Ausgehen und rumstehen von Fabian Schroer: Wer verzweifelt ist, bleibt zu Hause
Als ich kürzlich nach Feierabend am Dreiländereck saß und die Sonne gerade über Kreuzberg in den Kanal fiel, war es so sommerlich, dass ich mich fragte, ob ich mich Anfang März darüber freuen sollte.
Mit M. und A. diskutierte ich die noch frischen Worte des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, der Trumps Pläne für den Gazastreifen als „Riviera das Nahen Ostens“ eigentlich ganz gut findet – und meint, es sei nicht verkehrt, einmal „radikal und einmal völlig neu“ zu denken. Ich wiederum dachte: lieber jetzt nicht runterziehen lassen von solchen Sachen und stattdessen dem Klimawandel auf Berlins Straßen noch was abgewinnen. Märzsonne genießen! Mit Zynismus gegen den Wahnsinn der Welt.
Ähnliches gilt schließlich auch für den Umgang mit mittelmäßigen Kulturveranstaltungen: Am Freitagabend treffe ich am Acud in Mitte ein, an der Grenze zu Prenzlauer Berg. Vor dem Kulturzentrum sitzen bereits meine Friends mit Burritos bewaffnet auf einer Bierzeltgarnitur. Der Vorplatz ist gefüllt mit aufgedrehten Teenies: Die Privatveranstaltung im Raum über der Bar klingt nach Abiparty oder neunzehntem Geburtstag.
Im Studio dahinter findet gleich „The Dark Light by Mindscape“ statt, laut der Veranstaltenden eine Nacht mit „immersiven Soundscapes“ und „fesselnder Visual Art“, mit Künstler*innen, die „die Grenzen von Livemusik und Audiovisuellem verschieben.“ Große Worte.
Die Realität wirkt dann eher wie Schulband mit Windows2000-Bildschirmschoner auf schiefer Leinwand dahinter. Performerin Nr. 1 singt in den hohen Lagen immer ein bisschen daneben. Duo Nr. 2 spielt ein Ambient-Set auf dem Laptop ab und unterhält sich dabei so ausdauernd, dass der Eindruck entsteht, es vergesse, dass es auf einer Bühne steht. „Was macht er da mit der Maus?“, fragt M. mit Blick auf auf Künstler Nr. 3. Der guckt ein bisschen, als suche er noch die passende MP3.
Spaß haben wir trotzdem: Vor der Tür lässt es sich bei immer noch verdächtigen 10 Grad über der Durchschnittstemperatur (das Smartphone weiß Bescheid) hervorragend im Pullover rumstehen und rauchen. Hinter den bunt beleuchteten Fenstern hört man die Popmusik der Parallelveranstaltung. Auf den wie mit Bastelkleber an die Backsteinfassaden des Acud gepappten Balkonen stehen Menschen und quatschen. Irgendwann tummeln sich mehr Leute draußen als drinnen.
Vielleicht wurde die versprochene AV-Experience irgendwann besser. Das bekommen wir allerdings nicht mehr mit. Gegen Mitternacht gesellen wir uns vor einem Späti zu ein paar besoffenen Prenzelberg-Kids. Vor der Weinbar gegenüber kippen sich die schwäbischen Webdesigner bis tief in die laue Nacht ihren Aperol über die Fjällräven-Jacken. Ich kann es ihnen ausnahmsweise nicht verübeln.
Am nächsten Tag ist feministischer Kampftag. Wir treffen uns mit der Hälfte der gestrigen Truppe am Moritzplatz. Die Demo ist schon losgelaufen. Ich bin beeindruckt davon, wie viele Leute da sind – und wie jung sie sind. Auf einem Schild steht „Fuck Merz“. Die Buchstaben sind so angeordnet, dass sie sich auch als „Meck Furz“ lesen lassen. Als der Zug am Roten Rathaus ankommt, donnert „Unstoppable“ von Sia aus den Lautsprechern. Für mich bisher eine 2010er Pophymne wie viele – aber die Menschen fühlen es.
Ich könnte jetzt daran denken, dass der Anlass für diese Demo eigentlich gar kein Grund für gute Laune ist. Ich könnte wütend sein, dass Frauen noch immer weniger verdienen als Männer. Ich könnte mir an den Kopf fassen, weil in den USA gerade ein wegen sexuellen Missbrauchs verurteilter Milliardär im Weißen Haus sitzt, der nicht nur die Rechte von Transpersonen massiv einschränkt. Oder weil es in Deutschland fast jeden Tag einen Femizid gibt.
Stattdessen schaue ich in die Sonne und frage mich, ob heute so viele gekommen wären, wenn es in Strömen geregnet hätte. Wer verzweifelt, bleibt zu Hause. Und damit ist echt keinem geholfen.
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