piwik no script img

Aus dem Leben eines WeltenbummlersTricksters Reisen

Natalie Zemon Davis, Grande Dame der Mentalitätsgeschichte, spricht in Berlin mit Sigrid Löffler. Dabei scheint sie listenreich wie "Leo Africanus" oder der antike Odysseus.

Sultan al-Hasan von Tunis lauscht mit seinem Gefolge "Leo Africanus" nach dessen Rückkehr aus Europa. : thomas fisher rare book library, university of toronto

Al-Hasan al-Wazzan, alias Leo de Medici, alias Leo Africanus: Dieser Weltreisende des 16. Jahrhunderts ist so berühmt wie rätselhaft. "Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident" heißt die soeben im Wagenbach-Verlag erschienene Arbeit aus der Feder der amerikanischen Historikerin Natalie Zemon Davis.

Überdeutlich ist, worauf der Untertitel des Buches zielt: Leo Africanus wird als früher Brückenbauer und Kulturvermittler der Weltreligionen Christentum und Islam, Nordafrika und Europas gesehen. Und weil sich seine Lebensstationen mit allen wichtigen Orten der frühen Neuzeit verbinden, verspricht die Rekonstruktion dieser Biografie auch eine Kartografierung der mediterranen Spätrenaissance.

Im Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin und Kritikerin Sigrid Löffler erläuterte Natalie Zemon Davis am Dienstagabend in Berlin, wie sie die großen Lücken geschlossen hat, die sich zwischen den spärlichen historischen Quellen auftaten. Dieser mittlerweile 80-jährigen Grande Dame der Mentalitäts- und Sozialgeschichte zuzuhören war dabei ein echter Event. Der Saal der Staatsbibliothek platzte aus allen Nähten, als die zierliche Davis das Podium betrat. Im hochgeschlossenen violetten Strickkleid, eleganten schwarzen Schnürschuhen und mit ihren kurz geschnittenen lockigen Haaren ist sie die Sophistication in Person. Die Archivarbeit des Historikers muss keine graumäusige Angelegenheit sein.

1486 in Granada geboren, erlebte Leo Africanus die Reconquista am eigenen Leib. Er floh ins marokkanische Fes und reiste nach Istanbul, Kairo und Medina. Ob er dabei in den blühenden Sklavenhandel involviert war, ob er als Geheimagent oder Diplomat im Dienste seiner wechselnden Herren stand, das ist heute nur schwer nachzuvollziehen, so Davis. Gesichert ist, dass Leo Africanus auf einer Schiffsreise von Piraten gekidnappt und an den Papst Leo X. verkauft wurde. In Rom nahm Leo den Namen Leo de Medici an und wurde 1520 auch christlich getauft. Der hochgebildete Weltreisende führte das Leben eines Gelehrten: Er war Übersetzer, unterrichtete vatikanische Geistliche im Arabischen und verfasste mehrere Bücher, darunter La Descrittione dellAfrica, eine systematische Beschreibung des Maghreb, die zur Grundlage späterer Kartografierungen wurde - noch die europäischen Kolonialisten des 19. Jahrhunderts bezogen hier ihre Informationen.

Gerade an den Konvertiten richteten sich später bohrende Fragen seiner Interpreten. War Leo reinen Herzens zum Christenmenschen geworden? Oder hatte er, um dem Gefängnis zu entgehen und unbehelligt seiner Arbeit nachgehen zu können, den Papst überlistet? Sowohl der sunnitische als auch der schiitische Islam erlaubt in Notsituationen schließlich die Taqiya - die, wie Zemon Davis beschreibt, "Verheimlichung des eigenen Glaubens und der Religionsausübung unter erzwungenen Umständen".

Nicht ohne Grund hat die Historikerin ihr Buch im englischen Original von daher "Trickster Travels" genannt. Und tatsächlich: Wenn der vielgereiste Leo Africanus ein Odysseus seiner Zeit gewesen ist, dann teilt er mit dem antiken Vorläufer den Listenreichtum. Wie am Dienstagabend in Berlin deutlich wurde, gehört Listenreichtum aber auch zum Anforderungsprofil einer Historikerin.

Nichts, so bekennt Davis mit einem strahlenden Lächeln, mache sie so glücklich wie die Arbeit im Archiv. "Die Erforschung der Vergangenheit", sagt sie, "war mir eine beständige Freude - dieses privilegierte Reich des intellektuellen Eros", im Hintergrund eine Afrikakarte aus dem Jahr 1513.

Im Gespräch zwischen Davis und Löffler, durch die spektakulären, immer aber auch ein wenig fantastischen Anekdoten aus dem Leben des Leo Africanus, wurde der verblichene Reisende plastisch. In ihrem Buch hat Davis den Gegenstand nicht zuletzt durch eine fiktive Begegnung zwischen Leo und Rabelais erschlossen. Keine anrüchige Mogelei, eher begegnet hier die Historikerin dem Protagonisten auf Augenhöhe - Trickster alle beide.

Natalie Zemon Davis: "Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident". Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008, 383 Seiten, 36 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen