Auschwitz-Prozess gegen Hubert Zafke: Ringen um das Verfahren
Beim Verfahrensauftakt fehlt der 95-jährige Angeklagte, dem 3.681-fache Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird. Ist er verhandlungsunfähig?
Bluthochdruck, Depressionen, Selbstmordgefahr und akute Stressreaktionen verzeichnet die Bescheinigung der Ärztin, die Zafke auf Bitten seiner Söhne untersuchte. Die Medizinerin habe den Mann an der Kante seines Bettes vorgefunden. „Ich will zu Mutti“, habe er gesagt und damit offensichtlich seine 2011 verstorbene Frau gemeint. Der Patient sei „nicht transport- geschweige denn verhandlungsfähig“, heißt es darin. Der Angeklagte Zafke befinde sich zu Hause in seinem Dorf G.
Aber ist Zafke wirklich zu krank, um sich der Verantwortung für seine mutmaßlichen Taten, begangen vor mehr als 70 Jahren, zu stellen? Tatsächlich setzt sich an diesem Montag vor dem Landgericht Neubrandenburg mit seiner Abwesenheit ein heftiger Streit darum nur fort.
Denn das Gericht hat den Prozess schon einmal mit der Begründung nicht führen wollen, dass Zafke verhandlungsunfähig sei. Es hatte – sehr ungewöhnlich und zum Ärger von Staatsanwaltschaft und Nebenklage – an den Anfang des Prozesses eine erneute gesundheitliche Prüfung setzen wollen, anstatt wie üblich die Anklage verlesen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb den Richter wegen Befangenheit auswechseln wollen, was freilich scheiterte.
Richter Klaus Kabisch hatte einem Auschwitz-Überlebenden mit der seltsamen Begründung sein Recht zur Nebenklage nehmen wollen, er sei zu Beginn des jetzt verhandelten Zeitraumes noch nicht im Lager gewesen. Erst die nächsthöhere Instanz, das Oberlandesgericht Rostock, korrigierte diese Entscheidung.
Eingeschränkt verhandlungsfähig
Das Misstrauen sitzt daher tief bei Oberstaatsanwalt Stefan Urbanek und den Vertretern der drei Nebenkläger. Der Richter unternehme alles, damit das Verfahren nicht stattfindet, glaubt der Vertreter der Nebenklage, Cornelius Nestler.
Tatsächlich passt die Abwesenheit den Angeklagten ins Bild – auch wenn an diesem Montag niemand weiß, wie krank Hubert Zafke nun wirklich ist. Im Juni letzten Jahres hatte das Gericht mitgeteilt, dass es keinen Prozess gegen den Greis geben werde. Zafke sei nicht verhandlungsfähig. Das entsprechende Gutachten allerdings stützte sich auf zwei ärztliche Expertisen, die, sehr ungewöhnlich, im Auftrag der Verteidigung erstellt worden waren.
Dass der Prozess nun dennoch stattfindet, ist Folge der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin beim Oberlandesgericht Rostock. Das entschied im letzten Jahr auf Basis des Gutachtens des Demenzforschers Stefan Teipel, Zafke sei durchaus – wenn auch nur eingeschränkt – verhandlungsfähig. „Die Strafkammer will das Verfahren nicht durchführen, und dazu passt die heutige Verhandlung“, sagt Nestler.
Dagegen sagt Zafkes Verteidiger Peter-Michael Diestel, das Verfahren gegen seinen Mandanten sei „mit einer Todesstrafe gleichzusetzen“. Entsprechend hoch her geht es im Gerichtsaal bei der Frage, wer nun beurteilen soll, ob Zafke entschuldigt oder unentschuldigt zum Prozessauftakt fehlt – sprich, ob das Verfahren platzt oder nicht.
Kompromiss zum Ende
Der nuschelnde Richter Kabisch hat damit einen Amtsarzt beauftragt, von dem er weder sagen kann, wie dieser heißt, noch, wann er die Untersuchung vornimmt. Nebenklage und Verteidigung wollen dagegen den Demenzexperten Teipel beauftragt sehen, der schon einmal die eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit attestiert hatte. Das stößt, wenig verwunderlich, auf den Protest der Verteidigung.
Der Tag endet mit einem Kompromiss. Teitel und ein Internist sollen den Angeklagten zeitnah vor dem nächsten Verhandlungstermin am 14. März untersuchen und feststellen, wie sein Gesundheitszustand nun wirklich ist. Damit endet der erste Tag im Prozess gegen den 95-jährigen Hubert Zafke. Über Auschwitz ist kein einziges Wort gesprochen worden.
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