte. Dieser „historisch schwer belastete Ort“ (Senatssprache) mußte so hergerichtet werden, „daß man sich nicht schämen muß“ (Diepgen im vergangenen Jahr), wenn nebenan eine „bedeutende Ausstellung stattfindet. Der Historiker Reinhard Rürup, verantwortlich für die Berlin–Ausstellung im Gropiusbau, hatte auch die Darstellung des SS–Staates zu organisieren. Eine Arbeit, die nach langem Zögern in Hast umschlug, ausgeführt von überforderten ABM–Kräften. Daß die Ausstellung nicht das letzte Wort sein könne, daß sie ein Provisorium sei, betonten denn auch die Macher. Sie mußten allerdings bei der Eröffnung vom Senator Hassemer die Neuigkeit erfahren, daß das Provisorium „länger erhalten bleiben soll“ als die Ausstellung zur 750–Jahr–Feier. Präsentiert wurde eine beschei dene Ausstellungsbaracke, noch bescheidener „Dokumentation“ genannt, in der mit einer Collage von Fotos und Texten ein Umriß des SS–Staates angeboten wird; präsentiert wurde jenes Gelände, das bis vor einigen Jahren historisches und städtebauliches Niemandsland war, bis 1945 aber zum Regierungsviertel gehörte, vielmehr selbst das Regierungsviertel des SS–Staates darstellte. Hier war der Sitz der Gestapo und später das Hauptgebäude des Reichssicherheitshauptamt, Sitz des SD und Dienstsitz der RSHA–Chefs Heydrich und Kaltenbrunner und das „Hotel Prinz Albrecht“, die „Reichsführung SS“. Jetzt ist das Niemandsland eingezäunt. Sommerwiesen mit Einschlüssen: sorgfältige „Ausgrabungen“ der Reste ehemaliger „Tiefräumung“ - liebevoll freigelegt, als ob es sich um ein neusteinzeitliches Pfahldorf handle - die Überbleibsel der „Folterkeller“. Bei nur 300 qm Ausstellungsfläche ist ein solches Unternehmen fast einwandsimmun: Der Verästelungen des SS–Staates kann man nicht gerecht werden. Die Politik des SS–Staates, die über den Massenmord hinausging, die Perspektive des Generalgouvernement, die „innere Endlösung“ wird kaum erwähnt. Wenn man sich an die mühsame Lektüre der Dokumente in den Großfotos (einziges Darstellungsprinzip) macht, bleiben mehr Fragen, als der Berichterstatter Platz hat. Eine Karte der SS–Institutionen in Berlin war in Arbeit, aber sie fehlt. Immerhin, durch die Ausstellung sind zwei Gefahren gebannt, daß nämlich der „belastete“ Ort weg“gestaltet“ wird und daß eine Gedenkstätte ohne Details entsteht. Kurzfristig zeichnet sich jedoch ab, daß Berlin, das bislang kein Museum über den Faschismus zustande brachte, dieser Zeit dreistimmig gerecht werden will: in der Stauffenbergstraße das Widerstandsmuseum, in der „Wannseevilla“ das Gedenken an die „Endlösung“ und schließlich das „Gestapo–Gelände“. Die wichtigste Leistung der Ausstellung ist „immerhin“, daß sie nebenher die liquidatorische Nachkriegsgeschichte dokumentiert - ein Teil ist ihr unter dem psychoanalytischen Stichwort „Wiederkehr des Verdrängten“ gewidmet. Allerdings vermochte Hassemer nur, ohne Namensnennung den Initiatoren dieser Wiederkehr, ohne Erwähnung der Initiative „Aktives Museum Faschismus“, zu danken. „Freilegung der verschütteten Mahnung“ sei das Ziel, betonte der Senator. Aber die sprachlichen, metaphorischen Verschüttungen wachsen. Über dem ganzen Gelände liegt die Frage, wo wurde gefoltert. Nebenan ist eine Schuttrampe: Auf der Tafel der Aussichtsplattform liest man, daß in der Mauerstraße 1943 eine Sammelstelle der „Fabrikation“ war. Fabrikation? Nein „Fabrik–Aktion“, d.h., die Deportation der in der Rüstungsindustrie Berlins beschäftigten Juden in die Vernichtungslager. 27. Februar 1943.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen