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taz FUTURZWEI

Aus dem Magazin taz FUTURZWEI Eure Empörung ist ihr Geschäftsmodell

Reaktionärer Backlash auf Instagram: Wollen Tradwives emanzipierte Frauen an den Designerherd bringen? Oder geht's am Ende doch nur um die Kohle?

Frauen gegen Freiheit: Traditionelle Rollenbilder zahlen sich aus – auf Kosten emanzipativer Werte. Foto: dpa/PA Wire | Gareth Fuller

taz FUTURZWEI | Sie schauten mich an, als hätte ich gerade verkündet, Hausfrau zu werden. Glitzerndes Entsetzen, funkelnde Abneigung, schimmernde Neugier – suchen Sie sich was raus.

Wir saßen zu fünft im „Lass uns Freunde bleiben“ in Berlin-Mitte und schlürften Weinschorle. Und ich hatte doch nur mein Plädoyer gehalten, dass die traditionelle Hausfrauen-Pose einer hypererfolgreichen Riege von Influencerinnen eigentlich ziemlich smart sei. Hatte gedacht, meine Freundinnen würden sich meiner These im Namen der globalen „Jede wie sie will“-Schwesternschaft unweigerlich anschließen.

Falsch gedacht.

„Hannah trägt Verantwortung für die Unterdrückung, die sie in jedem ihrer Videos romantisiert“, zischt meine Freundin, und ihr Blick ist Eis. Brrrr.

Die neue taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°31: GEMEINSINN

Gemeinsinn gilt manchen als gut gemeint, salonlinks oder nazimissbraucht. Kann und wie kann Gemeinsinn zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen?

Mit Aleida Assmann, Armin Nassehi, Barbara Bleisch, Florian Schroeder, Jagoda Marinić, Wolf Lotter, Heike-Melba Fendel, Florence Gaub, Paulina Unfried, Tim Wiegelmann und Harald Welzer.

Erscheint am 10. Dezember 2024.

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Hannah ist natürlich Hannah Neeleman, die in den letzten Jahren sogar eine Freiwilligentruppe von Emanzen-Girlies zum Brotbacken gebracht hat. Nebenher ist sie unglaublich normschön, eine blonde Ballerina, die am Ende der Welt – in Utah – eine Farm aufbaut, damit ihre acht Sprösslinge mit Cowboyhüten und dreckigen Schnuten durch Wiesen rennen können.

Fast wie „Brangelina“

Und dann ist da die deutsche Nara Smith, auch sie bereitet in ihren kleinen Videos alles selbst zu, sogar Cola, Cornflakes und Kaugummi, aber in plüschig weißen Miu-Miu-Kostümen, und sie trägt dabei Armreife von Cartier. Smith und ihr Ehemann sind Models in ihren frühen Zwanzigern und haben vier lockenköpfige Kinder.

Es gibt keine Luxusmarke, die die beiden und das, wofür sie stehen, nicht haben wollen. Sie entfalten im Doppelpack eine Hypnose, wie es zu seiner Zeit nur das funkelnde Brangelina-Paar vermochte.

„Stopped by Hannah’s for lunch“, schrieb Nara Smith ganz casual auf ihrem Instagram-Account. Als wäre das Treffen der beiden nicht das größte Ereignis des Jahres 2024 gewesen.

Ein genialer Marketing-Schachzug. Jede sterbliche Person mit vier Kindern wäre vermutlich etwas verschwitzt auf dieser Farm im Nirgendwo angekommen; Smith sah selbstredend perfekt aus in ihrem artigen Kleid im 1950er-Stil. Sie treibt es mit solchen Details mit bestem Gewissen auf die Spitze. Man kann nirgendwo anders hinschauen, auch wenn man es so gerne würde.

Träume vom Haushaltsregiment

Falls Sie das nicht wissen sollten: Seit Monaten sitzen Menschen in lauschigen Ecken zusammen und sprechen über diese beiden Frauen. Der Ton ist entweder schockiert oder süffisant. Auf jeden Fall finden alle sie schlimm.

Wir hier am Tisch sind in ihrem Alter, aber ledige Langzeitstudierende ohne Träume von einem Haushaltsregiment, eher so old-school „Sex and the City“-Vibes, wo der Herd auch nur zur Aufbewahrung von süßen Kleidern praktisch war. Wir haben alles diskutiert. Dass beide den à la mode illiberalen Mormonen angehören. Selbstverständlich das Porträt in der britischen Times, das Neeleman als traurige und von ihrem Mann unterdrückte Frau dargestellt hat. Die Tatsache, dass ihr der große Aufschrei vor allem neue Follower gebracht hat.

Eine von uns sagt, man darf die beiden nicht bemitleiden, Männer hin oder her, sie seien Täterinnen, die ausbeuten, dass der Wind sich gerade wieder in Richtung traditionelle Identitäten dreht.

„Reaktionäre Identitäten“, korrigiert eine andere.

Die hochstilisierten Bilder davon, was es bedeutet, eine Frau zu sein, werden in Millionen von Köpfchen hängen bleiben. Nicht nur bei den Frauen, die mit ihnen tauschen wollen.

Bei der nächsten Runde Wein explorieren wir angestachelt die Idee einer großen mormonischen Weltverschwörung, die auch uns an den Designer-Herd kriegen will.

Spielen mit der patriarchalen Unterwerfung

Nara Smith und Hannah Neeleman, die beiden saßen bei ihrem Treffen so zusammen am Tisch, wie wir fünf jetzt, wobei es bei ihnen wohl niemals eine alkoholische Schorle gäbe. Sie sind berufstätig, sie sind selbstständig, sie sind Schauspielerinnen und ihre eigenen Regisseurinnen – und beide haben ein grandioses Konzept.

Es geht um Provokation. Warum sonst würde Smiths auffällig blauäugiger Ehemann Lucky Blue in der Küche sogar die Sonnencreme selbst anrühren? Sie wissen, was manche Leute komplett fertig macht, und das liebt der Algorithmus. Sie spielen mit ihrer eigenen patriarchalen Unterwerfung, um dann immerhin von ihr im großen Stil zu profitieren. Das ist klug.

„Eure Empörung ist ihr Geschäftsmodell“, sage ich meinen Freundinnen. Darüber sind sie erst recht empört.

„Und dich haben sie ausgetrickst“, sagt eine von ihnen.

Schwestern: Ich habe nie gesagt, dass diese beiden Frauen auf der moralischen Seite des Showbusiness stehen.

■ Dieser Artikel ist im Dezember 2024 in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°31 mit dem Titelthema „Gemeinsinn“ gibt es ab dem 10. Dezember im taz Shop.