: Aus dem Liederbuch der Trolle
■ Das Arild Andersen Sextett spielte am Donnerstag im KITO / Ein Bassist im Duo mit sich selbst / Fusion aus Freejazz und der Volksmusik Norwegens / Vorbild: Jan Garbarek
Der Bassist Arild Andersen ist in den letzten Jahren so oft in Bremen aufgetreten, daß man von ihm keine großen Überraschungen mehr erwartete. In verschiedenen Formationen des ECM-Labels oder bei Konzerten des Bremer Trompeters Uli Beckerhoff spielte der Norweger immer wieder gepflegten Jazz für Feingeister, und er ließ seinen Bass jedesmal so melodisch singen, daß man gar nicht genug von ihm hören konnte. Auch am Donnerstag abend kamen alle Liebhaber seines schönen, satten Sounds auf ihre Kosten, und bei mehreren unbegleiteten Passagen spielte er wieder mit sich selber im Duo. So etwa, indem er den mit dem Bogen gestrichenen Part auf einer elektronischen Schleife noch einmal spielen ließ oder vor unseren Augen schnell ein mehrstimmiges rhythmisches Tongeflecht aufnahm und zu diesem dann improvisierte.
Aber an diesem Abend war dennoch alles anders, denn Andersen stellte hier zum ersten Mal seine „Haus-Band“ vor, in der er versucht, norwegische Volksmusik mit Jazz zu verschmelzen. Das war eine viel bodenständigere und robustere Musik, als man es bisher von Andersen gewohnt war. „Saga“ und „Erbe“ heißen die beiden Auftragskompositionen, die Andersen speziell für dieses Sextett schrieb und an diesem Abend vorstellte. Die einfachen Volksweisen, Tänze und Balladen wurden zuerst einmal gesungen: Die Vokalistin Kirsten Braaten Berg kommt offensichtlich eher aus der Folk- als der Jazztradition. Sie trug die Lieder mit viel Wärme und einer bestechend klaren Alt-Stimme vor. Danach überließ sie dann die Bühne den anderen Musikern der Band, und diese mischten schnell immer mehr Jazz in die Volksmusik, sodaß schon bald von dem Song nur noch die Grundstimmung übrig war, worauf die Musiker ihre Soli aufbauten. Nicht nur vom Ansatz her erinnerte dies oft an ähnliche Projekte von Jan Garbarek. Denn leider kopierte der Saxophonist der Band Bendik Hofseth hemmungslos seinen berühmten Landsmann: Er versuchte bei den Balladen genauso wehmütig zu klagen wie Garbarek, übernahm dessen Körperhaltung und spielte zu allem Überfluß neben dem Tenor auch noch das durch den norwegischen Jazzstar bekanntgewordene gebogene Sopransaxophon. Die anderen drei jungen Musiker der Band klangen dagegen viel eigenständiger und verwegener: Eivind Aarset (Gitarre), Bugge Wesseltoft (Keyboards) und Paolo Vinacci auf seinem eigenwillig zusammengebastelten Schlagzeug bildeten so einen immer spannend bleibenden Kontrast zur grundsolide singenden Kirsten Braaten Berg. Andersen wirkte wie ein ruhiger Vermittler zwischen den unterschiedlichen Temperamenten und Stilen – ohne ihn wären die Sängerin und die jungen Jazzer wohl auch nie auf einer Bühne zusammengekommen. So war es aber ganz natürlich, wenn sich ein melancholisches Lied über den Anbruch der Nacht langsam in eine Freejazz-Improvisation verwandelte. Willy Taub
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