Ausgehen und rumstehen von Jens Uthoff: Verlierer mit Sexverbot und Benzin
Ein kühler, trüber Winterabend, vor dem SO36 bilden sich Menschentrauben. Die einen glühen vor, die anderen (wir zum Beispiel) versuchen die richtige Schlange zu finden – irgendwie klappt die Aufteilung in zwei Reihen für Gästeliste und Karteninhaber nicht so richtig. Nach einer halben Stunde haben A., U. und ich es dann aber doch in Kreuzbergs heiligste Halle geschafft. Bei der Getränkewahl stellt sich heraus, dass A. und ich DryJan(uary) machen, U. dagegen verkündet, er sei mitten im BeerJan. Mismatch! Aber gute Nachrichten für die darbende Alkoholindustrie! Die Verlierer spielen am Freitagabend zum zweiten Mal hintereinander im SO, beide Konzerte sind ausverkauft. Das Publikum ist gemischt; jung und alt, Punks und Normalos, alles dabei, der Frauenanteil ist gerade in der jüngeren Generation erfreulich hoch. Die Supportacts tragen die Namen Sexverbot und Benzin, von Ersteren bekommen wir allerdings nicht mehr viel mit. Benzin ist eine äußerst vielversprechende Berliner Band mit einem Sound zwischen Postpunk und Hardcore, entsprechend positionieren wir uns im SO36-Schlauch weiter vorne, als sie gegen 22 Uhr startet. Fast sein gesamtes neues Album, „Treibjagd“, spielt das Quartett, die Songs dauern durchschnittlich circa eineinhalb Minuten, Verknappung ist das Gebot der halben Stunde des Auftritts. Gitarrist Phương Vu gelingt trotz des hohen Tempos ein kantig-scratchiges Gitarrenspiel, Denes Bieberich (Schlagzeug) und T. Rex (Bass) halten den mehr als flotten Rhythmus. Der Song „Zeichen der Zeit“ ist ein richtiger Hit, bei dem die Viererbande da oben auch an die größeren Gang of Four erinnert. Nicht nur wegen des Gesangs von Anne-Sophie Lohmann erinnert so mancher Song auch an frühen Deutschpunk mit weiblichem Gesang à la Bärchen und die Milchbubis, Hans-A-Plast oder Östro430.
Apropos Gesang: Der ist etwas leise, sonst hätte man vielleicht von den hervorragenden Lyrics auch noch etwas mehr verstanden. Angenehm unprätentiös kommen die Benziner:innen daher, Lohmann schreitet die meiste Zeit lässig mit einer Hand in der Hosentasche über die Bühne. Dort ist sie umgeben von Bildschirmen, die das Bühnengeschehen in verzerrter Form reproduzieren, man sieht darauf die Silhouetten der Musiker:innen aufblitzen. Dieses Bühnenbild (des Hauptacts) passt gut, als Benzin das Stück „HDTV“ spielen. Lohmann singt: „Was heute wieder los war, ich seh es nur kompakt – in meinem HDTV sind die Dinge so abstrakt!“
Die Berliner Band Die Verlierer hat vor einigen Jahren als Konglomerat der Gruppen Maske und Chuckamuck eigentlich eher zufällig zusammengefunden, inzwischen sind sie irgendwie die Boyband der Stunde im Berliner Punk. Eine Art Soft-Hüpfpogo, der entfernt an niederländische Fan-Tänze während der EM erinnert, zieht sich vom ersten Ton an bis in die hinteren Reihen; wir werden automatisch hineingezogen.
Die Band um Hannes Berwing und Oska Wald singt live oft drei- bis vierstimmig, was die Songs hymnisch und mitgrölkompatibel macht. Entsprechend wird bei Refrainzeilen wie „Nichts funktioniert“, „Fickt diese Stadt“ oder „Intrige und Libido“ der Gesang der Band von vielen angefeuchteten Kehlen im Saal begleitet. Bei dem Song „Plastic Life“ vielleicht ein bisschen über die Schmerzgrenze hinaus, denn da hallt ein lang gezogenes „Lalalalalalala…“ durch den Saal, das allzu schunkelig-behaglich daherkommt. Auf Platte klingt das Ganze etwas rougher und dreckiger, hier kommen sie fast schon stadiontauglich daher.
A., U. und ich bestaunen nach dem Konzert noch Kassetten, Buttons, Zip-Feuerzeuge, T-Shirts und das großartige Verlierer-Plakat am Merch-Stand, plaudern ein wenig mit den Leuten dort und erfreuen uns noch am geschmackssicheren Fish‘n‘Candy DJ Team, das auflegt und uns einige Male shazamen lässt. Dann geht es hinaus, A. und ich machen uns zu Fuß über den Rio-Reiser-Platz auf den Weg nach Hause. Passt irgendwie.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen