Ausgehen und rumstehen von Maxi Broecking: Reparierte Bruchstellen als Akt der Versöhnung
Es ist einer dieser verzauberten, verträumten Frühlingstage mit einem hellblauen, leicht milchigen Himmel. Blütenblätter regnen herab und bilden einen Teppich aus frischem Weiß und Rosa. Unwirklich schön ist das an diesem Donnerstagvormittag auf dem Weg zum Gropiusbau, die Stresemannstraße entlang, zur Vorbesichtigung der großen Yoko-Ono-Retrospektive „Music Of The Mind. Der Titel bezieht sich auf ihre grafischen Partituren (scores), die sie teils als Performance-Anleitungen in Form von Haiku für ihre 1964 erschienene Fluxus-Box „Grapefruit“ schrieb. Wie ihr feministisches „Voice Piece for Soprano“ mit der Anweisung: „Scream. 1. against the wind, 2. against the wall, 3. against the sky.“
Im Lichthof stehen Bänke zwischen Olivenbäumen in weißen Kübeln. Sie sind Teil der fortlaufenden Ono-Installation „Wish Trees“ (1995/2025), in die von den Besuchenden Wünsche gehängt werden können. Was wünscht man sich in diesen Zeiten? Der Blick geht nach oben zu dem Banner mit der Aufschrift „Peace is Power“. Kunst als konzeptionelle Praxis für gesellschaftliche Widerstände. Und doch wirken die Arbeiten wie aus der Zeit gefallen, als würden sie auf die gegenwärtigen Krisen nicht mehr passen.
Noch 2013 feierte Ono ihren 80. Geburtstag in der Berliner Volksbühne mit der Plastic Ono Band. Jetzt reist die mittlerweile 92-jährige nicht mehr. Dafür sind Mitarbeiter ihres New Yorker Studios gekommen, wie der 86-jährige Fluxus-Künstler Jon Hendricks, der Ono 1965 bei Fluxus-Performances in der New Yorker Judson Memorial Church kennenlernte und seit mehr als 30 Jahren als ihr engster Vertrauter ihre Kunst archiviert und kuratiert. Zwei Wochen habe er den von Kuratorin Patrizia Dander konzipierten Ausstellungsaufbau begleitet, erzählt er. Mit mehr als 200 Werken aus sieben Jahrzehnten.
Sie beginnt im ersten Stock mit frühen Performances wie der Videoarbeit „Cut Piece“, die sie erstmals 1964 in Japan aufführte und in der sie sich von Besucher*innen die Kleidung vom Körper schneiden ließ. Doch auch Archivmaterial ist ausgestellt, wie eine Originalausgabe von „Grapefruit“ und Erstauflagen ihrer Alben mit der Plastic Ono Band und John Lennon. Dazu Re-Inszenierungen verschiedener Ausstellungen in London, wie „Apple“ (1966), einem mit der Zeit verwesenden Apfel, oder „Glass Hammer“ von 1967.
Im Museumsshop werden T-Shirts und Tassen mit Onos „Instructions“ angeboten und Tische mit Katalogen und Plakaten für die abendliche Eröffnung vorbereitet. Doch erstmal geht es weiter zur Neuen Nationalgalerie, zum zweiten Teil der Ausstellung. Ein einzelner „Wish Tree“ steht vor dem Eingang, im Untergeschoss werden, ganz in Weiß, weitere Installationsarbeiten gezeigt, wie „Mend Piece“ (1966/2025), zerbrochenes Geschirr mit der Anweisung, es wieder zusammenzusetzen, in Anlehnung an die japanische Philosophie des Wabi-Sabi über die Schönheit des Unvollkommenen und das gemeinsame Reparieren der Bruchstellen als Akt der Versöhnung. Am Abend dann ziehen sich Schlangen von Wartenden vor den Eingängen beider Häuser bis hinunter zur Straße. Es herrscht erwartungsfrohe Stimmung, Kunst goes Pop.
Am nächsten Abend, bei einem Spaziergang über den jetzt leeren Vorplatz der Nationalgalerie, zwischen den Skulpturen des „Bogenschützen“ von Henry Moore, „Imperial Love“ von Robert Indiana und Richard Serras „Berlin Block for Charlie Chaplin“, bewegen sich die weißen Wunschzettel sanft im Wind. Eng beschriebene sind dabei, die Genesung für Familienmitglieder wünschen, „Weniger Plastik und das Abitur bestehen“ oder auch „Ich wünsch mir Sommersprossen“. Ein Zettel ist herabgeweht, auf ihm steht nur ein Wort: „Stille“.
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