Aus keinem gegebenen Anlass: Verleger in die Fresse!
Wenn Verleger Vaterrollen einnehmen wie hierzulande, dann gibt es auch Kinderrollen - in Deutschland werden sie allzu oft von den Schriftstellerinnen und Schriftstellern übernommen.
Bei all dem bescheidenen Ruhm, der Rolf Dieter Brinkmanns Ausspruch "Lektoren in die Fresse!" zuteil wurde, lag so manchem schnell die Abwandlung "Autoren in die Fresse!" auf der Hand. Verleger hingegen wurden stets verschont. Was haben wir nicht Verlegermythen in der deutschen Verlagsgeschichte, von Samuel Fischer zu Ernst Rowohlt über Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sie alle waren ehrenwerte Herren, denen die deutsche Literatur mehr als verpflichtet ist.
Die Identität des Verlegers hierzulande ist schwer zu greifen. Dabei wirkt sie auf den ersten Blick sehr handfest. Große, breitschultrige Herren, gern mit exponierten Tränensäcken, um die Traurigkeit ihrer zarten Unternehmerseelen zu unterstreichen. Die Rolle des Verlegers wird gestaltet durch die Art und Weise, wie man Verlegergeschichten erzählt. Selbst der Typ Verlagsmanager von heute zehrt noch von diesem Mythos. In den meisten Verlags- und Literaturgeschichten sind Verleger Gönner, retten verzweifelte Autoren aus der Armut oder seelischen Einsamkeit. Verlage machen Autoren, nicht Bücher, so ein berühmter alter Werbesatz aus dem Hause Suhrkamp, der dieses Phänomen zusammenfasst.
Sätze wie diese etablieren den Gedanken, dass der Autor nicht einfach Autor ist und ein Werk erschafft, sondern von seinem Verlag "gemacht" wird. Klingt zunächst gut und erzählt eine Wahrheit, die nämlich, dass jeder erfolgreiche Autor mindestens einen Menschen im Rücken hat oder hatte, der an ihn und seine Arbeit glaubte. Er verschweigt jedoch eine andere Wahrheit, die nämlich, dass sich die Verlegerfigur hier zu einem Götzen ausbauen ließ, der seine Autoren gern in infantiler Abhängigkeit hält, das fördert schließlich dessen Alkoholismus und somit sein Schreiben. Wie viele Verleger haben in mündlichen oder schriftlichen Überlieferungen ihre erfolgreichen Autoren finanziell unterstützt oder gar gerettet? Wie oft wird erwähnt, dass, wenn ein Verleger anständig bezahlen würde, es keinen Grund dafür gäbe, seinem Schützling finanziell aus der Patsche zu helfen?
Diese erzählte Väterlichkeit hat Folgen: Wo ein Vater, da auch ein Kind. Die Kinderrolle übernehmen Autoren dankbar. Und die Onkels gleich dazu. Die Onkels des deutschen Literaturbetriebs sind die Lektoren. Und ich musste tatsächlich erst wieder auf eine ausländische Autorin und ihre Sicht auf Lektoren treffen, um mir der hierzulande vorherrschenden bewusst zu werden. Nein, der Lektor ist nicht der bessere Autor deines Buches. Und nein, er, schützt dich nicht vor dir selbst, er schützt nur sich und seinen Verlag vor dem deutschen Feuilleton. Sie hatte recht. Alle jungen deutschen Autoren haben ein Liebes- oder zumindest Bedürftigkeitsverhältnis zu ihren Lektoren. Kaum einer besteht darauf, dass es der eigene Name ist, der hinter diesen Worten steckt, und Kritiker sind im Falle ihrer Missgunst selten verlegen um den Rüffel aufs Lektorat.
Das Lektorat kann wunderbare Arbeit machen. Doch es denkt zunehmend in ökonomischen Kategorien, damit meine ich auch zeitlich. Wie viel Zeit kann ich mir nehmen, mich in das Denken eines jungen Autors hineinzuversetzen? Dem Maß an Respekt gegenüber meiner sich formenden Stimme, das mein erster Lektor mir entgegenbrachte, bin ich nicht wieder begegnet. Ein Lektor alter Schule, Zeit spielt nicht so eine große Rolle wie Qualität. Er zeigte mir, dass ein Lektor es nie besser weiß, nur anders. Und wenn der Lektor klug genug ist, dann wird er dem Autor das Gefühl geben, dass er es eigentlich auch anders weiß. Was aber immer noch nicht heißen muss, dass der Onkel sich um das finanzielle Wohlergehen seines Schützlings kümmert, dafür hat der Staat Stipendien eingerichtet.
Es finanzkriselt in Deutschland, und während so mancher sich ängstlich den Dreck unter den Nägeln abkaut, sitzt eine Zunft ungerührt in ihrem Sessel: die "jungen" Nachwuchsliteraten in Deutschland. Wir haben gemeinhin nicht viel zu verlieren. Im Normalfall läuft ein Gespräch über meinen Beruf so an: "Was machen Sie beruflich?" - "Ich schreibe." - "Ach ja, interessant. Und was arbeiten Sie?" Das Schreiben ist hierzulande kein Beruf, und somit wird die Tätigkeit "Schreiben" nicht vergütet. Folgte ich den honorarbefreiten Arbeitsanträgen, die immer wieder in meinem Posteingang landen, käme ich aus dem Verfassen netter Geschichten kaum heraus. Ein Autor verdient zehn Prozent des Verkaufspreises an seinem Buch. Das ist genauso viel, wie Amazon Bloggern aushändigt, die einen Link zu einem ihrer Warenartikel setzen. Darüberhinaus verdient man an einer Zweit- oder Drittauflage in Form von Taschenbüchern fünf Prozent und an Übersetzungen etwas mehr oder weniger.
Jüngst ließ sich das Feuilleton darüber aus, ob man Autoren zur Qualitätssteigerung aushungern müsse oder nicht. Nur zu, sage ich. Wir sind geübt. Mein Kollege Selim Özdogan schreibt in einem Online-Artikel der Zeit davon, dass ihm der Aufbau-Verlag nach seiner Insolvenzmeldung sein Honorar nicht auszahlen konnte, er jedoch auf kein Arbeitslosengeld hoffen darf wie die Verlagsangestellten. Kokett winkt er letztlich ab und endet mit dem alten Lied der Eigenverantwortung: Hat ihn ja keiner darum gebeten, Bücher zu schreiben. Man möchte es sich mit den Verlegern nicht verderben. Unbequeme Autoren sind nur im Grab beliebt.
Denn ein Verleger wünscht, seinen Autor weiterhin zu retten, und nicht, ihm seine Ansprüche zu erfüllen. So habe ich Angebote von Verlegern erhalten, die mir die Welt oder zumindest ihren Verlag zu Füßen legen wollten. Doch als es darum ging, dass sie meine ohnehin viel zu nette Agentin akzeptieren sollten, war die Welt schnell zur Scheibe verflacht. So etwas brauche man nicht, wenn Vertrauen da sei. Verleger hierzulande beschweren sich über die Unverkäuflichkeit deutscher Bücher, dabei zog das Fachmagazin Buchreport für 2008 die Bilanz, dass deutschsprachige Titel auf dem Markt deutlich besser abschneiden als Übersetzungen aus Großbritannien, den USA oder Frankreich. Dennoch investieren Verlage ihre Gelder eher in Übersetzungsrechte, Übersetzer und Werbegelder für ausländische Bücher. Man möchte sich vorstellen, was aus der deutschen Leselandschaft ohne Isabell Allendes "Zorro" geworden wäre. Oder was aus einem kleinen deutschen Autorentaugenichts, wenn man ähnliche Geldsummen in die Werbung für sein Buch gesteckt hätte? Solche Argumente, vor Verlegern angebracht, quittieren sie mit einem müden Schulterzucken: Bestseller seien nicht planbar, Werbung bringe nichts. Deswegen also werben sie nur für ihre Spitzentitel.
Investierte man vergleichbare Werbegelder in deutsche Autoren, bestünde auch für ausländische Verlage eine Richtlinie, auf welche Bücher sie auf dem deutschen Markt setzen können. Verlage wie Eichborn, Berlin Verlag und Luchterhand zeigen, dass es möglich zu sein scheint. Doch wenn ausländische Verleger und Agenten sich auf der Frankfurter Buchmesse umsehen, sehen sie ohnehin eher danach, wie gut ihre eigenen Bücher platziert werden und kaufen nebenher noch die neuen deutschen Shortlists auf. Das wars. Schließlich beteuern die deutschen Buchmacher ja ständig, dass das Zeug nicht mal im eigenen Land zu verkaufen ist. Ausländischen Agenten werden für Übersetzungsrechte Summen zugestanden, an die hierzulande niemand auch nur zu denken wagt. Stattdessen debattieren Feuilletonisten darüber, ob man gesetzliche Autorenförderung abschaffen sollte. Ja, sollte man. Nachdem man Agenten eingeführt hat, die nicht nur Verträge unterzeichnen und behaupten, die Verlage sähen es nicht gern, wenn man sich ins Tagesgeschäft einmische. Man könnte die Dinge auch vertraglich festlegen, bevor das Tagesgeschäft beginnt.
Übersetzer haben ihr Recht eingeklagt, sie sind inzwischen Koautoren von Werken, die sie nicht erdacht haben, auch wenn sie die Übersetzung erschaffen haben. Das ist, trotz allem, ein bemerkenswerter Unterschied, der ihnen vielleicht die Kraft ließ, für ihre Rechte zu kämpfen. Der Übersetzerstreit wurde immerhin gekämpft. Autoren hingegen formulieren sich nicht. Vielleicht sind alle Hellseher und wissen, dass Geld ohnehin vergänglich ist. Der Kampf lohnt sich nicht, scheint es. Wer will schon den geliebten Vater aufbringen, den der Autor so dringlich braucht. Schubladenautor ist schließlich immer noch ein elenderes Schicksal als Ladenhüter. Dabei kommen die meisten Bücher nicht einmal in die Läden.
Die Argumente, die wir schlucken, sind zahllos: Amerikaner haben das Recht auf ganz andere Summen, weil ihr Markt so unerschöpflich ist. Paul Auster zum Beispiel ist in Deutschland und Frankreich jedoch erfolgreicher als zu Hause in den USA. Seine Vorschüsse werden wohl kaum dem deutschen Markt angepasst, sonst säße er auf Bildern nicht vor diesem wunderschönen Häuschen in Brooklyn. Deutsche Leser lieben das Bild des aparten Intellektuellen, der im viktorianischen Haus lebt, mit großbürgerlichen Möbeln und ihm ebenbürtiger Ehefrau. Sie lieben es, solange es aus dem Ausland kommt. Amerikanische Autoren schreiben im Klappentext gern: "Der Autor lebt mit Frau und drei Kindern in Southampton." Hierzulande sorgt folgender Text für Authentizität: "Der Autor arbeitet als Maler, Schreiner und Taxifahrer. Er hat bereits ein Tätowierstudio von innen gesehen."
Statt Vorschüssen gibt es in Deutschland eine lebendige Vorlesekultur. Das gibt es nur in Deutschland in dieser Form, heißt es. Warum nur fahren meine übersetzten Kollegen dann immer wieder ins Ausland, um ihre Bücher zu präsentieren? Und braucht es tatsächlich einen Polen wie Andrzej Stasiuk, der in seinem "Dojczland"-Buch davon erzählt, wie beschissen das sein kann, sich den Wodka in deutschen Kleinstädten den Hals hinunterspülen zu müssen und nicht in seiner Welt hinter Dukla? Mein lieber Gott, pardon, mein lieber Verleger, jetzt nimmt uns der Pole auch noch den Job weg. Wir haben es schon nicht leicht.
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