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Ausbeutung in der SpielzeugindustrieÜberstunden für Barbie

Chinesische Spielzeugzulieferer für Lego, Walt Disney und Mattel ignorieren Gesetze, sagen Arbeitsrechtler. Es geht um bis zu 140 Überstunden pro Monat.

Schön bunt - aber unter welchen Bedingungen produziert? Bild: ap

BERLIN taz | Bis zu sechs Überstunden pro Tag müssen Beschäftigte in chinesischen Spielzeugfabriken leisten. Ihre tägliche Arbeitszeit beträgt dann etwa 15 Stunden - sechs Tage die Woche. Das hat die Arbeitsrechtsorganisation Sacom in drei Fabriken festgestellt, die unter anderem die Unternehmen Lego, Walt Disney und Mattel beliefern.

Derartige Arbeitszeiten verbietet nicht nur der Verhaltenskodex des Internationalen Verbands der Spielzeugindustrie, sondern auch das chinesische Arbeitsgesetz.

In China ist die Zahl der Überstunden auf 36 im Monat beschränkt. In den Fabriken, die Sacom besucht hat, summiert sich die Zusatzarbeit jedoch auf bis zu 140 Stunden pro Monat. Die Organisation Sacom ("Studenten und Professoren gegen Fehlverhalten von Konzernen") mit Sitz in Hongkong gewinnt ihre Erkenntnisse, indem sie Arbeiter in den chinesischen Fabriken befragt oder Sacom-Leute bei den Firmen vorübergehend anheuern. Die Organisation kooperiert unter anderem mit dem katholischen Hilfswerk Misereor in Deutschland.

Für die horrenden Überstunden gibt es zwei Gründe. Einerseits stehen viele Zulieferfirmen unter dem Druck der globalen Markenkonzerne, um jeden Großauftrag flexibel und pünktlich zu erledigen. Wenn die Zahl der Beschäftigten nicht reicht, wird Mehrarbeit angeordnet, was nicht nur in der Produktion für Weihnachten gang und gäbe ist. Etwa 60 Prozent der globalen Spielzeugproduktion kommen aus China.

Spielzeug-Siegel

Ein Siegel für sozialverträglich hergestelltes Spielzeug gibt es nicht. Wer sich interessiert, muss sich informieren. Die Aktion "Fair spielt", unter anderem von Misereor, veröffentlicht eine Liste mit Firmen, die ganz oder überwiegend in Europa herstellen lassen. In dieser Tabelle gibt es auch Angaben zur sozialen Produktqualität der globalen Spielzeugkonzerne. Das GS-Siegel steht für "geprüfte Sicherheit". Eine unabhängige Prüfstelle untersucht, ob der Hersteller die EU-Sicherheitsnormen einhält. Das VDE-Zeichen steht für die Sicherheit elektronischer Produkte hinsichtlich elektrischer, mechanischer, toxischer oder sonstiger Gefährdung.

Zweitens bezahlen viele chinesische Unternehmen ihre Belegschaften auf der Basis des Mindestlohns der jeweiligen Provinz, der beispielsweise rund 153 Euro monatlich beträgt. Damit kann sich eine junge Arbeiterin auf bescheidenem Niveau finanzieren, aber kaum eine Familie versorgen. Deshalb arbeiten viele auch freiwillig mehr als die gesetzlich erlaubten Überstunden.

Bis zu 120 Überstunden

Derartige Bedingungen hat Sacom in der Firma Sturdy Products in Shenzhen nördlich von Hongkong entdeckt. Nach Angaben der Arbeitsrechtler lassen dort Disney Spielzeugautos der Serie "Cars" und Mattel der Serie "Hot Wheels" herstellen. Arbeiterinnen dort würden bis zu 120 Überstunden leisten, sagt Debby Chan von Sacom.

In der benachbarten Hung-Hing-Druckerei, die unter anderem für Lego Kinderbücher und Kartons fertigt, würden bis zu 100 Überstunden verlangt. In einer dritten Firma in Dongguan, die unter anderem für Disney arbeitet, erreichte die Mehrarbeit 140 Stunden monatlich.

In ihrer Stellungnahme gegenüber der taz räumte Lego-Sprecherin Charlotte Simonsen ein, dass die Hung-Hing-Druckerei möglicherweise das Gesetz und den Verhaltenskodex des Spielzeugverbands (ICTI Care) gebrochen habe.

Mattel ignoriert Anfrage

Das werde man untersuchen. Bestätigten sich die Vorwürfe, gebe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Hung-Hing ändere seine Praxis oder Lego werde sich von dem Zulieferer trennen. Das US-Unternehmen Walt Disney wies auf Anfrage nur allgemein auf seinen Verhaltenskodex hin, zum konkreten Vorwurf gab es keine Informationen. Der US-Spielzeugkonzern Mattel hat die taz-Anfrage ignoriert.

In ihrem Report beschuldigt Sacom die Unternehmen weiterer Missstände. Unter anderem stünden den Beschäftigten keine Schutzkleidung gegen giftige Substanzen zur Verfügung. Zudem verweigere man ihnen das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung. Letzteres gehört in China ebenso zum Alltag wie die exzessive Überstundenarbeit. Am Verhaltenskodex des Verbandes ICTI lässt Sacom kein gutes Haar. Mit seinen offenbar wirkungslosen Prüfungen einzelner Firmen trage der Verband dazu bei, die Verletzung von Arbeitsrechten zu decken, anstatt diese auszuräumen.

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4 Kommentare

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  • H
    holger

    die christliche nächstenliebe und moralvorstellung endet spätestens zur weihnachtszeit.

  • I
    Ingobernable

    Siegfried:

    'Klasse statt Masse' ist im Besten Fall ein ganz minimaler Anfang. Letztlich ist es aber naiv zu glauben, damit etwas zu ändern. Wo ist der wirkliche Unterschied wenn statt zB chinsischer Wanderarbeiter europäische Zeitarbeiter ausgebeutet werden. Vielleicht wird der Kapitalismus dadurch punktuell ein klein wenig kuscheliger, aber nur um andernorts Armutsgefälle und Ausbeutung als seine notwendigen Bedingugen zu reproduzieren. Fair Trade und Ähnliches sind da allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein; ein Ablasshandel der uns ein reines Gewissen als uinique selling point mitkonsumieren lässt aber das System nie auch nur ansatzweise in Frage stellen wird.

  • S
    Siegfried

    China interessiert es nicht die Bohne ob ihre Arbeitnehmer anständig behandelt werden. Und die Spielzeughersteller machen ganz einfach die Augen zu. Die Moral dieser Leute sollte eigentlich mit einer Kaufverweigerung bestraft werden.

     

    Aber solange wir nur auf Marke "Billig" schauen, wird das eh nichts. Kleiner Tip: 1 Geschenk unterm Weihnachtsbaum würde es auch tun. Lieber Klasse, statt Masse.

  • K
    karakoram

    ... und wird ein Protest tatsächlich mal "ernst" genommen, wird sich vom Zulieferer getrennt, um dann an anderer Stelle den nächsten (oder denselben, umbenannten) Sweatshop mit anderen (oder denselben) Quasisklaven anzuheuern. Ändern wird sich so nicht das Geringste. Ein gut dokumentiertes Phänomen und daher ein Zusatz, der in den Artikel gehört hätte.

     

    Noch übler (falls man das überhaupt noch qualifizieren mag) und im Weihnachstkontext mindestens so aktuell: Kakao wird gern von Kinderskalven (irgendwo in Afrika von den Eltern verscherbelt oder entführt und dann konsequenterweise ganz ohne Bezahlung) geerntet, damit wir uns unsere Schokolade reinfressen können.

     

    Kann man alles wissen, aber es interssiert uns nicht. Schließlich steht das Fest der Nächsteliebe vor der Tür. Ekelhaft.