■ Aus dem Tagebuch von Wam Kat: Sumpfwiesen mit Wasserschlangen
Wam Kat, Friedensaktivist schon im Bosnienkrieg, hat im Internet Freiwillige für die Aktion „Balkan Sunflowers“ gesucht, die in den Lagern der Kosovo-Flüchtlinge helfen wollen. Seit Anfang Mai berichtet er täglich per E-Mail über seine Erfahrungen in Albanien.
Tirana, 30. Mai: Ich sitze auf dem Balkon unseres neuen Hauses, der zur Zeit mein privates Büro ist. Es ist sieben Uhr abends, eine Zeit, zu der es in Tirana Wasser gibt. Die Leute sitzen vor ihren Häusern und füllen Flaschen und Kessel ab. Es gibt nur zweimal am Tag Wasser in ganz Tirana, Zeit auch für uns, den Tank auf unserem Dach aufzufüllen. Heute nacht müssen wir das von Hand tun, weil der Strom ausgefallen ist.
Zwei Freiwillige sind heute angekommen, es wären noch mehr, wenn in Italien nicht die Eisenbahner streikten. Weil außerdem die Fluggesellschaften Tirana kaum noch anfliegen, ist es beinahe unmöglich, ohne Militärmaschinen hierherzukommen.
Der eine Freiwillige, der aus Korea kommt, mußte zuerst nach Frankfurt und von dort nach Griechenland fliegen. Dann fuhr er mit einem Bus zu einer Stadt an der albanischen Grenze, dann mit einem anderen Bus bis Tirana: Ein einziges Abenteuer. Er hat mir Ausdrukke meiner Tagebücher aus dem Internet mitgebracht. Sehr schön sehen sie aus, ich habe sie noch nie gesehen. Ich habe nur meinen E-Mail-Anschluß. Damit sende und empfange ich Briefe, von dem ganzen Rest bekomme ich nichts mit. Das ist für mich das Internet, so wie es schon in Bosnien und Kroatien für mich das Internet war.
Der andere Freiwillige ist 50 Jahre alt, als Krankenpfleger ausgebildet und schult jetzt Sozialarbeiter, die mit Alkoholikern und Drogenabhängigen arbeiten wollen. Jemand Besseren hätten wir kaum finden können, denn beides, Alkoholismus und Drogenmißbrauch, sind Probleme, die in diesem Land immer ernster werden. Das gilt vor allem für den Drogenmißbrauch, und wir haben schon nach Leuten gesucht, die uns in dieser Hinsicht Erste Hilfe leisten können in den Lagern, in denen wir arbeiten wollen. Ich habe die beiden Freiwilligen ins Jugendzentrum von Tirana mitgenommen. Darunter darf man sich nichts Großartiges vorstellen. Es sind nur ein paar Räume, aber die Leute dort arbeiten wirklich und stellen nicht nur Listen auf, was sie tun wollten, wenn ihnen jemand das Geld gäbe.
Die erste Gruppe wird in Vlore arbeiten, der Küstenstadt mit den Schnellbooten der Drogenhändler, Menschen- und Waffenschmuggler. Der Strand ist sehr schön, dennoch ist Vlore kein besonders einfacher Standort. Aber wir wollen mit den lokalen Gruppen zusammenarbeiten, was kaum eine NGO versucht. Deshalb werden wir weniger als Außenseiter, sondern eher als Gäste behandelt. Ich verstehe nicht, warum die NGOs nie den Kontakt zu den lokalen Gruppen suchen. Sie kommen her und fangen an. Sie fragen noch nicht einmal, warum dort niemand wohnt, wo sie ihre Lager hinstellen. In Vlore, Durres, Shodar und anderen Städten stehen solche Lager dann in Sumpfwiesen, in denen eine Menge Wasserschlangen leben. Die meisten sind harmlos, aber das wissen die Kosovaren nicht. Wenn jemand gebissen wird, trauen sie den ausländischen Lagerärzten nicht – ein psychologisches Problem. Die Flüchtlinge fühlten sich schon im Kosovo von der OSZE im Stich gelassen und sind nicht wirklich überzeugt davon, daß der Westen ihnen helfen will.
George kam heute morgen vorbei und erzählte von der Wahl der albanischen Schönheitskönigin, die gestern abend stattfand. Gewonnen hat die einzige Blondine im Wettbewerb. Sie kommt aus Pritina, ihr Hobby ist die Kunst, und ihr größter Wunsch ist es, in das Kosovo heimzukehren. Das sei alles Politik, habe ich George gesagt, man könne doch unmöglich eine Miß Albania“wählen, die noch nicht einmal einen albanischen Paß hat. „Kein Problem“, hat George geantwortet, „sie bekommt sofort einen.“ Und außerdem sei die Nato ja dabei, das Kosovo zu befreien, das dann wieder ein Teil von Großillyrien werde, wie die Region früher hieß. Ich habe versucht, ihm zu erklären, daß die Nato keineswegs diesen Auftrag habe. Aber er sagte nur, daß Großbritannien und Spanien zum Einsatz von Bodentruppen drängen – wir haben heute eine offizielle spanische Delegation zu Besuch, in allen Straßen hängen spanische Fahnen. Wam Kat
Weitere Berichte und Wam Kats vollständige Tagebücher unter www.snafu.de/ulisses/balkan/sunflowers. Spenden: Ökobank Frankfurt, BLZ 500 901 00, Konto 160 160 1
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