: Ausgeschieden aus dem Spiel
Das Virus ist schuld, dass er ausgeschieden ist. „Ich spiele nicht mehr mit“, sagt Andreas Bemeleit. Denn im Spiel des Lebens der Menschen zwischen 30 und 40 geht es um Karrieren und Beziehungen, um Kinder, wenn sie da sind, oder um die Frage, ob sie kommen sollen. Es geht um vieles, aber nicht um den Tod. „Ich mache mir Gedanken, die nicht zu meinem Alter passen“, sagt er. Gedanken, die nicht passen zu Gesprächen über Jedermann-Ärger mit dem Projekt, dem Team, dem Arsch, der einem gerade eine Delle ins Auto gefahren hat.
Andreas Bemeleit ist 38 und Rentner. Er war 24, als er erfahren hat, dass er HIV-positiv ist. „Ich bin hämophil, das schwebte damals über uns.“ Als die Diagnose kam, war sie verbunden mit der Aussicht: „Sie haben noch zwei Jahre.“
Das ist 14 Jahre her, und „ich habe immer wieder Nachschlag bekommen“. Irgendwann gab es Medikamente statt Prognosen. „Jetzt kann ich hundert werden.“ Nebenwirkungen? „Ohne ein bis zwei Tafeln Schokolade komme ich nicht über den Tag.“ Und länger als bis fünf Uhr kann er nie schlafen: „Das ist dann jedesmal so, als würde jemand einen Schalter bei mir anknipsen.“
Das Leben aus Nachschlägen hat ihn das Planen vergessen lassen. Als er vom Ende erzählt bekam, bastelten die Komilitonen gerade an dem, was eine Karriere werden sollte. Andreas Bemeleit hat erstmal gemacht, was er schon lange wollte: drei Monate durch Neuseeland radeln. Auf Hin- und Rückweg hat er ignoriert, dass HIV-Positive in den USA nicht erwünscht sind.
Als es immer wieder eine Kelle aus dem Lebenstopf gab, hat er eine dreijährige Ausbildung zum Informatik-Betriebswirt gemacht. „Das war nicht schön, wenn ich alle paar Wochen nach der Inhalationsprophylaxe gegen zehn Uhr ins Büro kam und mich fragen lassen muss-te, ob ich ausgeschlafen hätte.“ Aber wissen sollte es niemand. Bis auf ganz wenige. Und bis zu dem Zeitpunkt, als er die Tuberkulose bekam. „Da war ich eineinhalb Jahre krankgeschrieben, und es ließ sich nicht mehr verheimlichen.“ Statt einer Rehabilitationsmaßnahme, „das lohnt sich nicht mehr“, gab es anschließend die Erwerbsunfähigkeitsrente.
Damals ging es ums Gesundwerden. Heute geht es ums ... Er weiß es nicht. „Ich bin auf der Suche.“ Deshalb zieht er so häufig um, deshalb beschreibt er seine derzeitige Lebensphase mit „Zwischenzeit“. „Ich bin nicht todkrank und nicht gesund.“ Gerade hat er ein Arbeitsexperiment hinter sich, hat ein halbes Jahr als Webdesigner gearbeitet, hatte jeden Abend etwas zu erzählen und beim Kennenlernen eine Antwort auf die Frage „Und was machst Du so?“ Aber es war zu anstrengend. Er hat sich für die Rente entschieden. „Ich habe ja Glück, bin finanziell versorgt.“ Denn als jemand, den Blutkonserven krank gemacht haben, hat er Geld aus dem Entschädigungsfonds von Bundesregierung, Deutschem Roten Kreuz und Pharmaindustrie bekommen: „Mein Leben ist 100.000 Mark wert.“ Nun ist der Topf allerdings bald leer, „wir leben zu lange.“
Klar kennt er andere HIV-Positive. „Aber auch da bin ich Außenseiter, nicht schwul, nicht drogenabhängig, nicht substitutiert.“ Die Bluter, die mit ihm zusammen die Diagnose bekommen haben, seien überwiegend tot. „Ich weiß nicht, warum ausgerechnet ich noch lebe.“ Wenn er keine Lust hat, über das Virus zu sprechen, meidet er Smalltalk mit Unbekannten. „Als Frau mit Kindern hat man eine bessere Begründung, warum man nicht arbeitet.“ Manchmal denkt er sich etwas aus. Und manchmal sagt er die Wahrheit. „Dann muss ich oft trösten.“
Aber weil er merkt, dass diese Information zu ihm gehört, geht er freigiebiger damit um, „ich finde es wichtig, AIDS ein Gesicht zu geben. Nur wer jemanden mit AIDS kennt, kann seine subtilen Ängste abbauen.“ Überhaupt kann man ihn ohne diese Information nicht verstehen: „Ich bin distanziert und ängstlich geworden.“ Manchmal testet er, wieviel er sich herausnehmen kann, weil er etwas Besonderes ist. „Denn wir leben in einer Fit for Fun Gesellschaft.“ Er habe ja eigentlich sogar Glück, dass er lebe, „heutzutage kann man Hämophilie mit pränataler Diagnostik erkennen und ungeborenes Leben töten“.
Er will, dass auch das Unperfekte seinen Platz hat, dass Positive sich nicht mehr verstecken müssen, und dass jeder darüber nachdenkt, „dass das hier keine unendliche Geschichte ist. Daran ändert auch ein bisschen Fitnessstudio nichts.“ san
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