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Aus Traum wird Albtraum

Deutsche Handballer verlieren EM-Finale gegen alte Schweden in der Verlängerung

STOCKHOLM taz ■ Freud und Leid lagen eng beieinander am Sonntagabend bei den deutschen Handballern, und so mancher wusste nicht, für welche Gefühlsvariante er sich entscheiden sollte. „Einige von uns können sich über den zweiten Platz freuen, andere nicht“, sagte Klaus-Dieter Petersen, er selbst zählte sich offenbar zur zweiten Spezies. „Für mich zählt nur der erste Platz“, ließ der Abwehrchef wissen. Genau der aber war der deutschen Nationalmannschaft im kurz zuvor beendeten Europameisterschaftsfinale von Stockholm knapp vor der Nase weggeschnappt worden. 31:33 verlor das DHB-Team gegen Titelverteidiger und Gastgeber Schweden – in der Verlängerung.

Immerhin: Das große Ziel, der Gewinn einer EM-Medaille, wurde erreicht. Und dass es am Ende doch „nur“ die in Silber wurde, war trotz des unglücklichen Endes mehr, als man im Vorfeld wirklich hatte erwarten dürfen. Nach den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles qualifizierten sich die Deutschen nämlich erstmals wieder für ein Endspiel bei einem internationalen Großereignis. Entsprechend zufrieden war Trainer Heiner Brand schon vor dem Finale. „Das ist ein Traum, der wahr geworden ist: Wir stehen gegen meine großen Vorbilder, die Schweden, in Schweden im Endspiel“, schlug Brand ungewohnt schwärmerische Töne an. Dass seine Mannen den langjährigen Herrschern des Welthandballs, den großen, alten Schweden, fast über die komplette Spieldauer Paroli bieten konnten, wird er durchaus ebenso wohlwollend, Niederlage hin oder her, zur Kenntnis genommen haben.

Denn just im Finale riefen die Deutschen ihre beste Turnierleistung ab, besonders Kreisläufer Mark Dragunski tat sich mit seinen fünf Treffern hervor. Doch auch der Rest verlangte den Schweden mit schier unglaublichem Kampfeswillen alles ab und dominierte das Spiel gar über weite Strecken. Im Grunde genommen, da waren sich die Vertreter der internationalen Presse hernach ziemlich einig, gewannen die Schweden lediglich die Verlängerung. Deutschland, so hieß es, hätte den Titel verdient gehabt.

Deswegen wussten sie im deutschen Lager ja auch nicht, ob sie über Silber nun lachen oder weinen sollten. Doch wenn die erste Enttäuschung verflogen ist, wird sich auch das regeln – und der Erfolg als das abgeheftet werden, was er für den deutschen Handball in der Tat darstellt: einen großen Moment. Zumal durch die Medaille die Präsenz auf internationalem Parkett erstmals seit langem längerfristig gesichert ist: Für die Weltmeisterschaft 2003 sowie die Europameisterschaft 2004 ist das DHB-Team durch das EM-Silber automatisch qualifiziert, die WM 2005 würde der DHB am liebsten als Gastgeber bestreiten, eine aussichtsreiche Bewerbung wurde bereits abgegeben.

Mit welchem Team Bundestrainer Brand die Zukunft bestreiten wird, scheint derzeit hingegen noch offen. Der lange Volker Zerbe (33) musste schon für diese EM reaktiviert werden, auch der gleich alte Abwehrchef Petersen kommt langsam, aber sicher ins gesegnetere Handballer-Alter. Das wirft Fragen auf, deren Antworten am besten mit einem Blick auf die Schweden gefunden werden können: Seit Jahren wartet die Handballwelt darauf, dass Sivertsson, Andersson und Lindgren, vor allem aber Magnus Wislander und Staffan Olsson endlich so alt werden, dass sie aufhören mit der Handballerei. Bei der EM haben die alten Schweden gezeigt, dass sie daran noch längst nicht denken.

ANKE BARNKOTHE

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