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Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmLetztes Jahr noch saß sie im Saal plötzlich neben mir

Am Samstag war Finale vom Finale: Zum letzten Mal „A L’Arme“, das Festival, das stets mit schönem Krach und experimentellem Jazz über die Saure-Gurken-Zeit half, in der ferienbedingt konzertmäßig eher wenig geht. Nun machen die Gründerinnen Louis Rastig und Karina Mertin Schluss – angesichts von Kürzungen sei kein vernünftiges Programm mehr zu machen.

Der QR-Code zur Petition gegen Einsparungen beim Bundeskulturfonds für die freie Kunst hängt gleich am Eingang. Die Stimmung ist dennoch heiter vergnügt. Vielleicht, weil der Teil des Publikums, der die letzten Tage schon da war, von der doch sehr körperlichen Erfahrung dieser Musik schön weichgekocht ist. Lärm, so erfährt man hier wieder, kann den Kopf so schön leer machen wie Ruhe.

Der Buzz, der in der Luft liegt, ist jedoch wohl auch dem Umstand geschuldet, dass dieser allerletzte Festivalabend der im Mai mit 87 Jahren verstorbenen, für die hiesige Musikszene ikonischen Promoterin und Veranstalterin Monika Döring gewidmet ist. Gelegentlich ist es so voll, dass man zu den Konzerten nur reindarf, wenn jemand rauskommt – nicht weiter schlimm, denn auf der Terrasse im dritten Stock, wo leckerer Naturwein ausgeschenkt wird, ist es zwischendurch auch ganz schön. Und deutlich luftiger. Auch wenn der Free Jazz, den das Barpersonal offenbar braucht, um bei Laune zu bleiben, ein bisschen stresst. Dagegen klingt vieles, was in den Konzerträumen zu hören ist, geradezu zugänglich.

Döring war eine große Freundin dieses Festival und noch bei der vergangenen Ausgabe eifrig am Start. Persönlich kannte ich sie nicht, nur vom Sehen – was vermutlich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Allzu gut sehen konnte sie in den letzten Jahren, in denen ich ihr gefühlt dauernd über den Weg lief, ja nicht mehr. Jedenfalls saß ich letztes Jahr auf einem der Sitzblöcke im Saal und guckte Eve Risser an ihrem präparierten Klavier zu, als sie plötzlich neben mir saß. „Wer bist du?“, wollte sie wissen. Ich sagte meinen Namen „Willst du mal trinken“? Und hielt mir ihren Drink unter die Nase. Klar, bei Gin Tonic sage ich selten nein. Sie zündetet sich eine Zigarette an – ein bisschen wie Helmut Schmidt, als in Talkshows längst nicht mehr geraucht wurde. „Warum tanzt niemand? Das geht ja nicht.“ Und juckelte los, um es geradezurücken.

Drinnen geraucht wurde ihr zu Ehren am Samstag nicht, getanzt dafür umso mehr. Dafür sorgen die von Döring bewunderten Mu­si­ke­r:in­nen und Wegbegleiter:innen, die auftreten. Es geht elektronischer zu als an anderen Abenden. Gudrun Gut spielt hier ebenso wie der 81-jährige Sven-Åke Johansson, der am Schlagzeug Perkussives zu Jan Jelineks schönem Synthie-Geknatter besteuerte. Und auch Robert Lippok, der sein Drum-Machine-Computer-Set mit allerhand analogem Geschepper aufpimpt. Eine Frau, die ich bis vorgestern nicht kannte, die aber seltsamerweise ihre Toilettengänge genau timt wie ich, stöhnt, als wir uns schon wieder beim Händewaschen treffen. Bei diesem dichten Programm kriege man kaum mehr Grundbedürfnisse geregelt.

Drinnen geraucht wurde ihr zu Ehren am Samstag nicht, getanzt dafür umso mehr

Nun, man darf ja ruhig mal was auslassen. So wie am Vorabend, als ich auf dem Weg ins Radialsystem eigentlich nur kurz in der nach wie vor absurden Kulisse des Humboldt Forums vorbeischauen will, wo gerade die Sommer-Konzert-Reige „Durchlüften“ zu Ende geht. Am Freitag spielte dort der aus dem Libanon stammende, in Berlin lebende Rabih Beainiein Analog-Techno-Set – dreckige Noise-Sounds, die einen schönen Kontrast schaffen zur Stadtschlosskulisse. Ich bleibe dann doch den ganzen Auftritt lang dort kleben – so wie die Mischung aus Locals und Touristen, die interessiert bis beseelt zuhören und mit diesen Noise-Brett gar nicht zu fremdeln scheinen. Das mit dem Durchlüften – es funzt.

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