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Aus irgendwann wird jetzt

Das einstige Ewigtalent Silke Kraushaar hat sich nach Platz zwei in Altenberg neben Siegerin Jana Bode als Rodel-WM-Medaillenkandidatin etabliert  ■ Von Peter Unfried

Altenberg (taz) – Einmal die Bewegungsabläufe simuliert, einmal – pooooh – richtig durchgeatmet, dann die Brille runtergezogen und los: drei Pinguinbewegungen bringen den Rodelschlitten in Bewegung. Das sieht eigentlich eher unspektakulär aus. Nichtsdestotrotz muß man beträchtliche Teile eines Sommers und Herbstes dafür investieren. Silke Kraushaar hat das getan. Wieder einmal. Wie sie das seit Jahren tut. Nur ist diesmal alles anders: Kraushaar sieht ihre Investition Rendite abwerfen. Mit dem zweiten Platz beim dritten Saison-Weltcup in Altenberg hinter Weltmeisterin Jana Bode hat sie die Weltcup-Führung erneut verteidigt. Selbstredend hat die Konkurrenz auch hart gearbeitet, aber Kraushaar habe sich, sagt Bundestrainer Thomas Schwab, in den letzten zwei Jahren „athletisch unwahrscheinlich entwickelt“. Das zahlt sich insbesondere beim Starten aus.

Es wurde Zeit, daß sich etwas tat. Soldatin Kraushaar aus Oberhof galt zwar immer als Talent, das 1992 bereits um den Gesamtweltcup mitfuhr. Doch darüber ist sie 26 geworden und hatte den Sprung in das deutsche Weltcup-Team in den letzten drei Jahren immer wieder knapp verpaßt. Bode, Erdmann, Kohlisch, Otto hieß das Team. Kraushaar lag als Nummer fünf dahinter, trainierte jedes Jahr härter und dachte immer wieder: „Irgendwann muß es mal passieren.“

Lange wäre das allerdings nicht mehr gegangen. Im Sommer hatte sie in ihrem Kopf das Wort „irgendwann“ gegen „jetzt“ ausgetauscht. Nun hat sie zum Weltcupauftakt gleich beide Rennen in Sigulda und Lillehammer gewonnen. Und Gabriele Kohlisch und einstweilen auch Sylke Otto abgehängt. Na, was heißt abgehängt? „Wir liegen innerhalb von ein paar Zehntel, ein paar Hunderstel“, sagt sie.

Im Unterschied zu den Vorjahren fährt sie allerdings das Zehntel nun voraus. Warum kann mit letzter Sicherheit keiner sagen. Was frau weiß: Ihr Arbeitgeber Bundeswehr hat sie im Sommer nicht wie in den Jahren zuvor mit dem üblichen dreimonatigen Fortbildungslehrgang vom Arbeiten abgelenkt. Sie konnte kontinuierlich zu Hause in Oberhof trainieren. „Das“, mutmaßt sie, „war wahrscheinlich mein Vorteil.“

Was Bundestrainer Schwab weiß, ist, daß sie die Grundlagen am Start legt. Da war im Altenberger Kohlgrund in beiden Läufen nur eine besser. Das war nicht Jana Bode, die ihre Zeit beim Rausfahren aus den Kurven gewinnt, sondern Susi Erdmann (28). Die liegt im Gegensatz zur hektischeren Kraushaar ruhig auf dem Schlitten. Sie sagt, sie fahre „wie ein Strich“ und weiß dann im Ziel nicht, warum sie nur fünfte ist und wo drei Zehntel geblieben sind. Sie mutmaßt, es liege an ihren Schienen. Auch Schwab überlegt, „ob man beim Schlitten von der Susi noch was locker machen kann“.

Silke Kraushaar hat neue Schienen und einen richtigen Feuerschlitten. Auf dem steckt sie derzeit sogar Fehler weg. Da hatte sie einen unruhigen Start, dann fuhr sie die schwierige Kurve neun zweimal zu aggressiv an, so daß sie nicht mehr optimal herauskam. Dennoch wird sie zweite, denn „die anderen machen halt auch noch kleine Fehler“ (Schwab).

Die anderen, das sind, wie immer, im folkloristischen, deutschsprachigen Weltrodeln die Österreicherinnen Tagwerker (3.) und Neuner (4.) sowie die Südtirolerin Weißensteiner (6.). Diese drei können Mitte Januar in Igls Weltmeisterin werden. Und natürlich die, die Thomas Schwab (35) letztlich aufstellen wird.

Der Nachfolger vom Lenz Sepp hat in seiner zweiten Saison als Cheftrainer den üblichen Erfolgsdruck. Medaillen müssen her. „Es hilft ja nix“, sagt er. Drum hat er mit Freude registriert, daß sowohl der Doppelsitzer Krausse/Behrend mit Platz drei als auch die zuletzt hinterherrodelnden Männer Boden gutgemacht haben. Hinter dem Österreicher Markus Prock wurde Jens Müller gestern zweiter – und Bandenscheiben-Rekonvaleszent Georg Hackl gleich fünfter. Was Schwab bestätigt hat in dem Vorgehen, „nicht gleich alles zu zerreißen“, was vorher gut war.

Es bleibt aber dabei: Der beste Tip für WM-Gold ist die Titelverteidigerin Jana Bode (27). Die sagt, sie merke, wie „ich mich meiner Vorjahresform nähere“. Sie fährt noch aggressiver als Kraushaar, ähnlich wie Weltmeister Prock mit hohem Risiko. Wenn die Form stimmt“, sagt Schwab, „setzt sie sich mit ihrer Fahrweise durch.“ Derzeit, sagt ihr Trainer, sei sie längst nicht in der Form des Vorjahres. Wenn sie das ist, sieht man ihren Kopf während der knappen dreiviertel Minute nicht einmal nach oben zucken.

Bode galt einige Jahre als Frühwinter-Spezialistin, die mangels Athletik im Januar abbaute. Seit letztem Winter hat sie ein deutlich niedrigeres Gewicht und einen deutlich längeren Atem. Silke Kraushaar weiß noch nicht, wie sich ihre athletikgeprägte Frühform im Saisonverlauf entwickeln wird. Diese Woche ist bereits der nächste Weltcup am Königssee, dann wird nach Weihnachten zu Hause trainiert und Anfang Januar bei den nationalen Titelkämpfen in Winterberg endkontrolliert. Kraushaar will die Zeit nutzen, an ihrem Start zu arbeiten. Und sie will natürlich „ruhig bleiben“.

Ruhe ist das Zauberwort des Gewerbes. Selbstvertrauen ein zweites. Derzeit strahlt sie praktisch ständig. „Das ganze Drumrum, die Interviews ist man natürlich nicht gewohnt“, sagt sie. „Das darf einen nicht aus der Bahn werfen.“ Treffender hätte sie es nicht formulieren können.

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