Ausgehen und rumstehen von Robert Mießner: Am Ende ist dann doch noch allet chic
Der Weg nach Schöneweide führt noch für drei Wochen über Moskau, das in diesem konkreten Fall in der Auguststraße in Berlin-Mitte liegt. Ähm, wie meinen? Bis zum 13. Mai ist dort im Me Collectors Room/der Stiftung Olbricht die Ausstellung „Zoo Mockba“ zu sehen. Eigentlich sollte sie am Ostermontag schon schließen; schön, dass sie in die Verlängerung geht. Sie zeigt, was hierzulande weniger bekannt ist, eine Auswahl von rund 100 originalen Spielzeugtieren aus der Sowjetunion der Jahre 1950 bis 1980. Zu sehen gibt es eine vielgestaltige und -farbige Menagerie: ein bernsteingoldenes Pferd mit wilder Mähne und wehendem Schweif, eine Katze mit Ziehharmonikaleib, ein Streichquartett aus Esel, Stier, Affe und Brummbär, einen Igel im Schlafanzug. Andere Figuren stammen aus bekannten Trickfilmen und Kinderbüchern, so „Hase und Wolf“, „Krokodil Gena und Tscheburaschka“ oder „Dr. Aibolit und seine Tiere.“ Sogar zwei Schneeköniginnen wie aus dem Märchenfilm sind dabei. Die Ausstellungsmacher Sebastian Köpcke und Volker Weinhold haben „ihren“ Spielzeugkünstlern biografische Tafeln hinzugegeben. In den Lebensläufen von Natalia Tyrkowa, Boris Worobjew, Lew Razumowsky, Lew Smorgon, Adolf Neystat, Galina Sokolowa, Tamara Fedorowa, Anatoli Borisow und der tschechischen Gestalterin Libuse Niklova lesend, durchzuckt es einen: Etliche derer, die diese fantasievollen Formen für Kinder entwarfen, hatten als Kinder selbst den Zweiten Weltkrieg erleben müssen.
Je nach mentaler Konstitution sollte man sich entscheiden, ob man eine der anderen derzeitigen Ausstellungen im Collectors Room nach oder vor „Zoo Mockba“ sieht: Von „Beyond“ im Erdgeschoss ist die Rede, darin sieht man an einer Wand 80 der insgesamt 82 berühmten Radierungen „Die Schrecken des Krieges“ von Francisco de Goya aus dem Jahr 1810 bis 1814, auf die die zeitgenössischen Briten Jake & Dinos Chapman 1999 mit 80 eigenen, gleichnamigen Radierungen antworteten. Auch ihr Mixed-Media-Objekt „The Shape of Things to come“ – der Zweite Weltkrieg aus dem Modellbaukasten – ist in der Ausstellung zu sehen. Man möchte nicht hinschauen, aber tut und sollte es auch.
Das erste Bild der Roger-Melis-Ausstellung „Die Ostdeutschen“ in den Reinbeckhallen in Oberschöneweide ist ein Kriegs-, genauer ein Nachkriegsbild, ein Foto, es zeigt die Ruine der Dresdner Frauenkirche in den Sechzigerjahren. Gleich daneben, zur selben Zeit entstanden, ein Motiv aus Bitterfeld: Hinter winterlichen Bäumen und kleinstädtischen Dächern erhebt sich das berühmt-berüchtigte Zementwerk wie eine Kathedrale von Lyonel Feininger. Das Motto, die Kapitelüberschrift: „Ort und Zeit“. 21 Kapitel sind es insgesamt, zu denen der Kurator Mathias Bertram die Schwarzweiß-Fotos seines Ziehvaters Roger Melis zusammengestellt hat. Melis ist bekannt geworden als Reportage- und Porträtfotograf der DDR, seine Bilder von Christa Wolf oder Heiner Müller kennt jeder Bücherwurm.
In Schöneweide gibt es mehr zu sehen: Ein großformatiges Foto der Angermünder Straße in Prenzlauer Berg, auf dem nicht nur die Automarken längst Geschichte sind. Daneben zeigt ein weiteres Winterbild das Neubaugebiet von Marzahn, dahinter das ehemalige Gaswerk in der Danziger Straße.
Wer in den frühen Achtzigern Kind war, hat sie noch gesehen, die Feuer, wie sie abends jäh aus den Speichern fuhren. Oder ist auf den „Rummelplatz“ gegangen, der eines der weiteren Kapitel der Ausstellung bildet. „Kundgebungen“, „Feldarbeit“ und „Industrie“ kommen hinzu, aber das war eben nicht alles: Vier Fotografien zeigen eine private Performanceparty der Modegruppe „Chic, charmant und dauerhaft“, einen amtlichen Exzess, dem man sich im Handumdrehen anschließen möchte.
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