Aus der Deutschland-taz: Mein Farbfilm
Wer sonst als die Migranten könnte den Deutschen das Ringen um ihr Selbstverständnis vor Augen führen? Denn was deutsch ist und was nicht, wird über Abgrenzung definiert.
Aus den vergangenen Wochen ist bei mir vor allem eine Aussage hängen geblieben: "Multikulti ist tot beziehungsweise gescheitert." Was wollte mir die Politik damit sagen? Dass es in Deutschland keine Vielfalt gibt? Dass die Politik der 80er Jahre Multikulti als leben und leben lassen gesehen hat? Wer den Ansatz des multikulturellen Zusammenlebens so verstanden hat, der trägt auch die Verantwortung dafür, dass die Integration lange Zeit vernachlässigt wurde und jetzt in Zeitlupe passiert.
Und wenn Multikulti wirklich tot ist, was ist dann mit den Einwanderern, die das Land vorangebracht haben, die sich hier eingelebt, die Jobs, Freunde, Familie und Beruf haben. Was ist mit all denen? Und was ist mit meiner Familie, und was ist mit mir? Bin ich nicht deutsch, obwohl ich in Deutschland geboren und groß geworden bin? Bin ich fremd im eigenen Land? Sicherlich nicht. Meine Familie und ich sind vielleicht nicht die Regel, aber sicher sind wir auch nicht mehr die Ausnahme.
Es geht also um mehr als nur um die Frage, woher jemand kommt und welche Abschlüsse er hat. Es geht um Identität. Denn wer sonst als die Migranten (die übrigens auch keine Einheitsklone sind) könnte den Deutschen ihr eigenes Ringen um Identität vor Augen führen. Nicht umsonst wird die Frage "Was ist deutsch" nicht mehr an und für sich diskutiert (oder nur noch unter Rechtsextremen), sondern in Abgrenzung und/oder als Schnittmenge mit Menschen mit Migrationshintergrund.
Dieses Gefühl verfestigte sich bei mir in diesem Sommer, als ich lesen musste, dass "Deutschland sich abschafft". Bisher habe ich immer gesagt: Ich fühle deutsch und arabisch. Zugehörigkeit zu einem Land hat für mich etwas mit Gefühl, mit Anerkennung und mit Werten zu tun. Und die sind sowohl bei der Mehrheitsgesellschaft als auch bei Eingewanderten gleich: Familie, Freiheit, Freundschaft. Doch nach dem Erscheinen des Buchs und der anschließenden Debatte hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, tatsächlich fremd im eigenen Land zu sein.
Auch weil in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass es jemanden wie Thilo Sarrazin braucht, um auf die problematischen Seiten unserer heterogenen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Wer das behauptet, verkennt die Wirklichkeit, auch die politische.
Und dennoch hat mich all das getrieben.
Diesen und viele weitere Texte können Sie in der gedruckten "Deutschland-taz" lesen. Am 7. Dezember am Kiosk erhältlich - oder direkt an Ihrem Briefkasten.
Auf meiner Suche nach Identität sprach ich einige Menschen aus meinem Umfeld an. Ich wollte Orientierung, ich wollte mich austauschen und ging zu den Klassikern: zum Taxifahrer, zum Schneider, zu meiner Gewürzverkäuferin und zu meinem Gemüsehändler.
Ich stellte allerdings fest, dass der Diskurs, den ich führen wollte, manchmal doch etwas einseitig ausfiel. Einige waren der deutschen Sprache nicht wirklich mächtig, jedenfalls nicht mächtig genug, um sich auf ein solches Gespräch einzulassen, und andere wollten sich nicht äußern, weil sie so oder so die Verlierer sind, wie sie sagten.
Das stimmt, und das stimmt wiederum nicht. Sie sind nur dann die Verlierer, wenn sie sich nicht einbringen. Wenn sie nicht rausrücken mit der Sprache. Doch dieses Umdenken fällt ihnen nicht leicht, denn jahrelang wurden zwar Pseudodebatten über sie geführt, aber eben nicht mit ihnen. Das scheint sich zu ändern. Der Weg ist nun frei für eine ehrliche Diskussion über Notwendigkeiten.
Und diese Diskussion zu spiegeln, sie einzuordnen, sie kritisch zu hinterfragen und dauerhaft zu begleiten, das ist unsere Aufgabe. Die eines jeden Journalisten, eines jeden Senders. Und wenn wir wirklich der Spiegel der Gesellschaft sind, dann ist es auch unsere Aufgabe zu zeigen, dass es keinen Widerspruch zwischen Integration und der Wahrung der eigenen Wurzeln gibt.
Welchen Einfluss wir Medienschaffenden mit Migrationshintergrund oder Migrationsvordergrund haben (ich weiß bis heute nicht, warum meine Geschichte oder meine Identität hinter mir steht, aber seis drum), möchte ich anhand einer Geschichte verdeutlichen, die mir so oder so ähnlich seit meiner Zeit beim ZDF immer wieder passiert ist. Ein alter Mann sagte zu mir, dass er zur Debatte zwar nichts sagen möchte, aber er schaue ab und zu deutsches Fernsehen. ZDF. Ich fragte ihn, warum, warum ausgerechnet ZDF? Er schmunzelte und sagte, seine Tochter glaube, seitdem sie mich gesehen hat, dass es möglich ist, seinen Weg zu gehen.
Die Kraft des Fernsehens in Bezug auf gelebte Integration ist nicht zu unterschätzen, das musste auch ich erst einmal lernen und habe es mehr oder weniger im Gleichschritt mit dem Sender getan. "Das ZDF hat sich geöffnet", sagte der Mann noch - und wir beide grinsten uns an. Das sind die Momente, in denen ich spüre, dass sich etwas bewegt, dass wir was bewegen (können). Die schiere Sichtbarkeit schafft sanft Veränderung. Allerdings ist nichts so wertvoll wie der echte Kontakt, der Austausch von Angesicht zu Angesicht. Dadurch können viele Vorurteile abgebaut werden. Dazu bedarf es der deutschen Sprache. Sie ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration.
Richtig ist auch, dass Integration auch immer etwas mit Fordern und Fördern zu tun hat. Integration ist keine Einbahnstraße. Das alles können die meisten, vor allen Dingen die, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigen, kaum noch hören, aber erstens stimmen diese Floskeln, und zweitens sie gebetsmühlenartig runterzubeten reicht nicht. Es ist an der Zeit, genau das zu leben und vielleicht auch vorzuleben. Aber nichtsdestotrotz: Ich habe und werde meinen Farbfilm nicht vergessen!
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