■ Aus dem geheimen Tagebuch des Verwaltungsbeamten Polotschek: Clinton, Miezen-Müller und Udo Walz
Montag, 20. April: Heute ein rabenschwarzer Tag. Wochenbesprechung beim Senator. Thema Nr. 1 – Clinton. Zunächst alles ganz normal: Krause referiert Stand der Dinge, Sicherheitsfragen, Besuchsprogramm. Kommunikation mit dem Kanzleramt problematisch, weil die uns die Nummer nicht so recht zutrauen, wollen noch eigene Leute schicken. Schönbohm ziemlich angesäuert. Stimmung nervös, noch 4 Wochen bis zum Tag X, war letztes Mal genauso.
Beim Rausgehen hält mich Krause plötzlich zurück, bin ganz perplex. Mit Senator und ihm dann allein im Zimmer. Drucksen erst ein bißchen herum. „Sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit, Polotschek, blablabla...“ Dann kommt's: „Besondere Gefährdungsaspekte, delikate Situation durch die aktuellen Ereignisse, der Präsident im Kreuzfeuer der Medien...“ Oha, keine Terroristen, keine Autonomen – Mr. President und die holde Weiblichkeit! Ob ich da nicht ein Auge drauf werfen könnte, Schönbohm: „Daß da nichts anbrennt!“ Krause jovial: „Polotschek, Sie sind doch ein diskreter Mann, das managen Sie mit links... Aber: kein Wort nach draußen, top secret! Wenn die Presse davon Wind bekommt, sind wir geliefert, klar?“ Ach du dickes Ei!
Dienstag, 21. April: Die Nacht kein Auge zugetan. Das ganze Pressematerial durchgearbeitet. Mir mal die Damen angeguckt, die da in der Debatte stehen. Gegen unsere Hostessen stehen die auf verlorenem Posten, Müller ist ja auch ganz stolz, daß er immer die schärfsten Beine Berlins im Angebot hat. Spitzname: Miezen-Müller. Bin mit ihm zum Mittagessen verabredet, lasse durchblicken, daß da ein top priority case auf ihn zukommt. Er hat mir eine Mappe mitgebracht, schwärmt: „Spitzen-Mädels“. Ich: „Müller, da sind wir beim Kern des Problems.“ Er kapiert zunächst gar nichts, ich zeige ihm die Presse-Ausschnitte, dann hat er's geschnallt. Ist ganz deprimiert. Ich beruhige ihn, alles eine Frage des Stylings. Da müssen wir ansetzen. Versuchungspotential runterfahren, das ist die Devise. Erst mal: keine Stöckelschuhe, maximale Absatzhöhe 2 cm. Bluse bis oben hin geschlossen, unbedingt langer Rock. Wir schauen uns Fotos von Paula Jones und Monica Lewinsky an – Frisurenproblem. Müller schüttelt nur den Kopf, weiß schon, was er denkt. Sagt, er wird Starfriseur Udo Walz anrufen, will die Mädchen en bloc hinschicken und ihn vorher briefen. Wird eine Heidenrechnung geben, aber egal, Kosten dürfen in diesem Fall keine Rolle spielen. Ich schärfe ihm noch mal ein: absolute Geheimhaltung.
Mittwoch, den 22. April: Von wegen top secret. Hat keine drei Stunden gedauert, da ist die Geschichte im ganzen Haus rum. Heute morgen überall feixende Gesichter. Dann stellt Marion mir einen Anruf von Schuh-Leiser durch: wie das mit der Bestellung von 200 Paar Birkenstocks geht, sie hätten mit so was keine Erfahrung. Ich auch nicht. An Müller weiterleiten. Dann Krause am Telefon. Aha, jawohl, jetzt brummt der Bär. Tobt, ob ich noch ganz gebacken sei? Ein Reporter von der B.Z. habe gerade angerufen, ob es stimme, daß Promi-Coiffeur Walz unseren Hostessen einen Bürstenhaarschnitt verpassen soll. Natürlich alles dementiert. Sofort stoppen, die bescheuerte Aktion. Versuche, alles auf Müller zu schieben, aber hilft nichts. Morgen beim Chef. Sage Marion, sie soll bei Schuh-Leiser anrufen und erst mal stornieren, man weiß ja nie...
Donnerstag, 23. April: Um neun beim Senator. Canossa-Gang. Zu meiner Überraschung alle Abteilungsleiter da. Schönbohm nimmt keinerlei Notiz von mir. Nanu? Redet allgemein von mangelnder Kompetenz, Indiskretionen und so... Müller sitzt leichenblaß da. Aha, die Sache wird offiziell, mir ganz recht. Jetzt die Parole: Dichthalten, wer noch einen Mucks von sich gibt, fliegt: „Sagen Sie das Ihren Leuten!“ Dann anderes Thema: Historischer Satz! Kein geringes Problem. Nach „Ich bin ein Berliner“ und „Mr. Gorbatschow, open this gate!“ gar nicht so leicht. Bisherige Vorschläge: „Berlin tut mir gut“, „Ich hab' immer einen Koffer...“ allesamt zu matt, erstens schon belegt, zweitens zu schwer auszusprechen. Bester Vorschlag bisher: „Ich komme gerne nach Berlin.“ Dann Staatssekretär Hitzfeld: Ob der Satz nicht zu gefährlich sei, nach der neuen Lage mit der speziellen Gefährdung. Nachher lernt der Präsident den Satz falsch auswendig und sagt: „Ich komme gerne in Berlin!“ Erschrockene Stille. Schönbohm schießt seinen berühmten „Bewirb dich schon mal bei den Stadtwerken“-Blick ab – dann lacht er plötzlich laut raus. „Mensch, Hitzfeld, Sie sind mir ja einer...“ Allgemeiner Stimmungsumschwung. Wir dürfen alle mitlachen. Dann Anruf aus dem Kanzleramt. Senator bricht die Sitzung ab, vertagt auf morgen. Noch mal gutgegangen. Müller auf dem Gang zu mir, was denn nun sei. Erst mal abwarten, Aktion sachte weiterlaufen lassen.
Freitag, 24. April: Morgens gleich beim Senator. Er ganz aufgeräumt. Sei noch mal in sich gegangen. Hitzfelds Witz habe ihm die Augen geöffnet. Alles Quatsch mit unseren Sorgen. Und überhaupt. Wie das denn aussähe: der Präsident der Vereinigten Staaten umgeben von lauter grauen Mäusen. Schlecht fürs Image. Also: volle Kehrtwendung. Miezen-Müller soll die hübschesten Ladies rankarren, kurzer Rock, hohe Absätze – das volle Programm, das Umfeld des Präsidenten solle förmlich vibrieren, eine einzige erogene Zone. Wer sind wir denn, wörtlich: „Wenn der Mann schwach wird, dann wenigstens in der Hauptstadt.“ Das sind wir Deutschland schuldig. Na, das ist doch mal ein Wort. Aufatmen.
Nachher Anruf bei Müller. Verklickere ihm die neue Marschroute. Große Erleichterung. Fragt mich zum Schluß, was er denn jetzt mit den 200 Paar blickdichten Woolford-Strumpfhosen machen soll, das Stück zu 50 Mark. Soll sie aufheben, eventuell fürs nächste Mal. Joachim Scholl
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